SWB – MeiBlog

"Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muß man vor allem ein Schaf sein." (Albert Einstein)


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Aliens, die Anschluss (ver)suchen

Auch wenn ich als Einzelgängerin gelesen werden, habe ich ein tiefes Bedürfnis nach Anschluss an andere Menschen in allen Facetten (Partnerschaft, Freundschaft, Bekanntschaft). In puncto Partnerschaft scheiterte meine erste Ehe krachend, dafür hält die zweite schon fast doppelt so lang. Hilfreich ist hier sicher die Autismus-Diagnose, die erheblich dazu beigetragen hat, mich besser kennen- und mit mir leben zu können. Damit meine ich keineswegs nur meinen Partner, sondern auch mich.

Das mit den sonstigen Anschlussversuchen klappt(e) über die Lebensspanne nicht allzu oft. Mit Diagnose erklärte sich mir das, allerdings klappt es trotzdem nicht öfter als ohne Diagnose. Das liegt allerdings nicht nur an mir, sondern am Double Empathy Problem, also dass andere und ich einander quasi Aliens sind. Und das führt(e) immer wieder zu Ablehnung meiner Person und zu Beziehungsabbrüchen.

Da gibt es diejenigen, die mich A) von vornherein oder B) nach sehr kurzer Zeit ablehnten, weil [aus Gründen] In diesem Fall weiß ich ihre Gründe nicht, da sie mich ja gar nicht erst kennenlernen wollten und ich also keine Chance hatte, ihre Gründe zu erfahren. Im Fall von B) konnte ich mir anhören oder habe erfahren, dass ich zu … oder un… bin [z. B. anstrengend, besserwisserisch, direkt, kritisch, seltsam, überheblich, verletzend oder unhöflich, undiplomatisch, unmöglich, …]

Zu anstrengend hat mich verletzt, wobei ich weiß, dass mit mir keine oberflächliche Beziehung möglich ist und der Umgang mit mir, je nachdem, wie mein Energielevel ist, anstrengend sein kann. Ich habe deshalb diese Aussage auch nicht übelgenommen. Ich versuche, sie positiv zu sehen: Langweilig wird es mit mir nie. Perspektivwechsel: Die meisten andere Menschen sind sehr anstrengend für mich.

Zu besserwisserisch ist das Problem meines Gegenübers – wenn das nicht damit klarkommt, dass ich über ein breites Allgemeinwissen verfüge und die Angewohnheit habe, Falschaussagen/Fehler automatisch zu korrigieren und mich deshalb ablehnt, kann ich auch nichts machen. Ich fühle mich nicht verantwortlich für einen Beziehungsabbruch wegen Lernallergie oder gekränkter Eitelkeit.

Zu direkt, kritisch, seltsam, überheblich, verletzend sind persönliche Eigenarten, die ich nur bedingt abstellen kann. Ich gebe mir Mühe, niemanden zu verletzen. Unabsichtlich passiert es mir trotzdem immer mal wieder. Ich wurde nicht umsonst in meiner Familie die Königin der Fettnäpfchen genannt. Wenn ich bemerke oder mir jemand sagt, dass er verletzt ist, klären wir das und ich entschuldige mich dafür, wenn es mir unabsichtlich passiert ist. Ich muss damit leben, dass jemand sich zu sehr von mir verletzt fühlt und beschließt, unsere Beziehung nicht fortführen zu können. Das kann traurig sein oder auch für mich eine Erleichterung, weil mich dieser Mensch ebenfalls sehr verletzt hat. Tatsächlich ist mir beides bereits passiert.

Ich bin in der Regel nicht bewusst oder absichtlich überheblich oder seltsam. Bei ein wenig Wissen zu Autismus und mich besser kennenlernen wollen, bestünde die Chance, dass mein Gegenüber seine Bewertung meines – in den Augen der Mehrheit – „Fehlverhaltens“ überdenkt und evtl. die positiven Aspekte von Direktheit (jeder weiß, woran er bei mir ist) und meiner Eigenart, alles kritisch zu hinterfragen, wodurch Fehler aller Art schnell und zuverlässig aufgedeckt werden, erkennt. Wer das nicht zu schätzen weiß, hat verloren.

Seltsam sind aus meiner Perspektive ja die anderen. Aber ich gestehe es jedem Anderen zu, auch mich als seltsam zu empfinden. Allerdings finde ich einen Beziehungsabbruch aus diesem Grund seltsam.

Es gibt diejenigen, die sich eine Zeit lang mit mir abgeben, bis ihnen eine oder mehrere meiner Verhaltensweisen nicht (mehr) passen. Mein Verhalten hat stets einen Grund und macht Sinn. Mir mein Verhalten vorzuwerfen und es als Beziehungsabbruchgrund herzunehmen, macht wenig Sinn, wenn man nicht zugleich sein eigenes Verhalten reflektieren möchte/kann. Ich versuche bereits lebenslang, das Verhalten anderer Menschen zu verstehen. Im Gegenzug wäre es wünschenswert, wenn Menschen, die mit mir eine Beziehung eingehen woll(t)en, ebenfalls versuchen würden, mich zu verstehen. Ich kann es mir wünschen, aber ich kann nichts dagegen tun, wenn sie es nicht versuchen wollen und mich fürderhin lieber ablehnen. Sie verpassen meiner Meinung nach die Beziehung zu einem außergewöhnlichen Menschen. Aber es ist ihre Entscheidung, die ich respektiere.

Schließlich gibt es diejenigen, die eine Beziehung mit mir eingehen wollen, ich mich darauf einlasse sie beginne kennenzulernen oder bereits hinreichend kennengelernt habe und die sich schleichend oder urplötzlich zurückziehen. Schon, weil ich ein sehr neugieriger Mensch bin und verstehen will, was schiefgelaufen ist, versuch(t)e ich stets, die Gründe für den Abbruch herauszufinden. Und ich denke stets gründlich über das nach, was ich an Rückmeldung erhalten habe, wenn ich denn eine erhalte. Solche Beziehungsabbrüche vorherzusehen, um wenigstens gegen den Schmerz gewappnet zu sein, war und ist mir nicht möglich.

Wenn Anschlussversuche schief gingen, lag das nie und liegt nicht allein in meiner Hand. Es braucht den beidseitigen Willen, mit dem Double Empathy Problem und den daraus resultierenden Beziehungshindernissen umzugehen. Ich selbst kann nur meine Alienhand ausstrecken und Brücken bauen. Sich auf die Brücke trauen, meine Hand nehmen, ist die Aufgabe des Gegenübers. Wenn es für sich entschieden hat, das nicht zu tun, ist das so.

Jeder meiner gescheiterten Anschlussversuche war auf seine Weise unschön. Trotz meiner inzwischen doch recht vielfältigen negativen Erfahrungen versuche ich nach wie vor, sobald ein mir sympathischer Mensch meinen Lebensweg kreuzt, mich auf eine Beziehung mit diesem Menschen einzulassen. Natürlich bin ich inzwischen sehr vorsichtig damit geworden, Menschen näher an mich heranzulassen. Ich nenne das nicht Paranoia, sondern aus Erfahrung gewonnenes, gesundes Misstrauen und finde es nicht schlimm, dass ich vorsichtig bin. Es ist legitim, sich selbst vor Verletzungen und Enttäuschungen zu schützen.

Ich bin mir aber dessen sehr wohl bewusst, dass ich mich mit einer totalen Verweigerung, mit (verbittertem) Rückzug und Einigeln, damit mich niemand mehr verletzen kann, um die Chance bringen würde, neue Menschen und damit potentielle (gute) Bekannte, vielleicht sogar Freunde in mein Leben zu lassen. So zurückgezogen, wie ich lebe, lerne ich ja auch nicht allzu oft neuen Menschen kennen. Also versuche ich es trotzdem weiter.

Nochmal: Es liegt nicht an mir, wenn ich abgelehnt werde. Es liegt an denjenigen, die das tun. Ich bin nicht falsch, ich bin ich, sofern ich nicht gerade so tue, als sei ich jemand anderes (Stichwort Masking, Camouflaging). Es ist normal, abgelehnt zu werden, allerdings passiert dies autistischen Menschen tatsächlich signifikant öfter.

Bildquelle: Peggy und Marco Lachmann-Anke (05.November 2015). https://pixabay.com/illustrations/alien-ufo-nevada-area-51-1015650/


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Bei zu viel Stress zum Alien werden?

Normalerweise wirke ich von außen gesehen nicht gestresst, ich weiß aber inzwischen, dass ich wohl immer auf einem, im Vergleich zu anderen, erhöhten Stresslevel unterwegs bin. Ich verhalte mich, soweit ich weiß, auch nicht sonderlich seltsam, zumindest nicht seltsamer als andere auch. Wenn ich auf meinem Normallevel gestresst unterwegs bin, habe ich recht umfangreiche Fähigkeiten, die es mir erlauben, relativ unauffällig durchs Leben zu gehen.

Mein Stresserleben ähnelt einer Exponentialkurve. Längere Zeit passiert wenig, ich gerate aber plötzlich sehr schnell auf ein sehr hohes Stresslevel. In vielen Fällen ist es ein Konglomerat aus verschiedenen Dingen, die mich sehr stark stressen, von denen alle anderen außen herum wenig bis gar nicht gestresst sind. Deshalb ist es von außen auch so schwer nachzuvollziehen, weshalb ich überhaupt gestresst bin.

Es gibt verschiedene Dinge, die mich stressen und es kommt auch auf meine Tagesform an, wie schnell und ab welcher Intensität sie mich stressen. Stichworte sind hier Reizbelastung (Lärm, Gerüche, Licht, Emotionen) und Interaktionsbedingungen (z. B. Gruppensituationen; gesellschaftlich geforderte soziale Interaktionen mit mir unbekannten Personen; etwas oder jemand verspätet sich; etwas läuft nicht ab, wie vereinbart; von mir werden schnelle Entscheidungen verlangt; Durcheinanderreden oder Nebengespräche, während jemand anderer das Wort hat; individuelles Zeitmanagement; und etliches mehr).

Aus der Außensicht kommt es quasi aus dem Nichts, dass ich in einem überlasteten Zustand gelandet bin, schlimmer noch, von Außen bemerkt man nur meine dann befremdlich wirkenden Reaktionen, aber nicht, dass ich gerade massiv überfordert bin mit der Situation.

Aber in einem solchen Zustand sind meine Fähigkeiten, die ich auf Normallevel habe, von jetzt auf gleich nicht mehr abrufbar. Was als erstes wegfällt, ist die Höflichkeit. Gefolgt von der Fähigkeit, adäquat bzw. überhaupt noch verbal ausdrücken zu können, was ich mir denke. Denken tue ich in selbst in einem absoluten Überlastungszustand nämlich viel, kann das aber nicht mehr in Worte, geschweige denn in ‚richtige‘ Worte fassen. ‚Richtig‘ ist kontextabhängig, beispielsweise diplomatisch und euphemistisch im politischen Kontext; empathisch und zugewandt im privaten Kontext; indirekt und zurückhaltend im hierarchischen Kontext.

Im überlasteten Zustand kann ich zunehmend nur noch denken. Eine einigermaßen verständliche verbale Äußerung ist mir ab einem gewissen Stresslevel nicht mehr möglich, außer natürlich, ein Schreianfall zählt zu einer verständlichen verbalen Äußerung.

Auf Normallevel kann ich damit umgehen, wenn jemand sich nicht klar und deutlich ausdrückt. Je überlasteter ich bin, desto mehr verstehe ich aber alles, was gesagt wird, wörtlich. Ich kann dann auch nicht mehr für andere mitdenken oder mich in sie hineinversetzen. Das ist dann alles unerreichbar weit weg.

Es ist keine Absicht, wenn ich in einem Überlastungszustand unhöflich wirke, das muss man wissen. Man kann mich gerne fragen, wie ich etwas gemeint habe, aber bitte erst, wenn ich wieder auf Normalstresslevel bin. Überlastet reagiere ich in den Augen Außenstehender seltsam, aus der Innensicht ist meine Reaktion aber keineswegs seltsam, sondern eine Folge meiner Wahrnehmung.

Bei zu viel Stress mutiere ich nicht urplötzlich zu einem Alien. Ich bin immer dieses Alien. Bei zu viel Stress bricht schlicht und ergreifend die Fassade weg, die ihr von außen seht, so lange ich sie aufrechterhalten kann.

Bildquelle: Peter John Acklam (15.03.2007). The exponential function. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Exp.svg CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons


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Der Scheinwerfer-Effekt

Meine Blogbeiträge befassen sich – wenig überraschend, weil das Bereiche sind, in denen ich vor den meisten Herausforderungen stehe – immer wieder mit Themen aus den Bereichen Kommunikation und Interaktion. Zur Zeit beschäftigte ich mich wieder einmal intensiv mit meiner eigenen Art und Weise, zu kommunizieren. Diesmal geht es um ein Phänomen, das ich als Scheinwerfer-Effekt bezeichne.

Wie bereits öfter ge- und beschrieben, tue ich mir in Gruppen schwer damit, mich einzubringen und mich mit anderen auszutauschen. Daneben oder dabei stehen und die anderen beobachten ist nicht das Problem, das mache ich, so lange ich mich überhaupt zurückerinnern kann. Aber mich in einer Gruppe größer zwei Personen unterhalten, ist für mich weder angenehm noch etwas, das ich gut beherrsche.

Mehrere Personen haben mir schon rückgemeldet, dass ich mich in Gruppen nicht so zurückhalten solle, sie seien sich sicher, dass ich inhaltlich viel beitragen könne. Es ist aber nicht so, wie es von außen aussieht. Mein Verhalten als „ich hielte mich zurück“ fehl zu interpretiert, impliziert, dass ich es auch anders bzw. besser können würde. Kann ich nur leider nicht. Nicht „will ich nicht“, sondern „kann ich nicht“.

Es ist eben nicht so, dass ich mich nur trauen müsste, mehr aus mir herauszugehen, dass ich selbstbewusster werden müsste, dann könnte ich mich in Gruppen mündlich mehr einbringen. Am mir meiner selbst bewusst Sein fehlt es mir garantiert nicht. Gezwungenermaßen habe ich ein Expertenniveau in reflexiven Fähigkeiten erreicht.

Was in Gruppensituationen passiert ist, dass ich günstigstenfalls in einem intensiven Zweiergespräch lande und zwar mit der Person, deren Inhalte mich am meisten interessieren und mit der ich einen sinnvollen Austausch für möglich halte. Denn ein echter Austausch, ein wechselseitiges Gespräch ist mir offenbar nur zu zweit möglich. Meine Art der Kommunikation führt aber dazu, dass sich anderen dabei nicht mehr wohlfühlen.

Eine Person, die mich gut und lange kennt, hat mir aus ihrer Sicht beschrieben, wie solche Situationen auf sie wirken: Wenn [hier Name einer Person, mit der ich mich ausgezeichnet austauschen kann einsetzen] auch da ist, würde ich mich exzessiv nur noch […] zuwenden, so dass sie selbst sich überflüssig vorkomme und sich frage, weshalb sie bei uns beiden bleiben sollte. Mein Kommunikationsverhalten wirke auf sie sehr abweisend, sie würde sich zurückgesetzt fühlen, obwohl sie inzwischen wisse, dass ich mich nicht mit Absicht so verhalten würde. Trotzdem sei es schwer für sie, damit umzugehen.

Ich habe das, was in solchen Situationen passiert, für mich den Scheinwerfer-Effekt genannt. Es ist, als würde ich den Scheinwerfer meiner gebündelten Aufmerksamkeit auf die Person, der ich mich zuwende richten und alle anderen verschwinden im Schatten. Auf diese Weise schaffe ich es auch, mich einigermaßen unauffällig in Gruppen zu unterhalten, wobei ich den Effekt nicht absichtlich herbeiführe.

Warum ist das so? Ich vermute, ich bin nicht fähig, mich mehr als einer anderen Person gleichzeitig zu widmen und meine Aufmerksamkeit aufzuteilen. Also hyperfokussiere ich auf diese eine Person und blende dabei alle anderen komplett aus. Bei mehr als zwei Personen UND (als Bedingung) wenn das Gesprächsthema wenig von meiner kognitiven Aufmerksamkeit beansprucht, schaffe ich es, schnell genug zwischen den Personen hin und her zu wechseln, dass der Scheinwerfer-Effekt aus der Außensicht nicht ganz so offensichtlich präsent ist. Im Grunde unterhalte ich mich aber immer nur mit genau einer anderen Person.

Bildquelle: Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay (27.05.2012). https://pixabay.com/de/vectors/scheinwerfer-licht-searchlamp-297727/


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Barrierefreie Gespräche mit mehr als zwei Personen? Grenzen des kommunikativen Möglichkeitsraumes bei Autismus

Ich möchte mit diesem Beitrag am heutigen Welt-Autismus Tag auf eine grundsätzliche Kommunikationsbarriere hinweisen, die aus meinem Autismus resultiert. Das Folgende ist kein Angriff auf bestimmte Personen, ich beschwere mich nicht, dass jemand mich unfair behandelt hat und der Text bezieht sich auf eine Vielzahl an Situationen, die ich in immer wieder ähnlicher Weise erlebt habe und erlebe.

Ich fühle mich nach Gesprächen mit mehr als zwei Personen häufig restlos ausgelaugt. Denn solche Gespräche ermöglichen für mich keine gleichberechtigte, geschweige denn eine barrierefreie Kommunikation. Meine kommunikativen Voraussetzungen, die ich ich aufgrund meines Autismus mitbringe, werden in der Regel als „schlechter“ bewertet, was ich als unfair empfinde. Es frustriert mich, dass meine kommunikativen Möglichkeiten in den Augen von nicht in dieser Weise kommunikationsbehinderten Menschen weniger wert sind.

Denn als „normal“ bzw. „besser“ gilt, dass man sich auch in einer Unterhaltung mit mehr als einer Person problemlos mündlich und in ganzen Sätzen ausdrücken kann. Dass einem höfliche Formulierungen flüssig über die Lippen kommen, man sofort bemerkt, wie Einzelne in einer Gesprächsrunde gestimmt sind und flexibel darauf reagieren und auf alle eingehen kann. Dass man alle im Blick behalten kann, die Äußerungen aller mitbekommt und im besten Fall auch noch richtig versteht.

All dies sind jedoch Dinge, die außerhalb meines kommunikativen Möglichkeitsraumes liegen.

Eines der großen Missverständnisse, das eine riesengroße Barriere für mich darstellt ist, dass angenommen wird, dass ich unsachlich kommuniziere, weil ich mich aus der Außensicht in solchen Gesprächsrunden sehr schnell „aufrege“. Nur ist das kein „ich rege mich auf“, sondern ich lande schon wegen der zu vielen Gesprächspartner*innen und der für mich unpassenden Rahmenbedingungen in solchen Gesprächsrunden in einem Überlastungszustand.

Hier noch einige Beispiele für das, was ich unpassende Rahmenbedingungen nennen: Wenn es keine verbindlichen Kommunikationsregeln gibt, durcheinandergeredet wird und oder sich während einer spricht, zwei andere austauschen. Wenn um mich herum neben dem eigentlichen Gespräch zu viel anderes los ist. Wenn Kacheln in Videokonferenzen kein Bild anzeigen, weil jemand sich nur per Telefon eingewählt hat und ich mangels Hinweisreizen jedesmal, wenn diese*r Teilnehmer*in etwas sagt überrascht bin und oft nicht zuordnen kann, wer gerade spricht.

Erschwerend hinzu kommen meine persönlichen Einschränkungen: Wenn ich nicht gleichzeitig mehrere Gesichter im Auge behalten kann und so nicht schnell genug eine Lücke finde, um mich auch einmal einzubringen, ohne jemanden zu unterbrechen. Wenn die Lautstärke, mit der die Leute sprechen, unterschiedlich ist und ich bei Videokonferenzen ständig damit beschäftigt bin, den Lautstärkeregler zu bedienen, so dass ich große Teile des Mitgeteilten nicht mehr mitbekomme. Oder ich mir bei Gesprächen in Präsenz je nach Sprecher*in abwechselnd ein Hörgerät oder einen Gehörschutz wünsche. Wenn einer der Gesprächspartner*innen blümerant riecht und ich krampfhaft versuche, meinen Fluchtimpuls deshalb zu unterdrücken. Wenn Personen raumgreifend gestikulieren und ich neben der Ablenkung durch das für mich seltsam anmutende Gewedele auch noch aufpassen muss, nicht versehentlich berührt zu werden. Wenn jemand mit seiner Mimik Relevantes für das inhaltliche Verständnis ausdrückt, das mir jedoch völlig entgeht, weil ich irgendwohin, jedoch nicht in dessen Gesicht gesehen habe. Oder falls ich einen wenigstens kurzen Augenblick hingesehen habe, diese Mimik nicht entschlüsseln konnte.

Wenn dann noch dazu kommt, dass zusätzlich mein Gerechtigkeitssinn verletzt wird wegen kommunizierter Inhalte oder die Inhalte Assoziationsketten hervorrufen, die emotional Belastendes in mir auslösen, wird Kommunikation für mich niemals gleichberechtigt ablaufen, egal, ob mit nur einer oder mit mehr als zwei Personen. Denn ich kann meine mich überrollenden inneren Zustände nicht verhindern und lande unweigerlich in einem Überlastungszustand. Nicht ich will nicht, sondern ich kann es nicht. Das ist bereits mein Leben lang so. Zuerst gilt mein Tonfall nicht mehr als „angemessen“. Danach laufen mir die Tränen übers Gesicht und ich will nur noch weg, abhauen aus dieser Situation. Spätestens dann kommt mein Gegenüber zu dem unweigerlichen Schluss, dass ich unsachlich bin, sofern ich es schaffe, da zu bleiben und noch zu versuchen, inhaltlich etwas beizutragen. Da ist es dann auch egal, was ich sage, reagiert wird nur noch darauf, wie ich es sage. Wenn ich es nicht schaffe und die Flucht ergreife, gelte ich sowieso als hysterisch.

Meine Überlastungszustände tragen dazu bei, dass ich nicht ernst genommen werden. Außerdem werden sie mir zum Vorwurf gemacht. Dabei bin ich in Wirklichkeit nicht zu emotional oder unsachlich. Denn ich analysiere trotz meines „aufgeregten“ Zustandes die kommunizierten Inhalte. Logikfehler und Widersprüche fallen mir unweigerlich auch dann noch auf und ich spreche sie teilweise sogar an, denn erstaunlicherweise funktioniert mein Gehirn in punkto Fehlererkennung auch im überlasteten Zustand. Hysterisch ist das also nicht. Es ist autistisch. Ich kann nichts für meinen „aufgeregten“ Zustand“ und kann auch nichts dagegen tun.
Mein kommunikativer Möglichkeitsraum gibt es nicht her.

Nicht-autistische Menschen können nur schwer begreifen, dass und in welchem Maß ich kommunikationsbehindert bin, aber meinem Erleben nach bin ich das. Ich wirke von außen nicht behindert, ich kann mich streckenweise sehr eloquent äußern, insbesondere schriftlich. Das führt dazu, dass erst gar kein Problembewusstsein dafür entsteht, dass ich keine Chance auf eine gleichberechtigte Teilhabe in Gesprächen habe, weil ich einigermaßen passabel funktioniere und meine Schwierigkeiten relativ gut verstecken kann. Natürlich wird immer wieder aufs Neue von mir erwartet, dass ich genauso wie alle anderen mit denselben Bedingungen klarkomme.

Aus meiner Perspektive bedeutet das fehlende Problembewusstsein meiner Umwelt, dass ich an allen Fronten kämpfen muss. Kämpfen darum, es zu schaffen, an solchen Gesprächen irgendwie teilzuhaben, kämpfen mit all den unpassenden Rahmenbedingungen, kämpfen mit dem Unverständnis, wenn ich dann doch immer wieder überlastet reagiere. Kämpfen mit den Grenzen meines autistischen Möglichkeitsraumes und im Grunde damit gegen mich selbst. Das ist definitiv keine barrierefreie Kommunikation und wird es so auch nie sein.

Deshalb braucht es Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung. Redundante Aufklärung, weil nur allzu schnell wieder aus den Augen verloren wird, was ich und inzwischen glücklicherweise immer mehr andere Autistinnen und Autisten euch erklärbärenmäßig persönlich, in Poscasts, Interviews sagen oder schreiben und sich die Finger beim Versuch wund tippen, euch zu erklären, was Autismus ist, wie es sich als Autist*in in einer nicht für Autist*innen gestalteten Welt lebt und was Autismus in letzter Konsequenz bedeutet. Auch das ein stetiger Kampf – gegen das wiederkehrende Vergessen und für ein bisschen mehr Verständnis.

Bildquelle: Bianca Van Dijk auf Pixabay (12. Jan. 2022). https://pixabay.com/de/illustrations/gehirn-spektrum-autismus-bunt-kopf-6928983/


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Wörtliches Verstehen ist gar nicht so lustig

Dass Autistinnen und Autisten vieles wörtlich verstehen, kann man in diversen Publikationen nachlesen und hört man auch immer mal wieder auf Vorträgen. Zur Verdeutlichung werden Beispiele genannt und jeder, der diese Beispiele liest oder hört, amüsiert sich darüber.

Ich gehöre zu den Menschen auf dem Spektrum, die tatsächlich sehr vieles wörtlich verstehen. Und zwar immer noch. Um zu verdeutlichen, was wörtliches Verstehen bedeutet, erkläre auch ich es Interessierten anhand von Beispielen. Die bei mir stets aktuell sind, eben, weil es mir trotz meines Alters immer noch passiert und das übrigens gar nicht so selten.

Wenn ich Anekdoten des wörtlichen Missverstehens erzähle, dann klingen die von außen gesehen natürlich lustig. Und ich selbst, als diejenige, der das schon wieder einmal passiert ist, lache zusammen mit den anderen. Was sollte ich auch sonst tun? Verzweifeln ist ja keine Option. Aber hey, Leute, es macht keinen Spaß, die Protagonistin solch „lustiger“ Anekdoten zu sein. Immer wieder, immer noch. Trotz aller Lebenserfahrung. Es macht keinen wirklichen Spaß, zu so vielen Gelegenheiten damit konfrontiert zu werden. Es frustriert mich und ich komme mir Jedes. Einzelne. Mal. ziemlich dämlich vor, wenn ich darüber stolpere, dass ich wieder einmal etwas wörtlich und damit leider falsch verstanden habe.

Denn dieses wörtliche Verstehen hat natürlich Folgen und meistens sind die nicht wirklich spaßig. Im Beziehungs- oder Arbeitskontext normalerweise schon gar nicht. Normalerweise deshalb, weil ich das große Glück habe, einen humor- und verständnisvollen Partner und eine Arbeitsumgebung mit Kolleginnen und Kollegen zu haben, wo tatsächlich jeder mit all seinen Eigenarten wertgeschätzt wird und zwar in echt, nicht nur auf dem Papier. Hier ein Paar der Anekdoten aus jüngerer Zeit. Hahaha.

Es besteht die Gefahr, dass ich ein Meeting versäume, wenn der Termin für das „Jour fixe“-Meeting verlegt wird, damit aber eigentlich ein anderes Meeting gemeint ist. Das relevante Detail, dass die Mitteilung, dass das „Jour Fixe“ verschoben wird, nur Personen mitgeteilt wurde, die normalerweise bei diesem anderen Meeting mit dabei sind, ist mir aber leider erst aufgefallen, während ich laut sagte, dass der Termin fürs „Jour Fixe“-Meeting doch verschoben worden wäre und ich dadurch allgemeine Verwirrung ausgelöst hatte.

Es kann vorgekommen, dass ich wertvolle Arbeitszeit darauf verschwende, nachzuprüfen, in welche Richtung Personen auf Bildern schauen, nur, weil unter mitgeposteten Bildern steht: „X und ich schauen gerade“. Dass damit eine Online-Veranstaltung gemeint war, an der X und Y just in dem Moment teilgenommen hatten, hatte sich mir erst nach einiger Zeit erschlossen, zumal eine meiner Aufgaben an diesem Tag darin bestand, für ein Projekt erstellte Inhalte zu peer-reviewen. Deswegen hatte ich den Satz in eben diesem Kontext verstanden und versucht, Feedback zur Blickrichtung der Personen auf den geposteten Bildern geben zu können, was mir natürlich misslang.

Über Missverstehen, das nur ich bemerke, kann ich lautlos hinweggehen. In Situationen, wo sich mein Missverstehen quasi öffentlich auflöst, entschuldige ich mich und versuche nach Möglichkeit zu erklären, wie es dazu kommen hat können. Wenn das zu viel Zeit kosten würde, lasse ich es aber. Schon weil ich mir unsicher bin, ob meine Versuche, das Phänomen des wörtlichen (Miss)Verstehens zu erklären, überhaupt irgendjemanden weiterbringen. Mich offensichtlich ja nicht, weil es mir immer wieder passiert.

Was mich zugegebenermaßen beunruhigt ist, dass ich nicht weiß, wie hoch der Anteil ist, bei dem ich Dinge falsch, weil wörtlich verstanden habe. Denn ich kann ja nur die Anekdoten zum Besten geben, bei denen dieses Missverstehen sich für mich aufgelöst hat. Übrigens: Latent verunsichert zu sein, ist ebenfalls nicht lustig.

Bildquelle: Peggy und Marco Lachmann-Anke (2017, 31. Juli). https://pixabay.com/de/illustrations/sprache-a-b-c-abc-m%c3%a4nnchen-2557036/


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Datenschutz

Gerade im Beratungsbereich, in dem es um sensible Themen geht, sollte Datenschutz einen hohen Wert haben, wird aber nach meiner Beobachtung leider oftmals nicht wirklich ernst genommen. In Beratungsstellen muss man sich meiner Meinung nach auch darauf verlassen können, dass eine private E-Mail-Adresse privat bleibt, wenn man angegeben hat, dass diese nicht veröffentlicht werden soll. Selbst wenn man seine E-Mail-Adresse „nur“ für den Erhalt von Newslettern und Informationen angegeben hat.

Was ist passiert? Eine Einladung zu einem Event wurde mit einem offenen E-Mail Verteiler versendet. In diesem offenen Verteiler sind für alle im Verteiler befindlichen Personen – in zwar niedriger, aber immerhin dreistelliger Anzahl – alle E-Mail-Adressen der anderen sichtbar, inklusive der Klarnamen, unter denen diese E-Mail-Adressen abgespeichert wurden. Soweit, so schlecht. Ein Gesetzesverstoß nach DSGVO und in diesem Fall wurden leider darüber hinaus auch besonders schützenswerte Daten offengelegt. In diesem Verteiler befanden sich E-Mail-Adressen nebst den Klarnamen von Personen, die der Beratungsstelle explizit mitgeteilt hatten, dass sie anonym bleiben wollten. Dazu veraltete E-Mail-Adressen, deren Besitzer bereits vor längerer Zeit schriftlich darum gebeten hatten, diese alten Adressen zu löschen und E-Mail-Adressen inkl. Klarnamen von Personen, die vor Monaten darum gebeten hatten, aus dem Verteiler gelöscht zu werden. Außerdem wurden personenbezogene Daten offengelegt, die unter den Artikel 9 der DSGVO fallen.

Es ist schlimm genug für die Personen, deren private E-Mail-Adresse über diesen offenkundig lax gehandhabten Datenschutz offengelegt wurden. Das jedoch abzutun mit der Bemerkung „Den Verteiler liest doch eh niemand“ und meine Antwort: „Doch, ich zum Beispiel“ mit einem Schulterzucken und dem Satz „Wo gehobelt wird, fallen Späne“ zu kommentieren, zeigte meiner Ansicht nach nicht nur einen erschreckenden Mangel an Einsichtsfähigkeit in die Notwendigkeit, Datenschutzbestimmungen einzuhalten, sondern auch eine problematische innere Haltung.

Was bei einer solchen „Argumentation“ von der Person, die diesen offenen E-Mail-Verteiler verbockt hat, völlig vergessen wurde: Es geht nicht um sie oder ihn. Es geht auch nicht darum, dass diese Person auch mal „einen“ Fehler (Anmerkung: nach meiner Recherche war es beileibe nicht das erste Mal) machen darf, wo sie oder er sich doch eh schon so lange (Anmerkung: umso schlimmer, Datenschutz hat in dieser Beratungsstelle offenbar schon lange keinen großen Stellenwert) engagiert für die Klientinnen und Klienten einsetzt (Anmerkung: im Rahmen einer bezahlten Arbeit) und sich jetzt wegen einer solchen Kleinigkeit, wie einem offenen E-Mail-Verteiler völlig überzogen aufgeregt wird (Anmerkung: so kam die Reaktion bei mir an). Es geht grundsätzlich darum, dass in Beratungsstellen Daten von Klientinnen und Klienten aus gutem Grund geschützt werden sollten. Datenschutzgesetze mögen manchen in solchen Stellen arbeitenden Personen übertrieben vorkommen, aber es sind Gesetze, an die sich diejenigen, die dort arbeiten, halten müssen. Es sind keine nice-to-have Bestimmungen, über die man einfach mal so eben hinwegbügeln kann, weil man es eilig hatte oder besonderes engagiert ist. Von einer Fachkraft in einer Beratungsstelle erwarte! ich schlicht und ergreifend, dass sie sich an geltendes Recht hält und bin deshalb meiner Ansicht nach berechtigt aufgebracht, wenn sie es nicht tut.

Die „Argumentation“ zeigte meines Erachtens außerdem fehlenden Respekt davor, was die derart lapidar abgetane Datenschutzverletzung für Klientinnen und Klienten bedeutet, die darauf vertraut hatten, anonym zu bleiben und jetzt vor dem Problem stehen, sich eine neue private E-Mail-Adresse zulegen zu müssen. Achtung! Falls jemand auf die Idee kommen sollte einzuwenden, dass man halt die eigene private E-Mail-Adresse nicht herausgeben hätte dürfen, sondern sich extra für den Zweck, sie für E-Mail-Verteiler anzugeben, ein alternatives E-Mail-Postfach hätte zulegen sollen, sollte dieser jemand mal darüber nachdenken, dass das eine Täter-Opfer Umkehr ist.

Außerdem: Manche Menschen sind evtl. überfordert damit, mehrere E-Mail-Postfächer zu managen. Zudem gibt es Menschen, die in dem Moment, in dem sie eine E-Mail-Adresse angeben sollen, leider nur ein E-Mail-Postfach haben. In Zukunft, nach so einer Erfahrung, werden sie Vorsichtsmaßnahmen, wie eine alternative E-Mail-Adresse umsetzen, aber ihre gewohnte E-Mail-Adresse müssen sie erst einmal ersetzen. Das ist besonders für Menschen schwierig, denen Veränderungen aufgrund ihrer Behinderung nicht leichtfallen, beispielsweise Menschen auf dem Autismus-Spektrum. Es ist meiner Ansicht nach überaus bedenklich, wenn ausgerechnet eine Fachkraft einer beratenden Stelle für Autismus auf die berechtigte Beschwerde einer autistischen Klientin oder eines autistischen Klienten wie oben geschildert reagiert.

Noch dazu, wenn eine sich über den fehlenden Datenschutz beschwerend habende Person gleichzeitig selbst Fachkraft in einer anderen Beratungsstelle ist und sich offenkundig bestens mit Datenschutz auskennt. Uuund *seufz* hier bin ich wieder einmal bei der häufig „fehlenden Augenhöhe“ angekommen, wenn man als Autistin oder Autist mit nichtautistischen Fachkräften zu tun hat. Aber das ist ein anderes Thema.

Bildquelle: Peggy und Marco Lachmann-Anke (2020, 27. April). https://pixabay.com/de/photos/mann-eu-europa-gesetze-dsgvo-5098525/


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Masterstudium – das Ende kann auch ein Anfang sein

Ich habe es geschafft! Ich habe mein Masterstudium tatsächlich erfolgreich abgeschlossen. So richtig angekommen ist das bei mir noch nicht. Es fühlt sich seltsam an, jetzt eigentlich sehr viel mehr Freizeit zu haben, weil ich nicht mehr neben der Arbeit noch jeden Tag bis spätabends an meiner Masterarbeit sitzen muss. Eigentlich deshalb, weil ich es seit der Verteidigung und damit dem Ablegen der letzten Prüfungsleistung einfach nicht fertiggebracht habe, nach meiner offiziellen Arbeitszeit den Laptop herunterzufahren und mich anderen Dingen zu widmen. Stattdessen hatte ich gestern schon wieder begonnen, zu einem neuen Thema zu recherchieren. Und liegengebliebene bürotechnische Dinge von dem Papierstapel abzuarbeiten, der sich auf meinem Schreibtisch türmt.

Es ist nicht so, dass ich mich langweile. Vermutlich bin ich dazu gar nicht fähig. Aber ich glaube, ich muss erst wieder lernen, wie „Freizeit“ geht. Mal wieder ein Buch zur Hand nehmen und mich darauf einlassen, etwas zu lesen, das nichts mit wissenschaftlicher Forschung zu tun hat. Ich bin nur noch nicht so weit. Ich muss erst realisieren, dass ich jetzt wirklich fertig bin mit diesem Studium. Am Ende meiner Online-Verteidigung saß ich vor dem Bildschirm und habe die Professorin gefragt „Bin ich jetzt wirklich fertig?“, woraufhin sie mir lächelnd bestätigt hat, dass es für mich jetzt nichts weiter zu tun gäbe. Ich müsse nur noch darauf warten, dass das Prüfungsamt mir mein Zeugnis und die Masterurkunde zusendet.

Das heißt auch, dass ich mich nicht mehr um Rückmeldefristen kümmern muss. Und auch, dass ich exmatrikuliert werde, etwas, das ich mir so gar nicht vorstellen kann und wo sich sofort innere Widerstände melden. Also hatte ich gestern auf den Webseiten der Fernuniversität Hagen nach anderen Masterstudiengängen gesucht, für die ich mich einschreiben könnte. Ich kann mir nicht vorstellen, jemals mit dem Studieren bzw. dem Lernen aufzuhören, denn lebenslanges Lernen ist für mich nicht nur ein Schlagwort, sondern eine gelebte Haltung.

Zu meinem größten Glück darf ich seit fast einem Jahr beruflich in einem Umfeld arbeiten, in dem ich meine Talente auch einsetzen kann. Weil ich es geschafft habe, mein Masterstudium rechtzeitig zu beenden, kann ich in diesem Umfeld bleiben. Und erhalte die Chance, die nächsten Jahre etwas zu tun, was mir so richtig Spaß macht: Ich darf wissenschaftlich arbeiten und forschen. Insofern lebe ich lebenslanges Lernen auch in meiner Arbeit. Ich habe nach all den Jahren des Scheiterns im Arbeitsleben doch noch meine Nische gefunden. Beim Schreiben dieser Zeilen lächle ich sehr breit, weil ich zutiefst dankbar bin. Es ist unbeschreiblich wertvoll, endlich meinen Platz in der Arbeitswelt gefunden zu haben. Ja, ich weiß, spät, aber besser spät als nie. Und: Es ist nie zu spät.

Ich wünsche jedem, der das liest, dass ihr auch euren Platz findet. Aus meiner eigenen Erfahrung heraus bitte ich euch: Gebt nicht auf. Auch wenn ihr sehr lange Zeit keine Erfolgserlebnisse habt, wenn ihr auf Widerstände trefft, sucht weiter, geht einen anderen Weg, aber gebt euch und eure Träume nicht auf.

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay: Peggy_Marco (2016, 23. Nov.). https://pixabay.com/de/photos/wei%c3%9fe-m%c3%a4nnchen-3d-model-freigestellt-1834086/


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Erfahrungen einer Autistin in der psychosomatischen Reha in der ZAR-Klinik Regensburg

Ich war im Juni / Juli für fünf Wochen in einer ambulanten psychosomatischen Reha in der ZAR Klinik Regensburg und hatte in diesem Blogbeitrag geschrieben, dass ich berichten werde.

Es gab das in solchen Kliniken übliche Spektrum an Therapieangeboten, deren Ziel es ist, wieder einen vorherigen normalen, möglichst gesunden Zustand der Patienten herzustellen. Dabei wird von einer Vorstellung von Gesundheit und Normalität ausgegangen, in das ich nicht passe. Viele meiner gesundheitlichen Schwierigkeiten resultieren aus dem zugrundeliegenden Autismus. Ein vorheriger, nichtautistischer Zustand kann also gar nicht hergestellt werden. Die angebotenen Lösungen passten, wie so oft, größtenteils nicht zu meinen Problemen.

Es gab psychoedukative und informative Vorträge, die mich zwar nichts Neues lehrten, aber immerhin kompetent und mit ansprechenden Folien garniert vorgetragen wurden. Angeboten wurden zudem Entspannungsgruppen, wie QiGong oder PMR, ich entspanne mich aber besser alleine in einer geschützten Umgebung und nicht zusammen mit mir fremden Leuten in entweder stickigen – weil geschlossene Fenster – oder lauten Räumen bei Baulärm von draußen . Ich sehe keinen gesteigerten Sinn dahinter, mich mit einem Qiu-Ball auf einen unbequemen Stuhl zu setzen und diesem – im Rhythmus von blauen LEDs mitatmend – dabei zuzusehen, wie er von rot nach grün und zurück wechselnd leuchtet, denn ich denke nicht, dass er etwas anderes messen kann, als den Puls. Insbesondere sah ich spätestens dann keinen Sinn mehr, nachdem ich ihn auf einem Holztisch abgelegt hatte, um das Biofeedback zu validieren. Der Tisch war apfelgrün tiefenentspannt, kein Wunder, er hatte ja auch eine superlangsame Atmung und niedrigen Puls. Nordic Walking, bei dem ich vorher in einen engen Bus steigen muss, um irgendwohin gefahren zu werden, wo ich dann zusammen mit anderen vor mich hinstöckle, entstresst mich kein bisschen. Sport und Bewegung könnte mir helfen, aber nur, wenn ich mich nicht mit mindestens fünfundzwanzig anderen Leuten bewegen muss.

Daneben gab es die wöchentlichen Einzelgespräche mit der Bezugstherapeutin, bei fünf Wochen Reha- Aufenthalt sind das realiter drei Mal inhaltliche freie 50 Minuten Gespräch mit einer Psychotherapeutin, die ich nicht kenne und bei der die Schwierigkeit für mich bestand, es in der Kürze der Zeit überhaupt zu schaffen, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Das Gespräch in der ersten Woche fand am Aufnahmetag statt, an dem ich nicht besonders aufnahmefähig war, weil ich damit beschäftigt war, mich zurechtzufinden und das Abschlussgespräch diente der Abarbeitung ihres Fragenkataloges und endete mit einem aprupten Gesprächsabbruch auf meine Nachfrage, wie sie meine soziale Kompetenz einschätzen würde. Ich brauche erfahrungsgemäß länger als andere, um mich zu orientieren und irgendwo anzukommen. Bei fünf Wochen Reha war ich erst in der letzten Woche dabei, richtig anzukommen. Insgesamt hatten mich also diese Einzelgespräche erwartungsgemäß in meiner persönlichen Entwicklung nicht sonderlich weitergebracht. Aber das hatte ich ihr ja auch schon im Aufnahmegespräch mitgeteilt. Eine Verlängerung der Reha kam für mich aus verschiedenen Gründen nicht in Frage.

Es gab einen Raum mit modernen Fitnessgeräten, die Einführung in der ersten Woche schaffte ich nicht, weil ich nicht so lange durchhielt und früher nach Hause ging, also fand die Einführung erst in der zweiten Woche statt. Insgesamt war ich nur viermal in diesem Raum, von der Klinik geplant hätte ich zweimal pro Woche dort trainieren sollen. In meinem wöchentlichen Therapieplan wurde das Training aber meistens nach dem Mittagessen eingeplant und nach dem Mittagessen war ich sehr selten noch in der Reha-Klinik anwesend. Die wenigen Male, die ich trainiert habe, gab es für meinen Geschmack etliche Störfaktoren, die mich belasteten und zu viel Energie kosteten, wie Hintergrundmusik, der Geruch des Desinfektionsmittels, mit dem die Geräte abgewischt werden mussten, die Duftauren mancher Leute und schlicht zu viele herumstolpernde und laufende Leute.

Der Ergotherapieraum war klein, es gab eine recht überschaubare Menge an Material und Möglichkeiten fürs Basteln für Erwachsene. Für mich war nichts grundlegend Neues dabei. Klar hätte ich zur Abwechslung ja auch mal einen Korb flechten können, statt schon wieder Mosaiksteine auf irgendeinen Gegenstand zu kleben. Nur hatte ich in der ersten Woche bereits gewohnheitsgemäß damit begonnen, als mich die Therapeutin fragte, was ich machen wollen würde. Weil ich mir dachte, dass ich den Tontopf erst einmal fertig bekleben sollte, blieb am Ende keine Zeit mehr fürs Korbflechten.

Dann gab es natürlich die wohl obligatorische Kunsttherapie. Ich bin die ersten Male hingegangen und habe versucht, einen tieferen Sinn darin für mich zu finden, mich mit verschiedenen Materialien auszudrücken und für was auch immer zu öffnen. Aber erstens kann ich immer noch nicht malen und es macht mir keinen Spaß und zweitens war es nur eine weitere, für mich sinnfreie Gruppentherapie mit nach meinem Empfinden immer neuen Leuten in der Gruppe. Zwei Mitpatienten konnte ich in der zweiten Woche immerhin wiedererkennen, aber vom Rest hätte ich geschworen, diese Leute noch nie vorher gesehen zu haben. Diese ständig wechselnde Besetzung der Gruppen war ein grundsätzliches Problem für mich. Ich wusste nie vorher, mit welchen Mitpatienten ich es zu tun haben würde. Außerdem konnte ich keinen Mitpatienten näher kennen- und einschätzen lernen. Unter diesen Umständen war es mir nicht möglich, mich nennenswert zu öffnen und den mir fremden Leuten höchstpersönliche Dinge zu erzählen.

Immerhin zweimal war ich am Freitag in einer Wochenabschlussrunde mit dabei, bevor ich es als für mich nicht hilfreich verwarf. Dort vernahm ich mit Erstaunen, dass für viele Mitpatienten die Kleingruppe und Musik und Bewegung ein Highlight der Woche gewesen waren. Für mich waren diese Angebote einfach nur stressig.

Die sogenannte Kleingruppe, in der es kein vorgegebenes Thema gab, sondern sich die Patienten jedes Mal ein eigenes zu besprechendes Thema einigen mussten, war mit mindestens sechs Personen für meine Bedürfnisse und die limitierte Zeit für eine tiefergehende Bearbeitung eines Themas schlicht zu groß. Es gab zwar einen moderierenden Therapeuten, der achtete jedoch nur am Anfang und Ende jeder Stunde darauf, dass reihum jeder zu Wort kam. Zu ihren Problemen, die die Mitpatienten in der Gruppe besprachen, konnte ich selten substanziell etwas beitragen, denn deren Lebensrealität unterschied sich zum Teil diametral von der meinen oder die in meinen Augen logische Lösung fand keinen Anklang. Erst am letzten Tag meines Aufenthaltes brachte ich mich mit einer eigenen, in der Reha akut aufgetauchten Problemlage ein. Dabei meldeten mir die Mitpatienten dieser Gruppenzusammensetzung – von einem immerhin war ich zweifelsfrei sicher, dass ich bereits in mehreren Gruppen mit ihm gemeinsam gewesen war – zu meinem Erstaunen zurück, dass keiner gewusst habe, dass ich Autistin sei. Sogar der mir bekannte Mitpatient meinte, ich hätte das viel früher mitteilen sollen, dann hätte man mein Verhalten viel besser verstanden. Ich war davon ausgegangen, dass sowohl die Therapeuten als auch die Mitpatienten wussten, dass ich Autistin bin, ich hatte von Anfang an kein Geheimnis daraus gemacht und mich meiner Erinnerung nach in annähernd jeder Gruppensituation einmal auf das Thema Autismus referenziert. Ich hätte mir wohl ein Schild umhängen müssen, denn einmal kommuniziert ist in der Welt von Nichtautisten offenbar keinmal kommuniziert.

Musik und Bewegung hieß, in einem viel zu kleinen Raum mit viel zu vielen Leuten entweder im Kreis herumzustehen oder zu gehen und dabei irgendwelche Dinge zu tun, bei denen die meisten lachten, ich aber zu beschäftigt damit war, mich zu konzentrieren, um die geforderten Dinge auch nur annähernd hinzubekommen und dabei möglichst nicht in Berührung mit den Mitpatienten zu kommen. Musik wurde nur einmal gemacht, jeder durfte sich ein Kleininstrument, wie z. B. Triangel oder Ratsche aussuchen und dann sollte man darauf herumratschen, klopfen, plingen, rasseln, tschingen. Das Ergebnis war ziemlich laut, hatte jedoch mit dem, was ich unter Musik verstehe, eher nichts zu tun.

Es gab in meinem „optimal an die individuellen Bedürfnisse“ (Quelle: Infoflyer der Klinik) angepassten Therapieprogramm noch soziales Kompetenztraining, was bedeutete, mit schon wieder neuen Mitpatienten in einer Gruppe zusammen Arbeitsblätter zu bearbeiten und anhand kurzer Textszenen einzuschätzen, ob ein Verhalten unsicher, sicher oder aggressiv war. Sonderlich sozial kompetenter hat mich das nicht gemacht, aber das hatte ich auch nicht erwartet.

Die angepriesene hohe Therapiedichte war bei mir ja wegen meiner begrenzten Energieressourcen auf meinen eigenen Wunsch nicht gegeben. Ich hatte mich schon drei Wochen durch das Programm gekämpft. Ich war im Verlauf jeder Woche und von Woche zu Woche zunehmend frühzeitiger nach Hause gegangen. An einem besonders energieintensiven Donnerstag schlief ich beim vor der Türe auf den Beginn von PMR wartend ein. Meine Bezugstherapeutin hatte direkt gegenüber ihr Zimmer und bekam meine Erschöpfung deshalb diese eine Mal tatsächlich life zu sehen. Bis dahin hatte ich bereits vielfach mitgeteilt, dass ich zunehmend erschöpft sei. Ich war zwischen den Angeboten möglichst in den Ruheraum gegangen, um mich schlafend so weit zu erholen, dass ich weiter durchhalten konnte oder ich war gleich nach Hause gefahren. Ich konnte mich kaum darauf konzentrieren, was sie zu mir sagte und musste erst im Ruheraum eine Stunde tief und fest schlafen, bevor ich imstande war, nach Hause zu fahren. Weil mein Gehirn aber so arbeitet, dass ich Gespräche innerlich aufzeichne, fiel mir beim über die Situation Nachdenken auf, dass meine Therapeutin mich gefragt hatte, ob ich an diesem Donnerstag bereits an einem Therapieprogrammpunkt teilgenommen gehabt hätte. Sie hatte mich auch gebeten, am nächsten Morgen in die Visite zu gehen. Also fragte ich den Chefarzt, was für die Reha-Klinik besser sei: früher gehen oder den ganzen Tag krankgeschrieben sein. Er bestätigte mir meine Vermutung, dass die problemlose Variante das früher gehen sei. Wir vereinbarten, dass ich zukünftig an wenigstens einem Angebot täglich teilnehmen sollte und mir dazu jeden Tag etwas aus meinen Wochenplan aussuchen dürfte. Dies nutzte ich nur am Tag des auf 15 Uhr terminierten Abschlussgespräches aus, an den anderen Tagen nahm ich an mindestens zwei Therapieprogrammen teil. Den Rest der fünf Wochen konnte ich dank dieses Entgegenkommens eines aufs absolut notwendige Minimum reduzierten Therapieprogramms noch an der Reha teilnehmen, andernfalls hätte ich vorzeitig abbrechen müssen.

Ich halte, angesichts mangelnder Alternativen, diese Reha-Klinik für eine passable Wahl, um als Autistin in eine psychosomatische Reha zu gehen. Die Therapeuten, mit denen ich es zu tun hatte, haben zwar meines Erachtens nach kaum Ahnung von Autismus, sie sind aber sehr zugewandt und bemüht.

Mittagessen gab es in einer Fleisch- und einer vegetarischen Variante, wobei auf Allergien usw. leider keine Rücksicht genommen werden kann, denn das Essen wird angeliefert. Es gab am zweiten Tag eine Ernährungsberatung, in dieser konnte ich dann vereinbaren, dass ich am täglichen Mittagessen nicht teilnehmen kann bzw. muss und mir stattdessen eine Pauschale von 5,00 € pro Tag erstattet wird. Essen sollte ich mir von zu Hause mitbringen. Die Lösung des Problems, wo ich esse, wurde mir überlassen. Am ersten Tag hatte ich versucht, im Durchgangsbereich zu essen. Im Speiseraum, der eigentlich kein abgeschlossener Raum war, sondern ein Bereich neben der Rezeption, der durch eine Zwischenwand vom Kommen und Gehen der Patienten abgetrennt wurde, war es mir zu voll, zu laut und zu dunkel, denn es gab zwar Fenster, allerdings mit Aussicht auf hohes Gebüsch und außerdem wurde in diesem Bereich praktisch immer das Licht angeschaltet. Da mir der Seminarraum, der als Alternative angeboten wurde, zu voll war, wich ich ins Freie aus und suchte mir einen Platz hinter dem Gebäude auf einer Feuertreppe. Zum Glück regnete es die meisten Tage nicht, in einer anderen Jahreszeit ist das aber sicher keine Lösung.

Die Zusage, dass ich bei Bedarf meine Kopfhörer tragen darf, wurde nie autoritativ oder mittels demokratischer Gruppenentscheidung unterlaufen. Im Gegenteil, manche Therapeuten wiesen mich extra drauf hin, ich möge doch meine Kopfhörer aufsetzen, weil es laut sei. Zum Zeitpunkt meines Aufenthaltes wurde nämlich rund um das Gebäude gebaut. Auch die Zusage, dass ich nur je nach Energielevel an Therapieangeboten teilnehmen muss und es nicht sanktioniert wird, wenn ich aus Therapien einfach rausgehe, wurde eingehalten. Ich konnte täglich in die Chefarzt-Visite gehen, mitteilen, dass mir bestimmte Therapieangebote nichts bringen und sie wurden umgehend gestrichen oder durch andere Angebote ersetzt.

Leider gab es dabei Einschränkungen seitens des Kostenträgers, denn da ich in einer psychosomatischen Reha war, war es dem Chefarzt nicht möglich, mir öfter als zweimal pro Woche orthopädische Therapien anzubieten. Denn das, was ich gerne öfter im Wochenplan gehabt hätte, war der Hydro Jet. Dabei legte man sich alleine im Physiobereich in einer Kabine, am besten in Sportkleidung auf ein warmes Wasser“bett“ und konnte sich 20 Minuten lang von Wasserstrahlen durchmassieren lassen. Das jeweilige Programm und die Intensität (ich wählte immer 100%) konnte ich selbst auf einem Display anklicken. Hinterher war ich stets tiefenentspannt. Auf die Nachfrage meiner Psychotherapeutin und der behandelnden Ärztin, was mir am meisten in dieser Reha geholfen hatte, habe ich also geantwortet mit: Der Hydro Jet.

Bildquelle: Peggy_Marco (29.11.2012) URL https://pixabay.com/de/illustrations/psychologe-therapie-probleme-krank-1015488/


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Als Autistin in der medizinischen Reha

In Kürze beginnt meine medizinische Reha in einer Reha-Klinik.

Im Vorfeld habe ich mir viele Gedanken dazu gemacht. Die Überlegungen bezogen sich auch auf die Frage, ob ich diese Reha stationär oder ambulant durchführen möchte. Ambulant geht natürlich nur, wenn es im Umkreis des eigenen Wohnortes auch ambulante, erreichbare Angebote gibt. Für diejenigen, die diese Möglichkeit nicht haben, stellt sich die Frage also gar nicht und sie können den nächsten Absatz getrost überspringen.

Für jemanden wie mich, der die tägliche Sicherheit seines Zuhauses braucht und sich mit Veränderungen schwertut, ist eine ambulante Reha m. E. eine bessere Lösung, als irgendwo stationär in eine Klinik zu gehen. Ich ich habe jeden Tag mein sicheres Zuhause und meine Routinen und muss mich da also nicht mal eben für ein paar Wochen umgewöhnen. Weitere Vorteile sehe ich für mich darin, dass die Freizeitinteraktionen mit Mitpatienten nach Therapieende wegfallen. Für mich ist das ein wichtiger Punkt, auf den ich weiter unten noch näher eingehe.

In einem Vorgespräch hatten wir erfahren, dass sie sich in dieser Reha-Klinik mit Autismus so gut auskennen, wie anderswo – also bestenfalls ein paar vereinzelte Grundkenntnisse, evtl. gekoppelt mit Vorurteilen. Auf grundsätzliche Ablehnung oder den Versuch, mir meine Diagnose abzusprechen bin ich jedoch nicht gestoßen.

In dieser Klinik werden die üblichen psychosomatischen Therapien, wie wöchentliche Einzelgespräche mit einem Psychotherapeuten, Psychoedukation in der Gruppe, Kunsttherapie, Ergotherapie (meiner Erfahrung nach Werken für Erwachsene), Entspannung (PMR, autogenes Training), Achtsamkeit, QiGong, Wassergymnastik / Schwimmen / Sauna angeboten. Letzteres evtl. aber nicht, weil wegen Corona das Schwimmbad und die Sauna geschlossen sein können. Es gibt zwei extra Ruheräume neben dem Aufenthaltsbereich, in die man sich zurückziehen kann. Einer mit vier Liegen und einer mit ca. 12 Liegen. Drin waren bei dem Vorgespräch nur je eine Person und es herrschte erfreulicherweise auch tatsächlich Ruhe, was natürlich daran liegen mochte, dass sich ein Mensch allleine eher nicht in Smalltalk ergießt, so er nicht zu Selbstgesprächen neigt.

Es gibt jede Woche ein paar fixe Gruppentermine, die Gruppengröße wurde hier mit maximal 8 Personen angegeben. In den Sportangeboten können es jedoch schonmal bis zu 15 Personen sein. Um diese fixen Termine herum gibt es dann individuell auf mich und meinen Reha-Bedarf abgestimmte Wochenpläne.

Die gängigen therapeutischen Ansätze, mit denen man in einer Reha-Klinik behandelt wird, sind für Nichtautisten konzipiert. Bei diesen funktionieren die verwendeten Methoden wohl in der Regel. Ein Aufenthalt in einer Klinik, deren therapeutisches Angebot auf Nichtautisten ausgerichtet ist und in der die Besonderheiten, die mein autistisch Sein mit sich bringt, nicht mitberücksichtigt werden, kann aber sehr kontraproduktiv für mich sein.

Im Unterschied zu anderen hilft mir irgendetwas künstlich als Beschäftigungsmaßnahme zu unternehmen, vorzugsweise in der Gruppe, definitiv nicht. Mir fehlt es nicht an Beschäftigungsmöglichkeiten und Gruppentherapie an sich ist wegen meiner Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion in der Regel anstrengend für mich. Wenn Therapeuten ohne Wissen zu Autismus vom autistischen Patienten, der eh schon in einem überlasteten Zustand ist, weil der damit beschäftigt ist, sich an das Kliniksetting zu gewöhnen, verlangen, immer und überall ohne Ausnahme teilzunehmen, kann das ganz schnell zur Eskalation führen. Meinen letzten Klinikaufenthalt in einer Tagklinik musste ich nur deswegen nicht abbrechen, weil mir dankenswerterweise gerade noch rechtzeitig gestattet wurde, auf die Gruppentherapien zu verzichten, die mich viel zu viel Energie gekostet hatten.

Aus der therapeutischen Praxiserfahrung muss ein depressiver Patient wieder mehr unter die Leute gehen, damit es ihm bessergeht. Ich schließe keineswegs aus, dass es sogar Autisten gibt, denen das hilft. Mir hilft es nicht, weil das „wieder“ hier völlig fehl am Platz ist. Ich sehe keinen Sinn darin, für diese paar Wochen mein Freizeitverhalten zu ändern. Schon undepressiv treffe ich mich eher selten mit anderen. Ich brauche nunmal sehr viel Zeit, um mich zu regenerieren und „meine Batterien aufzufüllen“ (Sprachbild).

Aus meiner Praxiserfahrung geht es mir umso schlechter, je mehr ich unter Leute gehe. Und ich werde umso depressiver, je mehr ich dazu gezwungen bin, in depressivem Zustand unter Leute zu gehen. Es ist für mich außerdem deprimierend, wenn ich Unmengen meiner depressionsbedingt verknappten Energie darauf verwenden muss, sozusagen als Versuchskaninchen zu beweisen, dass Methoden, die den meisten anderen Menschen helfen, bei mir nicht anschlagen.

Apropos Erfahrungen: Als ich bei meinem letzten Klinikaufenthalt für die Therapeuten und Mitpatienten offenbar ungewöhnlich anmutende Bedürfnisse anmeldete, wurde ich, wie so oft im Leben, zum Störfaktor im standardisierten Klinikalltag und in der Therapiegruppe. Das ist keine schöne Erfahrung, die ich unbedingt wiederholen möchte.

Menschen hilft der Austausch untereinander normalerweise dann, wenn sie ähnliche Erfahrungen und ein ähnliches Erleben haben. Die meisten anderen haben aber nunmal nicht meine Erfahrungen und mein Erleben. Da von hundert depressiven Patienten bei einer Autismus-Prävalenz von einem Prozent durchschnittlich maximal einer autistisch ist, dürfte es eher unwahrscheinlich sein, dass ich in den Therapiegruppen bzw. in der Reha-Klinik auf andere Autisten treffe, so dass auch ich vom Austausch mit Gleichgesinnten – in meinem Fall dann depressiven Autisten – profitieren könnte. Es ist also davon auszugehen, dass die anderen Mitpatienten, mit denen ich einen Großteil des Tages zubringen soll, nichtautistisch sind. Mit nichtautistischen Bedürfnissen und damit mit vorhersehbarem Konfliktpotential.

Ich meine nicht, dass das Ziel dieser medizinischen Reha sein sollte, zu trainieren, wie ich mich bestmöglich anpasse. Die gesundheitlich negativen Folgen für mich sind vorhersehbar. Mein derzeitiger Zustand resultiert ja aus dem vergeblichen Bemühen, mich an mich krankmachende Umstände anzupassen. Es macht meines Erachtens für mich keinen Sinn, nach dieser stationären Reha kränker aus der Reha-Klinik zu gehen, als ich zu Beginn der Reha dort hineingegangen bin. Es wäre absurd, mich nach ein paar Wochen Reha-Klinik Aufenthalt erst einmal ein halbes Jahr davon erholen zu müssen. Ich denke, zielführend ist es eher, dass ich dafür Sorge trage, dass in dieser Reha auf meine autistischen Bedürfnisse bestmöglich Rücksicht genommen werden kann. Das Ziel sollte sein, dass ich nach der Reha besser mit meinen Einschränkungen leben kann, besser auf mich aufpassen kann, so dass ich möglichst lange von einer erneuten reaktiven Depression verschont bleibe.

Ein autistischer Patient, der versucht, einem von seinem gruppendynamischen Ansatz überzeugten, nichtautistischen Therapeuten klarzumachen, dass nicht alle Menschen Gruppentiere sind, stößt mit großer Wahrscheinlichkeit auf Unverständnis. Versuche zu erklären, dass bei einem selbst Ursache und Wirkung komplementär gelagert sind, scheitern eventuell bereits im Ansatz an fehlendem Wissen beim therapeutischen Personal. Einem depressiven Autisten, der nichts weiter tut, als Selbstfürsorge zu betreiben, wenn er seine Bedürfnisse kommuniziert, wird im schlimmsten Fall Therapieverweigerung unterstellt.

Klar kann man jederzeit die Reha-Klinik verlassen, man ist schließlich – anders als in der geschlossenen Psychiatrie – mehr oder minder freiwillig dort. Mehr oder minder deshalb, weil es längerfristige finanzielle und Teilhabe-Folgen haben kann, wenn man eine behördlich verordnete medizinische Reha ablehnt oder abbricht. Das sollte also nicht passieren.

Ich habe vor, die Zeit in der Reha zu nutzen, um möglichst viel für mich mitzunehmen. Ich erwarte dabei aber eher nicht, dass ich tiefergehende, vollkommen neue Erkenntnisse zu Depressionen oder den Themen, die für mich eingeplant sind, haben werde. Bei wenigen Wochen Reha-Dauer und einem mindestens wöchentlichen Zustrom von neuen Patienten wird sich die Psychoedukation wohl permanent auf „Urschleimniveau“ (Zitat einer befreundeten Autistin) bewegen. Evtl. erlerne ich ja eine mir neue Achtsamkeits- oder Entspannungsübung oder lerne ein potentiell neues Hobby kennen. Mein Erwartungshorizont ist in Bezug auf das Ergebnis dieser Reha überschaubar.

Ich habe mir außerdem folgende Vorgehensweise für mich überlegt: Ich werde in schriftlicher Form Wissen zu meinem Autismus (also einen individualisierten Flyer in Kleinstformat) mitnehmen. Diesen Flyer verteile ich immer dann, wenn von mir gefordert wird, mich für meine Bedürfnisse zu rechtfertigen oder mein Verhalten zu erklären. Dann entferne ich mich, suche mir ein ruhiges zurückgezogenes Plätzchen und mache Achtsamkeits- und Entspannungsübungen, bis es mir wieder gut genug geht, um in die sozialen Interaktionen zurückzugehen.

Selbstverständlich denke ich, dass Aufklärungsarbeit notwendig ist, aber dafür wähle ich aus Selbstfürsorge eine ökonomische Variante. Dieser Flyer könnte zudem Konflikte in den Situationen ausschließen, in denen ich in überlastetem Zustand nicht mehr nett, freundlich und zugewandt meine Überlastung erklären kann.

Es wäre für mich übrigens total unlogisch, wenn der eigentlich in der Reha gelehrte Ansatz der Achtsamkeit sanktioniert wird, weil ich eine mir schadende Situation verlasse und somit achtsam mit mir selbst umgehe. Meiner Meinung nach würde dann systemisch etwas grundverkehrt laufen.

Wird schon gut gehen. Wenn nicht, habe ich Ersatzpläne.

Beitragsbild kombiniert aus: geralt (03.03.2020). URL https://pixabay.com/de/illustrations/planung-planen-möglichkeit-option-4897792/ und Peggy_Marco (26.05.2017). URL https://pixabay.com/de/illustrations/männchen-3d-model-freigestellt-3d-2339841/


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Die Qual der Wahl? – Wunsch- und Wahlrecht bei Rehabilitationseinrichtungen

Autismus ist eine angeborene neurologisch bedingte Entwicklungsstörung und deswegen nicht therapierbar. Komorbide Erkrankungen, wie Depressionen und Angststörungen, sind an sich schon therapierbar. Eine häufig genutzte Möglichkeit, eine Depression zu behandeln, besteht darin, für ein paar Wochen in eine Klinik zu gehen. Man kann einen Antrag auf medizinische Rehabilitation bei seinem Kostenträger stellen und diesem im Rahmen des Wunsch- und Wahlrechts (§8 SGB IX) gleich eine Rehabilitationseinrichtung seiner Wahl vorschlagen.

Ich hatte das nicht vorab getan. Mein Kostenträger schickte mir also einen Bewilligungsbescheid über eine fünfwöchige stationäre Reha in einer größeren bayerischen Klinik. Das mit dem Werkstatt Termin vereinbaren hatte also jemand anderes für mich übernommen. Die Frage war jetzt nur, ob die Vertragswerkstatt für mich passen würde. Nach meinem Dafürhalten sollte es bei dem geplanten Reha-Aufenthalt ja wohl hoffentlich darum gehen, mir dabei zu helfen, gesünder zu werden. Die mir vorgeschlagenen Klinik war meines Dafürhaltens nicht dafür geeignet. Dies nahm ich begründet an, denn eine befreundete Autistin, die mich gut kennt, war letztes Jahr dort und hat mir dringend davon abgeraten, in ebendiese Reha-Klinik zu gehen.

Meiner Erfahrung nach wird es schwierig, wenn man komorbide Erkrankungen versucht zu therapieren, ohne den Autismus im Blick zu behalten. Deshalb hatte ich Erkundigungen eingezogen, welche Reha-Kliniken es überhaupt gibt, die eine medizinische Rehabilitation für meine spezifische Erkrankungssituation anbieten und einen Vertrag mit meinem Kostenträger haben. Nach meiner Recherche war deutschlandweit keine wirklich auf erwachsene Autisten spezialisierte Klinik für psychosomatische Rehabilitation mit dabei.

Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass Autisten im Erwachsenenalter seltener als andere Erwachsene eine psychosomatische Reha benötigen und bei immerhin mindestens 1% Autismus-Prävalenz müsste es doch eigentlich auch genügend erwachsene Autisten geben, die schon einmal vor derselben Situation standen. Vermutlich gibt es diese ja auch, nur existieren offenbar kaum öffentlich einsehbare Berichte von Autisten, die ihre Erfahrungen mitteilen.

Eine Liste mit Kliniken, die Reha und Kuren für Autisten anbieten, gibt es zwar, die meisten dieser Einrichtungen haben sich jedoch auf Kinder- und Jugendliche und/oder Mütter-Kind-Kuren spezialisiert, kommen also für eine psychosomatische Reha für mich nicht in Frage. Mir hätten Erfahrungsberichte anderer Autisten geholfen. Also habe ich herumgefragt.

In diesem Blogbeitrag schildert eine Autistin ihr Erleben in einer Reha-Klinik. Hierin wird auch auf einen Artikel der Klinik selbst verlinkt, in der der Frage nachgegangen wird, ob eine psychosomatische Reha für Autisten sinnvoll ist. Die Klinik kommt zu dem Schluss: Ja, eine solche Reha kann sinnvoll sein. Sofern der Autist gruppenfähig ist.

Aus meiner bisherigen Erfahrung heraus möchte ich ergänzen: Ganz so einfach ist es nicht. Es gibt auch bei gruppenfähigen Autisten noch andere Soferns. Sofern innerhalb des Kliniksettings Ausnahmen für den Autisten gemacht werden können. Sofern nicht angezweifelt wird, was der Autist rückmeldet. Sofern den Mitpatienten erklärt wird, dass Rücksichtnahme auf Wahrnehmungsbesonderheiten für den Autisten ein must-have sind, um überhaupt teilnehmen zu können und kein nice-to-have, weil der Autist sich das einbildet. Sofern Mitpatienten eine notwendige Rücksichtnahme nicht als Bevorzugung interpretieren und nicht dagegen opponieren. Sofern Therapeuten ein Eingehen auf die autistischen Bedürfnisse nicht von der demokratischen Entscheidung der Gruppe abhängig machen. Sofern eine vorab zugesicherte Rücksichtnahme sich in der Klinikrealität nicht plötzlich in Luft auflöst.

Ich habe mich nach gründlicher Recherche schließlich für eine ambulante Reha-Klinik entschieden, weil sie mir ermöglicht, meine Routinen und gewohnten Abläufe größtmöglich beizubehalten. Ich habe nachträglich von meinem Wunsch- und Wahlrecht Gebrauch gemacht, dem seitens des Kostenträgers mit einem neuen Bescheid stattgegeben wurde. Damit es zumindest einen Bericht mehr von Autisten über ihre Erfahrungen in Reha-Kliniken gibt, werde ich selbstverständlich berichten.

Bildquelle: Kingrise (26.02.2018). URL https://pixabay.com/de/illustrations/wahl-pfeil-fragezeichen-weg-3183317/


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Autismus und Teilhabe – BehördenirrSinn?

Ich ging eigentlich davon aus, dass die DRV mir tatsächlich behilflich sein wollen würde. Denn sie hat mir eine medizinische Reha bewilligt, die zum Ziel hat, Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden oder zu beseitigen, zumindest aber diese zu mindern, auszugleichen oder eine Verschlimmerung zu verhüten. Dadurch solle meine Erwerbsfähigkeit erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden. Es läge also in meinem Interesse an der Rehabilitation auch aktiv mitzuwirken. Alles klar. Klar liegt das in meinem Interesse, insbesondere liegt es ja seit 2017 in meinem vordringlichen Interesse, am Arbeitsleben teilzuhaben.

Dabei möchte ich sehr gerne aktiv mitwirken. Vorgestern rief die für mich zuständige Reha-Beraterin an und sagte meinem Mann, man wolle erst einmal das Ergebnis der medizinischen Reha abwarten, bevor man weiter darüber entscheiden könne, wie es mit meiner Teilhabe am Arbeitsleben weitergehen würde. Okay, das klingt nach einem soweit ganz guten Plan. Im Bescheid der DRV zur medizinischen Reha steht: Wenn die medizinische Reha nicht innerhalb von 6 Monaten angetreten wird, würde der Bescheid seine Gültigkeit verliert.

Heute liegt ein Brief der Reha-Klinik, die die DRV für mich ausgesucht hat, im Briefkasten. Diese Reha-Klinik freut sich, dass mir eine Rehabilitationsmaßnahme bei ihnen genehmigt worden ist. Aufgrund der ihnen bereits vorliegenden Genehmigung können sie mir mitteilen, dass meine Maßnahme voraussichtlich in der Woche ab dem 06.12.2021 (+/- 1 Woche) zur Durchführung kommt. Die Heilbehandlung könne aus Sicht des Kostenträgers nur aus besonders wichtigen Gründen verschoben werden.

Aha.

Fast vernachlässigbar ist da, dass mir die Klinik einen zweitägigen Weihnachtsurlaub gewähren kann, falls ich Weihnachten zu Hause verbringen wollen würde.

Die Reha-Abteilung sagt, ich müsse mich um meine Gesundheit kümmern, bevor entschieden werden kann, wie bzw. ob es in Sachen Teilhabe am Arbeitsleben weitergehen soll. Die Reha-Abteilung kümmert sich selbstverständlich darum, dass ich in eine passende Reha-Einrichtung geschickt werde. Diese Reha-Einrichtung erhält von der DRV dann mitgeteilt, dass ich dorthin gehen soll. Die Reha-Abteilung in der DRV hat aber augenscheinlich keine Ahnung, dass die Wartezeit in der von ihr bestimmten bayerischen Reha-Klinik länger ist, als die Gültigkeitsdauer ihres Bescheides.

Wie bitteschön wollen sie so gewährleisten, dass meine komorbiden Erkrankungen abgewendet, beseitigt, gemindert oder eine Verschlimmerung verhütet wird? Den Autismus können sie ja wohl hoffentlich nicht meinen, abgewendet oder beseitigt wird der nicht werden. Ich vermute, sie meinen also die Depression und/oder Angststörung. Die Idee, auf eine Minderung zu hoffen bzw. eine Verschlimmerung zu verhüten, indem man mir eine Reha in mehr als acht Monaten anbietet, die man sechs Monate lang bewilligt hat und mich bis nach dem Ende einer medizinischen Reha vertrösten möchte, bevor man sich weiter mit meinem Fall befasst, lässt mich mehr als nur irritiert zurück.

Ich versuche ja wirklich, den Sinn des Vorgehens zu verstehen. Was erhofft sich die Reha-Abteilung eigentlich? Dass sie es aussitzen können? Dass sich das Teilhabe-Problem von allein erledigt, weil ich mich derweilen umbringe? Die Chancen sind bei einem depressiven Menschen angesichts von Perspektivlosigkeit gegeben. Das sollte eigentlich auch jedem Sachbearbeiter in einer Reha-Abteilung klar sein. Dass die Suizidrate bei Autisten nochmal um einiges erhöht ist (wen es interessiert, Links zu Studien hier, hier und hier), geschenkt – ich erwarte gar nicht, dass meine Reha-Beraterin das weiß. Ich erwarte gar nichts Positives mehr aus dieser Ecke.

Vielleicht ist der Sinn hinter dem Vorgehen ja, dass ich begreife: Menschen wie ich erhalten schlicht keine Unterstützung von der DRV? Ich verbuche diesen behördlichen IrrSinn jetzt einfach mal als: Da hat meine „Superkraft“, ein Fehlermagnet zu sein, mal wieder zugeschlagen. Sinn habe ich auch gefunden: Nichts ist unnütz, es kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen. Ich zeige am praktischen Beispiel auf, was im Unterstützungssystem so alles schief gehen kann. Bin gespannt, was als nächstes kommt. Ich werde berichten.

Bildquelle: vcnestasozinhx (02.09.2018). URL https://pixabay.com/de/illustrations/selbstmord-vorbeugung-september-gelb-3645249/


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Autismus und komorbide Erkrankungen

Rezidivierende Depressionen

Ich habe wieder einmal eine Depression, was jetzt nichts bahnbrechend Neues ist und mich auch nicht überrascht. Ich habe genügend Wissen zu dieser Erkrankung, um die Symptome zu erkennen und auch, um zu wissen, dass es eine reaktive Depression ist. Ich also auf krankmachende Umstände reagiert habe. Wenn diese Umstände nicht gewesen wären, dann wäre ich vermutlich auch nicht wieder depressiv geworden. Ich habe versucht, gegenzusteuern und all die Dinge getan, die ich bereits gelernt habe, wie Achtsamkeitsübungen, Entspannungstechniken, Schlafhygiene, Dinge tun, die mir guttun.

Soweit es mir eben möglich war neben den administrativen und organisatorischen Dingen, die notwendig waren, um das Schlimmste abzuwenden, nämlich komplett ohne Geld dazustehen. Ich habe seit Anfang des Jahres gefühlt hunderte Seiten Anträge ausgefüllt, Widersprüche geschrieben, mit immer wieder denselben Unterlagen vollgestopfte Briefumschläge unzählige Male rechtssicher verschickt bzw. erstmal bei der einen Behörde oder Institution angefordert und zur anderen Behörde oder Institution weitergeleitet. Es ist schon ohne die Einschränkungen einer Depression anstrengend und auch demotivierend, wenn man an dieselben Institutionen mehrfach dieselben Anlagen und Anträge schicken muss. Ich frage mich, in wievielfacher Ausfertigung die das wirklich brauchen – im digitalen Zeitalter ist es zudem unverständlich, weshalb bei der DRV alles in analoger Papierform angefordert wird, nur damit deren Scanzentrum die Papierstapel dann einscannt und digital an passende und oft auch unpassende Abteilungen weiterleitet. Wenn man eine Depression hat, ist das sich um Orgakram kümmern und Anträge stellen ein ganz schöner Kraftakt.

Was paradox erscheint, ist, dass mein Autismus zwar die Grundlage ist, weswegen ich immer wieder an Umständen verzweifle und depressiv werde, mir mein Autismus aber gleichzeitig dabei hilft, mit der Erkrankung zurechtzukommen. Ich weiß, dass mein Umgang mit meinen Depressionen auf keinen Fall verallgemeinerbar ist. Ich würde die Not anderer Menschen, die an dieser tückischen Erkrankung leiden, bagatellisieren, wenn ich davon ausgehen würde, dass jeder andere fähig ist, genauso damit umzugehen, wie ich. Warum ist mein Autismus hilfreich? Unter anderem, weil ich extrem viel Zeit darauf verwendet habe, möglichst umfassend Wissen zur Erkrankung zu sammeln und mir dieses Wissen dabei hilft, zu verstehen, was mit mir passiert. Ich habe mittlerweile einen recht hohen Stapel an Fachbüchern, -artikeln und Studien zu Depressionen gelesen und mit meiner eigenen Erfahrung abgeglichen. Wissen hilft. Nicht umsonst ist ein Baustein in der Behandlung von Depressionen die Psychoedukation.

Was in den depressiven Zuständen immer mitschwingt, ist eine Grundtraurigkeit und der Drang, mir eine Decke über den Kopf zu ziehen bzw. einfach nicht mehr aufzustehen, weil mir alles überwältigend sinnlos erscheint. Wegen meines autistischen Bedürfnisses nach meinen Routinen schleppe ich mich morgens zwar nur mit Mühe aus dem Bett, aber ich bleibe eben nicht depressiv im Bett liegen. Nach der allmorgendlichen Cappuccino-Zeitungs-Routine, die der Grund ist, weshalb ich zuverlässig aufstehe, verfalle ich danach aber trotzdem in eine Art Lähmung. Im Fachsprech nennt sich das Antriebslosigkeit.

Zu einem Antrieb gehören bestimmte Komponenten, wenn man es technisch betrachtet. Das Wichtigste ist natürlich der Motor, der Leistung generiert. Es ist aber nicht so, dass mein Motor kaputt wäre. Im Gegenteil. Ich habe eher den Eindruck, dass mein Motor funktioniert, ich bin innerlich angespannt und unruhig, vibriere quasi mit dem Fuß auf dem Gaspedal vor mich hin, nur dringt nichts davon nach außen. Es ist, als würde ich mit angezogener Handbremse dastehen oder besser: als hätte ich vergessen, wie man die Kupplung tritt und könne keinen Gang einlegen. Dabei würde ich nur zu gerne die Leistung, die mein innerer Motor im Leerlauf vergeudet, sinnbringend in z.B. Bewegung umsetzen. Aber ich komme im übertragenen Sinn und buchstäblich nicht in die Gänge, ich bewege mich nicht vorwärts. Nur seitwärts, denn des Nächtens, wenn ich wieder stundenlang wachliege, werfe ich mich ruhelos hin und her. Immerhin, Bewegung soll ja bekanntlich bei Depressionen helfen.

Wenn ich es schaffe, die Antriebslosigkeit zu überwinden, und einen Gang einzulegen, dann scheitert es nach ein paar Metern an der Kraftübertragung. Es knirscht nicht nur, was ich Alterserscheinungen zuschreiben könnte, nein, es hakt im Getriebe und frisst sich fest bis hin zum Getriebeschaden. Jetzt könnte man auf den Gedanken kommen, sich zu fragen, weshalb ich mich nicht in eine Werkstatt (=Klinik) begebe und den Schaden reparieren lasse. Tja. Dazu müsste ich erstmal eine passende Werkstatt finden. Und einen Termin ausmachen. Gar nicht so einfach während einer Depression. Da dauert das noch länger als in undepressivem Zustand.

Außerdem frage ich mich, ob sich das Reparieren überhaupt lohnt. Ich hatte in den vergangenen fünf Jahren immer wieder depressive Episoden und ich würde sagen, dass ich mich immer weniger gut von diesen Einbrüchen erholt habe. Das schreibe ich nicht, um Mitleid zu heischen oder um [hier irgendein (phantasievolles) Motiv einsetzen], es ist eine nicht zu leugnende Tatsache. Meiner Meinung nach waren meine Depressionen stets reaktive Depressionen. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die Umwelt in absehbarer Zeit wirklich autistenfreundlicher gestalten wird. Also lauert auch nach einem Werkstattbesuch mit Getriebewechsel, der nicht kostenlos sein wird, die nächste Depression nur um die Ecke. Ich ziehe selbstverständlich in Erwägung, dass dies depressive Gedanken sind, die aus meiner Antriebslosigkeit resultieren.

Nicht kostenlos meint, dass meine Versuche, etwas gegen solche depressive Episoden zu tun, stets mit Kosten im übertragenen Sinn verbunden waren. Die Einnahme von Antidepressiva hatte massive Nebenwirkungen zur Folge. Der Aufenthalt in einer Klinik war exorbitant energiefressend. Eine gründliche Kosten-Nutzen-Analyse ist meiner Ansicht nach für mich unabdingbar, bevor ich mich in die Gänge setze, um etwas gegen meine gegenwärtige Depression zu unternehmen. Wobei mein Zögerlichkeit bzw. Schwierigkeit, eine Entscheidung für oder gegen eine Behandlung zu treffen, auch wieder nur ein Symptom der Erkrankung selbst sein könnte.

Eine Lösung wäre, meine rezidivierenden Depressionen pragmatisch als eine wiederkehrende Erkrankung anzusehen, mit der ich leben muss und jede Episode auszusitzen. Irgendwann ging noch jede dieser depressiven Episoden zu Ende. Doof für mein Bedürfnis nach Planbarkeit ist nur, dass ich nie wusste, wann irgendwann war.

Mein depressives Gehirn mit einer großen Portion Skepsis aus der Metaperspektive zu betrachten und wachsam zu bleiben, ist eine meiner Methoden, mit der Erkrankung umzugehen. Was mir noch hilft, ist eine ebenso große Portion Humor und Akzeptanz. Es ist halt so, dass mir derzeit wieder einmal alles in schneckösem Depressionstempo von der Hand geht. Manche müssen eine solche Entschleunigung ihres Lebens in sündteuren Seminaren mühsam lernen, ich bekomme das gratis hin.

Bildquelle: Peggy_Marco (03.11.2015) URL https://pixabay.com/de/illustrations/regen-traurig-trauer-1013940/ in Kombination mit rauschenberger (10.03.2018) URL https://pixabay.com/de/illustrations/kontur-tier-schnecke-shell-langsam-3212894/


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Buchbinder Wanninger?

Der behördliche Irrsinn nimmt dieser Tage ungeahnte Ausmaße an. Für mich ist die Situation sehr belastend, da ich seit Anfang April wieder einmal ohne planen zu können dastehe und Ende des Monats mit Auslaufen der Teilerwerbsminderungsrente dann auch noch ganz ohne Einkommen sein werde. Obwohl ich bereits Ende letzten Jahres sehr rechtzeitig damit begonnen hatte, die notwendigen Folgeanträge zu stellen. Die Rentenversicherung wäre am Zug gewesen, mir meine Folgeanträge zu bescheiden.

Seit Tagen erhalte ich Schreiben von der Rentenversicherung. Allerdings nichts, was mich effektiv weiterbringt, sondern sehr seltsame Schreiben, die mich irritieren, weil Unterlagen angefordert werden, die ich definitiv bereits mindestens einmal dorthin geschickt hatte – sogar per Einschreiben. Ich habe beispielsweise mit dem Betreff Ihre Rentenversicherung die Aufforderung erhalte, mitzuteilen, wann ich meine Beschäftigung aufgegeben habe. Ich solle doch bitte eine Kopie der Kündigung bzw. des Aufhebungsvertrages übersenden. Seit 2017 habe ich nunmehr mit der Rentenversicherung zu tun, bin zunächst in volle Erwerbsminderungsrente geschickt worden, danach wurde mir eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben und eine Teilerwerbsminderungsrente bewilligt, die enden und für beides habe ich einen Antrag auf Neu- bzw. Weiterbewilligung gestellt. Mir ist schleierhaft, wie die Abteilung Rente auf die Idee kommt, dass ich irgendwo gekündigt haben hätte können. Auf Nachfrage und Erklärung meinerseits, dass mein letzter Arbeitsvertrag bekanntermaßen befristet gewesen sei und ich seit Ende Mai 2017 keine weitere Stelle innegehabt hätte, hieß es, ich solle den Arbeitsvertrag oder eine Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers einreichen. Diese Arbeitsbescheinigung liegt der Rentenversicherung zwar inzwischen mehrfach vor, aber sie benötigen sie offenbar noch ein weiteres Mal. Soviel zur papierlosen Verwaltung.  

Beim Versuch, abzuklären, ob die Rentenversicherung nach dem Auslaufen der Maßnahme Unterstützte Beschäftigung zum 31.03.2021 inzwischen einen Plan hat, wie es für mich weitergehen soll, zeigte sich, dass offenbar ein irrwitziges Durcheinander entstanden ist, weil das Scanzentrum der DRV meine mit den Anträgen mitgesendeten Unterlagen an die jeweils falsche Abteilung (Abt. Rente und Abt. Reha) geschickt hat. Jetzt erklärt sich mir auch, woher die dubios anmutenden Schreiben an mich kommen. Ich habe beispielsweise eine mich sehr irritierende Ablehnung meines Antrages auf Hörhilfe erhalten, weil ich den Arztbrief des HNO wegen meines Antrages auf Weitergewährung der auslaufenden Teilerwerbsminderungsrente nachgereicht hatte und der ohne mein Begleitschreiben bei der Abteilung Reha gelandet ist, so dass sie dort einfach mal eben interpretiert hatten, dass ich einen Antrag auf Hörhilfe gestellt hätte. Das ist zwar sehr zuvorkommend, aber eben auch ablehnend und in keiner Weise zielführend für den eigentlich von mir gestellten Antrag. Wofür haben sie denn dann all diese Formulare mit unterschiedlichen Buchstaben-Zahlenkombinationsbezeichnungen, wobei sie in etlichen Antragsformualren immer wieder denselben Sachverhalt abfragen?

Ich habe den Eindruck, die Behörden spielen Ping-Pong mit mir. Keiner fühlt sich so richtig zuständig. Einer verweist auf den anderen. Die Agentur für Arbeit schreibt mir, ich werde als Nichtleistungsempfänger geführt und solle mich an die DRV wenden, die DRV sagt, ich solle mich an die Agentur für Arbeit wenden. Mein Mann hat telefonisch abklären können, dass meine Mitteilung an die DRV, dass ich keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld habe plus Ablehnungsbescheid meines Antrages auf ALG I zwar dort angekommen ist, aber statt bei der Abteilung Reha bei der Abteilung Rente liegt. Während des Telefonates hat die Sachbearbeiterin der Abteilung Reha diesen ALG-Ablehnungsbescheid dann tatsächlich in der digitalen Akte gefunden, sie sagte wenige Minuten später aber zu meinem Mann, dass ich mich doch, wenn ich ohne Einkommen dastünde, bitte wegen Arbeitslosengeld die Arbeitsagentur wenden müsse. Es ist schwer, sich da nicht ans Hirn zu langen.

Wir heißen zwar mit Nachnamen Wanninger, wollten aber nie wie der Buchbinder gleichen Namens von Pontius zu Pilatus laufen oder versuchen, den Passierschein A38 zu besorgen. Ich möchte nur endlich planen können, wie es sowohl teilhabemäßig als auch finanziell weitergeht.

Bildquelle: Peggy_Marco (05.12.2016) URL https://pixabay.com/de/illustrations/weiße-männchen-3d-man-freigestellt-1871383/


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Welt-Autismus-Tag 2021 – und ich puzzele

Heute erst gelesen: Der Welt-Autismus-Tag 2021 steht in der Kampagne 2020/2021 von Autism Europe unter dem Motto „I can LEARN. I can WORK“. Vor dem Hintergrund des Maßnahme Verlaufs Unterstützte Beschäftigung registriere ich dieses Motto mit einer Mischung aus perplex Sein und Resignation. Ich meine: Wir haben 2021, die UN-BRK ist seit langem gültiges Recht. Und leider braucht es trotzdem ein Motto, das wohl Nichtautisten klarmachen soll, dass auch Autisten lernen und arbeiten können. Nur dürfen sie leider noch immer viel zu oft nicht. Nach wie vor ist es sehr schwer, eine Nische auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden und zu behalten – auch für Autisten mit einer akademischen Ausbildung – oder gerade wegen dieser.

Mein oberstes Ziel in den vergangenen nunmehr fünf Jahren war, endlich meine Nische zu finden und wieder am Arbeitsleben teilzuhaben. Meine Ziele in Bezug auf den IFD waren, dabei in den Bereichen, in denen ich Unterstützung benötige, unterstützt zu werden. Dies ist nicht geschehen. Im Gegenteil, ich bin dabei behindert worden, mein Ziel teilzuhaben zu erreichen, weil ich nicht in das Unterstützungssystem passte.

Ich habe in diesen fünf Jahren immer wieder reflektiert, wo die Schwierigkeiten liegen und versucht, sie aus dem Weg zu räumen. Ich reflektiere von Natur aus ständig – was ja im Wortsinn heißt, nachzudenken, zu überlegen, etwas prüfend zu betrachten. Sich die Vergangenheit und das eigene Handeln darin anzuschauen, ist für eine Reflexion ebenfalls wichtig und braucht die Zeit und den Raum, den derjenige, der reflektiert, dafür benötigt. Dies steht keineswegs im Widerspruch zu Aussagen wie: „Man sollte nach vorne schauen“. Denn um nach vorne schauen zu können, muss man erst einmal wissen, was einen hinten eventuell ja verfolgt statt hinter einem zu liegen.

Ich kann lernen, das tue ich schon mein Leben lang. Ich kann auch Arbeiten, das habe ich in verschiedenen Kontexten bewiesen. Was ich offenbar nicht kann, ist irgendwo richtig reinzupassen.

Es stehen Entscheidungen an, wie es weitergeht. Möglichst viel Informationen einzuholen, die ich fortlaufend versuche, zu sortieren, hilft mir dabei, Vorkommnisse richtig einzuordnen, Situationen zu analysieren und Entscheidungen zu treffen. Ich kann Entscheidungen aber nur dann treffen, wenn ich einen ausreichend guten Überblick habe. Also puzzel ich gerade mal wieder mit Hochdruck.

Ich habe nahezu ständig ein Infodurcheinander, sozusagen einen großen Puzzleteilhaufen im Kopf, den ich günstigstenfalls zwischendurch beim Schreiben und eventuell sogar in Gesprächen mit den richtigen Leuten schon irgendwie vorsortieren habe können. Ich brauche aber Zeit und Ruhe, indem ich zum Beispiel innerlich Selbstgespräche führe oder auch beim Tagebuchschreiben mit einem fiktiven Gegenüber spreche, um den Haufen abarbeiten zu können. Ich schreibe gern und ich schreibe viel, für mich ist Schreiben schon seit Jahrzehnten eine funktionierende Methode, den Puzzleteilhaufen irgendwie sortiert zu bekommen. Tagtäglich erhalte ich jedoch neue Puzzleteile, was aus der Informationssammelsicht gut ist, aus der Sortiersicht aber nicht. Vor mir liegt also ständig ein mehr oder minder großer Haufen an unsortierten Puzzleteilen und ein paar Häufchen – je nachdem, was gerade Thema ist – an sortierten Teilen.

Mein Autismus bringt es mit sich, dass ich Puzzleteile nicht intuitiv an den richtigen Platz im Puzzle legen kann. Ich habe also erstmal kein Gesamtbild vor meinem inneren Auge. Ich muss auch immer erst die richtige Kategorie finden, nach der ich sortieren muss, damit überhaupt so etwas wie ein Bildausschnitt erkennbar ist, der Sinn ergibt. Sehr lange – Nichtautisten würden das vermutlich als extrem langsam empfinden – sehe ich nur lauter Einzelteile. Ich nehme jedes einzelne Puzzleteil mehrfach in die Hand und lege es mal auf den einen Kategorienhaufen und mal auf einen anderen, irgendwann passiert es dann, dass ich sehe, dass zwei oder mehr Teile zusammenpassen.

Wenn es eine größere Sortieraktion gibt, was in Zeiten anstehender Entscheidungen der Fall ist, passiert Folgendes: In solchen Phasen überlaste ich mich im Grunde genommen ungesund, weil ich es nicht schaffe, Gedankenpause zu machen und mich mit etwas anderem zu beschäftigen, als zu puzzeln. Alles andere läuft nur noch im Not-Modus mit und ich erledige nur wirklich wichtige und unaufschiebbare Dinge, den Rest der Zeit beschäftige ich mich rund um die Uhr mit meinem Puzzleteilhaufen, sortiere Teile von einem Haufen zum anderen und lege vor mir auf dem Tisch bereits verbaute Teile an andere Stellen. Solche Phasen in meinem Leben brauchen sehr viel Energie und ich denke zwischendrin schon auch immer mal wieder darüber nach, etwas anderes machen zu wollen als mich quasi zwanghaft mit meinen Puzzleteilen zu beschäftigen. Aber ich kann das dann leider nicht. Nicht: Ich will das nicht machen, sondern ich kann es nicht tun, weil mein Gehirn einfach so arbeitet.

Also mache ich weiter. Tagsüber schreibe ich oder rede mit mir selbst. Nachts liege ich wach und denke über das Geschriebene nach und über die Puzzleteile, die noch auf dem Haufen liegen. Ich versuche, in jeder wachen Minute das Informationschaos aufzudröseln und Zusammenhänge zu finden. Jedes der zusammen gepuzzelten Bildfragmente betrachte ich genau und versuche, es mit anderen Bildfragmenten zu verbinden. Gleichzeitig plane ich. Das meint, ich überlege mir, was sich für Konsequenzen aus den Bildausschnitten, die ich glaube, richtig zusammengesetzt zu haben, ergeben. Was ich als nächstes tun kann, welche Information mir für mein Verständnis noch fehlt, damit ich mehr Klarheit habe, damit für mich die Puzzleteilausschnitte, die ich zusammengesetzt habe, möglichst vollständig sind.

Dabei läuft mein logischer, analytischer Verstand im übertragenen Sinn auf Hochtouren. Ich denke darüber nach, welche Handlungsmöglichkeiten sich zum jetzigen Stand meines für mich sichtbaren Puzzlebildes ergeben und wohin jeder einzelne Handlungsschritt führen könnte. Ich durchdenke, plane alles jede Nacht und in Hochtourenzeiten sogar Tag und Nacht. Ich passe meine nächsten Handlungsschritte an meinen Informationsstand an und an die Bildfragmente, die ich sehe. Für mich unvorhersehbar habe ich immer mal wieder eine Art Aha-Erlebnis, wie ich dieses Erleben für mich genannt habe. Also irgendwann setzen sich mehrere Bildfragmente zu einem erkennbaren größeren Gesamtausschnitt zusammen. Dann ist eine solche Hochtourenphase vorbei und mein Gehirn beruhigt sich, ich habe einen Plan und komme erst einmal zur Ruhe.

Mein Handeln sieht von außen betrachtet wohl zwanghaft aus, es ist aber kein Zwang im psychiatrischen Sinne, es ist autistisch. In meinem Leben erhalte ich immer nur weitere Puzzleteile, die ich zu Ausschnitten zusammensetzen kann, bestenfalls entstehen auch einmal aus mehreren Fragmenten zusammenpassende größere Bildausschnitte, aber ein großes Ganzes, ein komplettes Puzzle wird es nie, denn es gibt keine Randteile. 

Und falls sich jetzt jemand fragt, weshalb ich ausgerechnet am Welt-Autismus-Tag mit Puzzleteilen daherkomme: Es ist meine selbstironische Art, mich mit dem Thema Puzzleteil als Symbol für Autismus auseinanderzusetzen und ja, ich weiß um die Problematik des Symbols an sich.

Bildquelle: Peggy_Marco (04.11.2015) URL https://pixabay.com/de/illustrations/puzzle-zusammenarbeit-gemeinsam-1020404/


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Verschwiegene Tatsachen

Morgen endet die Maßnahme Unterstützte Beschäftigung. Der Kostenträger hat im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach meiner Stellungnahme eine erneute Stellungnahme vom IFD angefordert. In meinem letzten Beitrag zum Thema lag ich falsch, der IFD hat sich dann doch etwas mehr Mühe gegeben als nur ein paar Sätze marginal zu verändern. Laut der mir inzwischen vorliegenden Dokumentation meiner ehemaligen Qualifizierungstrainerin (QT) – sie arbeitet inzwischen nicht mehr bei diesem IFD – hatte diese mir bewusst nicht die richtige zweite Stellungnahme zugesendet.

In dieser hat sich die Bereichsleitung des IFD auf den letzten Metern noch einmal so richtig an mir abgearbeitet. Wohl um mich doch noch irgendwie loszuwerden, meine ich. Wie ich nach wie vor vermute, aus gekränkter Eitelkeit oder Neid, denn ein längerer Absatz in dieser Stellungnahme beschäftigt sich ausgiebig mit den beruflichen Qualifikationen, die insbesondere sie selbst hat. Die aber nicht an mein Studium der Erziehungswissenschaft heranreichen.

Eine befreundete, ebenfalls bloggende Autistin fasst das, was in dieser Stellungnahme getan wurde, sehr schön zusammen: „Man kann Klienten bewusst schlecht aussehen lassen, wenn man signifikante Tatsachen verschweigt“.

Ich hätte etliche QT, alle selbstverständlich sehr gut geeignet und erfahren im Umgang mit Autisten, verschlissen und es stelle sich die Frage, ob die Ursache tatsächlich in den Personen der QT zu suchen seien. Nicht sonderlich subtil. Leider fehlt signifikanter Kontext. Weil ich – wie auch in ihrer Stellungnahme an die DRV explizit von der Verfasserin bestätigt wird – ein sehr gutes Gedächtnis habe und mich an jedes Wort erinnern kann und deshalb mein Umfeld auch regelmäßig auf fehlerhafte Äußerungen hinweise, reiche ich den gerne noch nach.

Die Unmengen an kompetenten QTn, die mir zur Seite gestellt wurden, waren zwei. Plus sie selbst als Krankheitsvertretung und, nachdem sie es innerhalb kürzester Zeit geschafft hatte, die Vertretung „vollkommen an die Wand“ zu fahren, woraufhin sie offenbar intern beschloss, dass eine weitere Krankheitsvertretung versuchen sollte „das Kind aus dem Brunnen zu holen“ (Quellenangabe für die beiden wörtlichen Zitate: ebendiese Vertretung zu mir am 02.04.2020), noch eine QT. Eine nicht unerhebliche signifikante Tatsache ist, dass ausgerechnet diese von der Bereichsleitung installierte QT zwar die kompetenteste war, jedoch laut ihrer eigene Aussage mir gegenüber gar nicht in dem Bereich Unterstützte Beschäftigung arbeitete und sagte, dass sie mich nicht wirklich unterstützen könne, schon weil sie keine Entscheidungen treffen dürfe. Keine Ahnung, wie das gegenüber dem Kostenträger argumentativ vertreten worden wäre. In der Stellungnahme wurde diese Tatsache jedenfalls nicht erwähnt.

Beim Punkt unzureichende Flexibilität, die daran festgemacht wird, dass ich nicht außerhalb der vereinbarten Maßnahmezeiten für den IFD jederzeit erreichbar gewesen bin, weil ich E-Mails an mich nur innerhalb dieser Zeiten las, reiche ich für die im Arbeitsrecht offenbar Nachhilfebedarf habende Bereichsleitung gerne Folgendes nach: Die Frage der Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit hängt zum einen von der Berufsgruppe ab und zum anderen von der Position im Unternehmen. Als Teilnehmerin der Maßnahme Unterstützte Beschäftigung bin ich weder bei der Feuerwehr noch habe ich Bereitschaftsdienst noch bin ich eine Angestellte mit hoher Verantwortung und entsprechend hoher Vergütung. Ich muss also weder in meiner Freizeit noch im Urlaub erreichbar sein. Wenn es dem IFD nicht möglich war, mir zeitkritische Nachrichten während der vereinbarten Maßnahmezeiten zukommen zu lassen, dann hat meiner Ansicht nach eher der IFD ein organisatorisches Problem als ich das Problem unzureichende Flexibilität.

Dazu kommt die ja nun wirklich offensichtliche Unlogik der Argumentation. In ihrem Erstlingswerk werfen sie mir noch vor, meine Belastungsgrenzen nicht zu kennen. Ja was denn nu? Nicht rund um die Uhr erreichbar zu sein bzw. seine E-Mails zu lesen ist meiner Ansicht nach eine sinnvolle Möglichkeit, sich nicht zu überlasten, also ein gelungener Akt der Selbstfürsorge. Aber geschenkt – Logik ist schließlich eine autistische Stärke, es wäre vermessen von mir, diese Fähigkeit bei einer nichtautistischen Fachkraft vorauszusetzen. Insbesondere, da es mir ja laut dieser gesundheitsbedingt nicht möglich ist, auch in einem geschützten und begleiteten Rahmen so zu agieren, dass meine Talente gleichzeitig verwertbar und jedoch auch tragbar für den Arbeitgeber sind. Hach ja. Ich armes behindertes Hascherl.

Noch kurz zum Punkt Telefonate: Ich kann telefonieren und ich telefoniere auch – wenn es keine andere Möglichkeit gibt. Dem Kostenträger gegenüber zu behaupten, ich würde hier falsche Angaben machen und als Beweis dafür ein Telefonat anzugeben, bei dem der IFD wegen des (wieder einmal – meine zweite QT war häufiger krankgeschrieben als ich) krankheitsbedingten Ausfalles meiner QT einen vereinbarten Termin 10 Minuten nach Beginn des Termins telefonisch absagte, verschweigt dann doch, wie ich meine, diese für das Verständnis sehr signifikante Tatsachen. Mal ganz abgesehen davon, dass in dieser gesamten erneuten Stellungnahme frappierend die Tatsache fehlt, dass in irgendeiner Weise Bezug auf mich als Autistin genommen wurde.

Naja, sie ist offensichtlich wirklich sehr kompetent und erfahren in der Betreuung von Autisten – der Blogbeitrag kann Spuren von Ironie enthalten. Aber sei es drum. Ändern kann ich es nicht, dass sie sich so verhält. Also lache ich darüber.

Bildquelle: geralt (12. Juni 2017) URL https://pixabay.com/de/illustrations/frage-wirklich-fragezeichen-zweifel-2392158/