SWB – MeiBlog

"Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muß man vor allem ein Schaf sein." (Albert Einstein)


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Du möchtest mich unterstützen?

Wenn du dir dessen bewusst bist, dass die Kategorisierung behindert / nichtbehindert mit dir auf der Seite der Nichtbehinderten keine dauerhafte ist, weil 97% aller Behinderungen im Lauf des Lebens erworben werden. Wenn Dir also bewusst ist, dass du nur noch nicht behindert bist und ich schlicht zu den 3% gehöre, die so geboren wurde.

Wenn deine Unterstützung mir Energie einspart statt welche zu kosten.

Wenn du anerkennen kannst, dass ich die Expertin meiner eigenen Behinderung bin und wenn du respektieren kannst, dass ich am besten weiß, was ich mir zumuten kann, nach welchen Zielen ich streben sollte und welche Unterstützungsmaßnahmen sinnfrei für mich sind.

Wenn du respektierst, das ich entscheide, wie viel und bei welchen Dingen ich Unterstürzung brauche und dass ich an manchen Tagen etwas alleine schaffe, was mir an anderen Tagen nicht möglich ist.
Wenn du mir nicht unterstellst, dass ich mich bei ausreichend Übung schon an xyz gewöhnen kann, und dir nicht heimlich denkst, dass ich mich nur genügend anstrengen oder es wollen oder mich nicht so anstellen müsse – gestern ging es doch auch.

Wenn du Verständnis dafür haben kannst, dass mich bei hohem Stresserleben als erstes die Fähigkeit, Blümchen und Flausch um Kommuniziertes zu wickeln, danach die Fähigkeit, mich eloquent auszudrücken bis dahin, mich überhaupt noch auszudrücken verlässt.

Wenn du mir glaubst, dass ich mich so gut es geht bemühe, in einer Umwelt, die nicht für mich, gemacht ist, zurechtzukommen. Wenn dir klar ist, dass das manchmal bedeutet, dass ich meine ganze Kraft dafür einsetzen muss, in dieser Umwelt zu überleben und keine mehr habe, es dir Recht zu machen. Wenn du dann geduldig sein kannst und nicht meinst, dass ich dich mit Absicht ärgern möchte, stur bin, unflexibel oder begriffsstutzig.

Wenn du damit umgehen kannst, dass ich dich kritisiere, wenn ich meine, dass du mich übergriffig oder ableistisch behandelst – das kann ja mal passieren, es sollte halt nicht die Regel werden. Wenn du dann nicht über die Art und Weise meiner vorgebrachten Kritik diskutieren möchtest, sondern wir über den Inhalt meiner Kritik sprechen können.

Wenn du bereit bist, dich selbst darin weiterzubilden, was meine Behinderung ausmacht, wie sie sich auswirkt und nicht von mir erwartest, dass ich das übernehme, indem ich ständig und immer wieder den Erklärbären gebe – sogar in Situationen, wo meine Behinderung mir das gar nicht mehr ermöglicht. Ich erkläre dir gerne, wie ich die Welt erlebe, aber ich lasse mich nicht dafür verantwortlich machen, wenn du dir meine Erklärungen nicht merkst.

Wenn du begreifen kannst, dass ich mich bemühe, die bestmögliche Version meines autistischen Selbst zu werden und nicht deinen Normvorstellungen entsprechen muss.

Wenn du darauf verzichten kannst, meine Welt in Ordnung bringen zu wollen, weil du der Ansicht bist, meine Behinderung würde mich in meinen Möglichkeiten einschränken – die in Wahrheit nur deine Vorstellungen davon sind, was ich erreichen soll.

Wenn du dein Ego auch mal hintenanstellen kannst und mir nicht vorwirfst, es durch mein behinderungsbedingtes Verhalten verletzt zu haben, wenn ich mich gerade mal wieder bemühe, unfallfrei durch Kommunikationsminenfelder zu navigieren. Autismus ist definiert als Behinderung in der sozialen Kommunikation und Interaktion, du solltest also nicht erwarten, dass ich nichtbehindert kommunizieren und soziale interagieren kann. Ich bin durch und durch und mein ganzes Leben lang autistisch, ich kann meinen Autismus nicht mal eben ablegen, wenn er grad nicht passt.

Wenn du im Gedächtnis behalten kannst, dass ich dich nicht absichtlich verletze, weil ich ein unsozialer Mensch bin, sondern tue, was ich innerhalb meines Möglichkeitsraumes tun kann.

Wenn du akzeptierst, dass ich nicht dazu da bin, dir selbst zu beweisen, was für ein toller Mensch du bist, weil du mich unterstützt.

Wenn du von mir keine dir ewig nachschleichende Dankbarkeit erwartest und dir klar ist, dass du mich nicht aus Selbstlosigkeit unterstützt, sondern weil es dein Job ist und du dafür bezahlt wirst.

Wenn du dir deiner eigenen Motive, mich zu unterstützen bewusst und dir selbst gegenüber ehrlich bist, denn dann besteht eine große Chance, dass du auch mir gegenüber ehrlich bleibst.

Wenn du nicht leugnest, dass es ein Machtgefälle gibt zwischen dir als unterstützende Person und mir als der Person, die von dir unterstützt wird und du darauf verzichtest, deine Macht mir gegenüber auszuspielen, weil du dich gerade durch meine autistische Art zu Sein gekränkt fühlst oder schlecht drauf bist oder oder oder.

Wenn du mich nicht zum Objekt Deiner Karrierepläne machst, weil Du meinst, dass du mit der Unterstützung von behinderten Menschen eine Nische gefunden hast, in der du dich profilieren kannst.

Wenn du und ich uns auf Augenhöhe begegnen können, weil für dich zu jeder Zeit sonnenklar ist, dass ich zwar behindert, aber nicht weniger wert bin als du, ich bin nur anders.

Dann freue ich mich, wenn du mich unterstützen möchtest.

Bildquelle: Gerd Altmann (14. Oktober 2014). https://pixabay.com/illustrations/support-thumb-thumbs-up-poor-man-487504/
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Unterstützte Beschäftigung – ist diese Maßnahme für Autisten geeignet?

Seit April diesen Jahres nehme ich tatsächlich an einer Maßnahme zur beruflichen Rehabilitation teil, die Rentenversicherung hat mir den erneuten Antrag dann doch genehmigt und mich aus der Rentenfalle entlassen. Ich vermute, der Arztbrief, den ich nach meinem Aufenthalt in der Tagklinik bekam, hat nicht unerheblich dazu beigetragen, dass ich dieses Ziel jetzt endlich nach den zwei Jahren Erwerbsminderungsrentnerdasein erreicht habe.

Die Maßnahme wird vom Integrationsfachdienst durchgeführt, den der Kostenträger (in meinem Fall ist das die DRV, im Regelfall läuft diese Maßnahme aber über die Agentur für Arbeit) mit der Maßnahmedurchführung beauftragt hat, und heißt „Unterstützte Beschäftigung„. Sie ist in in § 55 SGB IX geregelt. Ziel der Maßnahme ist es, mich wieder in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu bringen und dann dort zu halten. Dies soll über Praktika in verschiedenen Berufsbereichen nach dem Grundsatz „Erst platzieren, dann qualifizieren“ geschehen. Der Gedanke dahinter ist, dass es zielführender ist, den Arbeitssuchenden zuerst bei einem potentiellen Arbeitgeber unterzubringen und ihn dann für genau diesen Arbeitsplatz zu qualifizieren, als ihn zuerst in eine Qualifizierungsmaßnahme „von der Stange“ zu schicken und dann eine einigermaßen passende Stelle für ihn zu suchen.

Mein erstes Praktikum absolviere ich derzeit auf eigenen Wunsch bei auticon. Ich hatte mich dort bereits 2017 beworben, bislang konnte ich nicht eingestellt werden, weil es kein passendes Kundenprojekt gab, bei dem man mich hätte einsetzen können. Außerdem bin ich zwar ITaffin, aber nunmal kein Programmierer. Aber über ein Praktikum dachte ich, gäbe es für beide Seiten die Möglichkeit, risikolos ausprobieren zu können, ob eine Beschäftigung bei der Firma grundsätzlich klappen könnte. Ich bin sehr froh, dass sich sowohl der Integrationsfachdienst als auch auticon auf dieses Experiment eingelassen haben, denn die für mich vereinbarten Rahmenbedingungen sind einzigartig. Und in gewisser Weise ist die Konstellation redundant. Die „Unterstützte Beschäftigung“ beinhaltet nämlich eine engmaschige Betreuung durch einen Qualifizierungstrainer (QT), mit dessen Unterstützung eine individuelle berufliche Qualifizierung stattfindet. Diese Qualifizierungsphase dauert bis zu zwei Jahre, in Ausnahmefällen bis zu drei Jahre, währenddessen ist man als Teilnehmer sozialversichert. Dazu kommt anschließend eine Berufsbegleitung, falls erforderlich. Wenn ein Klient bei einem Arbeitgeber nach dem Praktikum in ein Arbeitsverhältnis übernommen wird, dann besteht im Rahmen der „Unterstützten Beschäftigung“ ein Rechtsanspruch auf diese Berufsbegleitung, im Unterschied zu anderen Leistungen der Integrationsämter (bzw. in Bayern des Inklusionsamtes), die häufig Ermessensleistungen sind. D.h., ich bekomme sicher einen Jobcoach, der mir so lange es notwenig ist, dabei hilft, den neuen Arbeitsplatz langfristig zu behalten. Was in meinem Fall vermutlich den Rest meines Arbeitslebens bedeutet und bei auticon sowieso erfüllt wäre. Denn diese Firma stellt ausschließlich Autisten ein und das Geschäftsmodell sieht einen eigenen Jobcoach für die dort beschäftigten Autisten vor.

Eigentlich wurde die Maßnahme „Unterstützte Beschäftigung“ ursprünglich für Menschen mit (Lern)Behinderung konzipiert, die als schwer bis nicht vermittelbar gelten und intensive Hilfestellung benötigen, um überhaupt in der Arbeitswelt unterzukommen. Letzteres trifft ja nun eher nicht auf mich zu, mein derzeit höchster Bildungsabschluss ist ein universitärer Bachelor in Erziehungswissenschaft und ich habe bereits erfolgreich auf dem ersten Arbeitsmarkt gearbeitet, insofern gehöre ich nicht gerade zur eigentlichen Zielgruppe. Aber der Teil mit den notwendigen intensiven Hilfestellungen, um eine neue Stelle zu finden und diese dann vor allem zu behalten, trifft auf mich zu. Das Schöne und gerade für Autisten dringend Erforderliche an dieser Maßnahme ist, dass das Unterstützungsangebot sehr individuell entwickelt werden kann.

Allerdings läuft es auch in dieser Maßnahme nicht ohne meine obligatorischen, und wie ich seit der Diagnose weiß, typisch autistischen Schwierigkeiten ab. Die Hauptschwierigkeit betraf bislang – warum nur wundert mich das nicht – die Kommunikation. Bei den Treffen mit dem QT, die mindestens einmal pro Woche stattfinden, geht es nicht nur darum, sich über das Praktikum zu unterhalten und wie es in der Arbeit oder mit den Kollegen gerade so läuft. Der QT ist auch für die Weiterentwicklung der Persönlichkeit und für berufsübergreifende Lerninhalte und Schlüsselqualifikationen des Klienten zuständig. Dazu wird ein Teilhabeplan erarbeitet, für den es die Formulierung von Lernzielen bzw. die Feststellung des Förderbedarfes braucht. In meinem Fall hieß das dann natürlich folgerichtig, dass u.a. Förderbedarf in meiner sozialen Kommunikation besteht – was ja eigentlich trivial ist – denn ich habe qua Diagnose hier Schwierigkeiten. Immerhin gehören Schwierigkeiten im Bereich soziale Kommunikation und Interaktion zu den Hauptdiagnosekriterien bei Autismus.

Bei einer Eins-zu-Eins-Unterstützung spielen natürlich die jeweiligen Persönlichkeiten des QT und des Klienten eine große Rolle, aber da der Integrationsfachdienst mehrere Qualifizierungstrainer beschäftigt, gibt es immer die Möglichkeit, wenn es mal nicht passen sollte, den QT zu wechseln. Dies ist problemlos möglich und wird zeitnah umgesetzt, denn die Vereinbarungen lassen sich jederzeit flexibel anpassen. Wichtige zugrundeliegende Werte und Prinzipien des methodischen Ansatzes bei der „Unterstützten Beschäftigung“ sind nämlich Selbstbestimmung und Wahlmöglichkeiten des Klienten. Das wird, soweit ich das aus meiner anekdotischen Sicht beurteilen kann,  möglichst in die Realität übertragen. „Normal“ wäre beispielweise, dass die Maßnahme in Vollzeit ablaufen sollte und man einmal pro Woche einen sogenannten Projekttag in der Gruppe mit den anderen hat, die zeitgleich in dieser Maßnahme sind. Hier erzählt jedes Gruppenmitglied in einer Art Kurzreflexionsrunde ein wenig aus seinem Praktikumsalltag und anschließend wird zusammen eine pädagogisch wertvolle Aufgabe erledigt, bei der die Gruppenmitglieder soziale Kompetenzen einüben können.

In meinem Fall wurde die Maßnahme als Viertagewoche mit 20 Wochenstunden und einem Projekttag, den ich für mich alleine verbringe, konzipiert. Ich habe freiwillig in der ersten Woche an einem Projekttag in den Räumen des Integrationsfachdienstes teilgenommen, weil ich neugierig war. Allerdings habe ich nach der Hälfte des Tages abgebrochen. Denn wegen meines Wissens als Erziehungswissenschaftlerin hatte ich sowohl die didaktische Umsetzung als auch die Lernziele identifizieren können und gesehen, dass ich selbst gar nichts an diesem Projekttag hätte lernen können. Es wäre auf die energiefressende Teilnahme an einer für mich sinnfreien Gruppeninteraktion hinausgelaufen, deshalb hatte ich mich frühzeitig zurückgezogen und mit meinem QT dann abgesprochen, dass ich fürderhin nicht mehr an diesen Tagen teilnehmen würde. Auf meine autistischen Bedürfnisse wurde eingegangen, mein QT hatte sich von Anfang an gedacht, dass diese Projekttage wegen der Reizüberlastung und der unklaren Strukturen, die im Gruppenkontext eigentlich immer entstehen, nichts für mich wären und sich bereits eine Alternativlösung überlegt.

Als bisheriges Fazit der Maßnahme „Unterstützte Beschäftigung“ im Rahmen meiner beruflichen Rehabilitation kann ich sagen: Es ist eventuell eine Möglichkeit, eine sozialversicherungspflichtige Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden bzw. eine solche Stelle für sich zu schaffen, die Rahmenbedingungen bietet, die man braucht. Eine eventuell auch für Autisten geeignete Möglichkeit, deshalb, weil es eine flexibel und individuell gestaltbare Maßnahme ist. Denn das Konzept sieht vor, mit dem Klienten zusammen die eigenen Bedürfnisse zu erarbeiten und dann bestmöglich umzusetzen.

Diese Maßnahme kann allerdings für den ein oder anderen Autisten auch gar nicht hilfreich sein. Es hängt ganz entscheidend von der Passung Klient und QT ab, ob oder inwieweit die „Unterstützte Beschäftigung“ für einen Autisten eine erfolgreiche Maßnahme sein kann. Auf der einen Seite ist der Autist, der über ausreichend Fähigkeiten verfügen sollte, seine Bedürfnisse mitzuteilen und die Zusammenarbeit mit dem QT und am Arbeitsplatz zu reflektieren. Auf der anderen Seite gibt es keinen Leistungsanbieter, der spezifisch nur für Autisten diese Leistung vorhält. Die Fachkräfte eines Integrationsfachdienstes verfügen demzufolge auch nicht zwingend alle über hinreichende Kenntnisse zu Autismus. Es kommt beispielsweise darauf an, ob genügend Fortbildungen zum Störungsbild besucht wurden, inwieweit in diesen Fortbildungen aktuelle Kenntnisse, bestenfalls unter Mitwirkung von Autisten selbst vermittelt wurden – denn veraltetes Wissen ist genauso schädlich wie gar kein Wissen zu Autismus – und inwieweit die personalen Kompetenzen der Fachkraft ein Zu- und Eingehen auf den autistischen Klienten zulassen. Wie so oft, hängt es also vom Einzelnen und vom Menschen selbst ab.

Man sollte sich den Maßnahmeanbieter aber genau anschauen. Es gibt gute Anbieter, die diese Maßnahme auch ordnungsgemäß durchführen. Aber es gibt auch die, die das nicht tun!


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„Leichter“ Autismus und (Schwer)Behinderung – wie passt das zusammen?

Im vorherigen Beitrag hatte ich über den Gerichts- und Gutachtertermin geschrieben, in dem darüber entschieden wurde, in welchem Grad ich schwerbehindert bin. Es gibt einen andauernden Diskurs, ob hochfunktionale Autisten (Asperger, HFA) überhaupt behindert sind. Und über die Bezeichnung „leichter“ Autismus, wenn man eine Asperger- oder HFA-Diagnose hat, wird teilweise heftig diskutiert. Ich sehe es so, dass die Bezeichnung „leichter“ Autismus Sinn macht, wenn man beschreiben möchte, wo ungefähr man im Autismus-Spektrum steht. Sie drückt in meinen Augen keinesfalls aus, dass man nur leichte Schwierigkeiten im Leben hat und sich beispielsweise „nicht so anstellen soll“, weil es auch die wirklich „schweren“ Fälle gibt. Es geht nicht um eine Bewertung des Autismus, sondern um eine Beschreibung. Und egal wo im Spektrum man sich als Autist befindet, man ist meiner Ansicht nach in jedem Fall in irgendeiner Weise behindert, andernfalls hätte man die Diagnose gar nicht erhalten. Die Frage bei einer Behinderung ist für mich nicht, wer wen behindert, sondern wer die Behinderung als solche wahrnimmt und wie schwerwiegend sich diese Behinderung auswirkt. Aber das ist meine Sicht, die muss niemand teilen.

In einer Diskussion über die Frage der Behinderung argumentierte mein Mann anhand des Beispiels Weihnachtsmarktbesuch, dass mein Autismus auch ihn behindere, weil es unmöglich sei, mehr als eine halbe Stunde mit mir auf einem Weihnachtsmarkt zu verbringen auch wenn ich ihm zuliebe dorthin ginge. Ihn belaste es, dass er wisse und es auch bemerke, dass es mir dort nach sehr kurzer Zeit nicht mehr gut ginge. So gesehen würde ich ihn darin behindern, mit mir zusammen etwas Schönes zu erleben, das für viele andere überhaupt kein Problem darstelle. Und so ginge es ihm als mein Partner mit vielen Dingen. Mich belastet es, zu wissen, dass sich mein Zustand des Es-auf-dem-Weihnachtsmarkt-nicht-aushaltens vermutlich niemals ändern wird, vorausgesetzt es verändern sich nicht grundlegende Bedingungen eines durchschnittlichen Weihnachtmarktes. Denn natürlich würde ich meinem Mann gerne den Gefallen tun, mit ihm gemütlich über einen Weihnachtsmarkt zu schlendern.

Meine Behinderung zeigt sich also beispielsweise in der Unmöglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe an einem ganz normalen Weihnachtsmarkt. Und Teilhabedefizite sind nun einmal Kennzeichen einer Behinderung. Man könnte natürlich sagen, das ist ein schlechtes Beispiel, es ist doch kein Problem, einfach nicht auf den Weihnachtsmarkt zu gehen, soll mein Mann halt alleine hingehen, wenn es ihm so wichtig ist. Es geht aber leider nicht nur um den Weihnachtsmarktbesuch an sich, es geht um all die Grenzen, denen ich mich zeitlebens gegenübersehe.

Mit der Asperger-Diagnose hatte ich endlich eine Erklärung dafür, weshalb ich nicht so wie andere um mich herum funktioniere, sondern offenbar irgendwie anders. Ich empfinde mein Anderssein als Käseglocke, die mich bereits mein ganzes Leben lang an manchen Tagen mehr und an anderen Tagen weniger daran hindert, am ganz normalen Leben teilzuhaben. Diese Käseglocke stellt eine unsichtbare Grenze zwischen mir und der Welt dar, auf der Außenseite sind diejenigen, die ich schon mein Leben lang beobachte. Und obwohl ich seit der Grundschule versucht habe, mich genauso wie sie zu verhalten, so zu sprechen wie sie, mich so zu kleiden wie sie, dieselben Dinge zu tun wie sie, ist es mir nicht gelungen, auf die andere Seite dieser Grenze zu wechseln.

Meine Käseglocke gehört wohl zu mir, sie begrenzt mich einesteils, andernteils beschützt sie mich auch und gibt mir eine Art „eigene Welt“ darunter. Manchmal ist die Käseglocke mehr oder weniger blickdicht und ich suche nach einer Stelle, wo ich durchgucken kann und fühle mich hoffnungslos einsam. Obwohl ich eine Familie habe, einen Mann und Kinder. Trotzdem fühle ich mich unverbunden, nicht dazugehörig und abgetrennt von allen anderen Menschen. Dieses Gefühl begleitet mich schon, solange ich mich zurückerinnern kann. Man möchte meinen, dass ich mich in all den Jahrzehnten daran gewöhnt habe, dem ist aber nicht so.

Leider ist diese Käseglocke keine Mauer, Käseglocken haben durchsichtige Wände. Eine Mauer wäre einfacher, weil ich dann wenigstens keine Ahnung davon hätte, wie es außerhalb aussieht und nie bemerkt hätte, dass ich anders bin als die Menschen jenseits dieser gläsernen Wand. Denn auch wenn ich wahrscheinlich nicht wirklich nachempfinden kann, wie es ist „normal“ zu sein, so sehe ich doch, dass es bei den anderen nicht so ist, wie bei mir. Manchmal ist meine Käseglockenwand hauchdünn und ich bekomme eine Ahnung davon, wie es wäre, dazuzugehören. Aber dann gehe ich einen Schritt weiter und stoße wieder mit der Nase dagegen. Und das tut immer wieder weh. Ich weiß nicht, ob es jemals aufhören wird.

Meine Käseglocke behindert, wie das Weihnachtsmarktbeispiel gezeigt hat, auch diejenigen, die außen sind und mit mir zusammen sein möchten. Seit der Diagnose weiß ich, dass ich niemals eine Chance hatte, auf die andere Seite meiner Käseglockenwand zu kommen. Sie ist meine Grenze, die ich nicht überwinden kann, weil ich ich bin. Und das behindert mich immer wieder, teilweise sogar schwer. Es hat insofern meiner Ansicht nach seine Richtigkeit, dass ich trotz „leichtem“ Autismus einen Schwerbehindertenausweis erhalten werde, auch wenn der nichts daran ändern wird, dass ich innerhalb meiner Käseglocke festsitze.


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Ungerechtigkeit von Amts wegen

Leid kann man eigentlich nicht vergleichen. Wie die Partnerin eines meiner Kinder einmal meinte: „Gerade weil wir alle in unserer eigenen Subjektivitätssuppe schwimmen, ist es völlig unsinnig, Anstrengungen und Mühe mit denen Anderer zu vergleichen, bzw. gar Leid zu relativieren und zu quantifizieren. „Wieviel mal Bus verpassen sind einmal Ebola?“ (guter Titel eines mittelmäßigen Poetry-Slam-Textes)“. Ämter und insbesondere Versorgungsämter müssen Leid, bzw. Behinderung aber nunmal vergleichen und auch quantifizieren, um Leid in Form von Graden der Behinderung festzustellen.

Dabei leide ich unter der Ungerechtigkeit der Entscheidungen der Ämter. Ich muss im Klageverfahren um einen höheren GdB als 30 kämpfen, weil ich laut Versorgungsamt nur leichte soziale Einschränkungen durch die seelische Störung Autismus habe. Und da bin ich nicht die Einzige. Gedankenkarrussel und Elodiylacurious ging es offenbar genauso.

Im Arztbericht, den ich nach der Diagnose erhielt, steht geschrieben, dass ich dank meines Autismus bereits seit Jahrzehnten deutliche Probleme im zwischenmenschlichen, sozialen Umfeld habe. Und in einem anderen Arztbrief ist die Rede davon, dass ich einen hohen Unterstützungsbedarf bei der Bewältigung von alltagsrelevanten Aufgaben habe. Und mich meine Einschränkungen im sozialen Kontakt an der Teilnahme am Berufsleben hindern.

Scheinbar bedeuten deutliche Probleme, hoher Unterstützungsbedarf und keine Teilhabe am Arbeitsleben für das Versorgungsamt, bei dem ich meinen Antrag auf Schwerbehinderung stellen musste, nur leichte Einschränkungen. Ich frage mich aber, warum die Versorgungsämter offenbar nicht überall nach den gleichen Kriterien entscheiden. Eine Bekannte aus der Selbsthilfegruppe, in die ich manchmal gehe, wenn ich Energie genug dafür habe, hat ebenfalls einen solchen Antrag gestellt. Sie arbeitet seit Jahren in Teilzeit, hat Kinder, lebt in einer Beziehung, engagiert sich ehrenamtlich, treibt regelmäßig Sport, besucht Gruppenveranstaltungen und ist diagnostizierte Autistin. Größere andere gesundheitliche Einschränkungen hat sie nicht, außer dem Diagnosebrief von der gleichen Fachambulanz, von der auch ich meinen Diagnosebrief erhielt, schickte sie keine medizinischen Unterlagen mit ihrem Antrag mit. Aber sie erhielt von ihrem Versorgungsamt nach sehr kurzer Bearbeitungszeit einen zeitlich nicht befristeten Schwerbehindertenausweis mit einem GdB von 50. Auch mein Sohn hat damals vom gleichen Versorgungsamt sofort einen Schwerbehindertenausweis mit GdB 50 erhalten. Es scheint davon abzuhängen, bei welchem Versorgungsamt man als Autist den Antrag stellt. Ich empfinde das als nicht gerecht.

Das Arbeitsamt hat mich immerhin gleichgestellt. Und das Rentenamt schrieb mir letzte Woche, dass ich seit Anfang letzten Jahres voll erwerbsgemindert bin – bis Anfang nächsten Jahres. Sie weisen mich darauf hin, dass der Rentenanspruch befristet ist, weil es nach den medizinischen Untersuchungsbefunden nicht unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann. Ah schön, das zu lesen, was mich interessieren würde ist, wie das vonstattengehen soll. Ich vermute, meine Autismus-Spektrum-Störung ist Anfang nächsten Jahres noch nicht ausgeheilt. Nächstes Jahr schaffe ich es wahrscheinlich genauso wenig, wie all die Jahre zuvor, vollschichtig erwerbsfähig zu sein geschweige denn zu bleiben. Denn ich vermute, autistengerechte Arbeitsstellen wird es dann auch nicht mehr geben als heute.

Seit November erhalte ich also Rente, die aber leider, leider vorläufig nicht ausbezahlt wird. Aha. Und wovon bitte soll ich leben? Mal ganz abgesehen davon, dass man von der Rente eher nicht leben kann. Ich bin ein klarer Fall von Altersarmut. Das liegt an meiner gebrochenen Erwerbsbiografie, die ich dank des mitgeschickten Versicherungsverlaufes auf ziemlich vielen Seiten nachvollziehen kann und die ziemlich wenig Rentenpunkte ergibt – trotz Versorgungsausgleich, Mindestentgeltpunktanhebung und sonstiger Zuschläge. Und trotz Abitur und einem abgeschlossenen Studium. Aus diesem Versicherungsverlauf kann jeder Sachbearbeiter auch sehr gut erkennen, dass ich Zeit meines Lebens nicht fähig war, eine Arbeitsstelle längere Zeit zu behalten, geschweige denn, Vollzeit erwerbstätig zu sein. Und auch, dass ich dem Sozialstaat deshalb trotzdem nur einen Monat und drei Tage lang finanziell zur Last gefallen bin.

Gut, dass mich meine Familie immer unterstützt hat, wofür ich ihr unendlich dankbar bin. Ich bin unglaublich froh, dank meines Ehemannes auch heute noch Unterstützung bei Arztbesuchen, Behördengängen und allgemein im alltagspraktischen Dingen zu erhalten. Dass ich ohne Unterstützung zurechtkomme, meinen nur die Ämter. So gesehen habe ich einen Fehler gemacht, nie vorher Unterstützungsleistungen beantragt zu haben – nur: Wie hätte ich das ohne die Autismus-Diagnose machen sollen? Hingehen und sagen: Lieber Sachbearbeiter, leider bekomme ich das ganz normale Leben einfach nicht hin. Ich kann Ihnen auch nicht erklären, weshalb das so ist. Aber unterstützen Sie mich doch bitte mal.

Als ich endlich erfahren hatte, weshalb das so ist und eine Diagnose hatte, habe ich genau das versucht: Unterstützungsleistungen zu erhalten. Der beantragte Nachteilsausgleich im Studium wurde auch nach Widerspruch nicht gewährt. Dass das Rentenamt mich nicht beim Finden einer neuen Arbeitsstelle unterstützen wollte, sondern lieber in Rente schickte, empfinde ich immer noch als ungerecht. In Endeffekt vertagt die DRV das Problem aber nur, weil meine Rente befristet ist. Ich bin gespannt, ob sie mich dann Anfang nächsten Jahres dabei unterstützen werden, eine neue Arbeitsstelle zu finden.

Ich denke: Wenn das Versorgungsamt mir schon bescheidet, ich hätte keine anhaltenden schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten, die eine umfassende Unterstützung und Förderung bei der Integration in verschiedene Lebensbereiche erfordern würden, dann sollen sie mir bitte erklären, weshalb das Rentenamt mich zwangsverrentet. Oder inwiefern es nur leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten sind, wenn mein soziales Umfeld seit meiner frühen Kindheit nahezu leer ist, ich auch im Alter von 53 Jahren nicht ohne meinen Mann Behördengänge erledigen kann, er für mich telefonische Terminabsprachen erledigen muss. Wenn ich noch bei keiner Arbeitsstelle soziale Kontakte habe knüpfen können, mir von Chefs wiederholt soziale Anpassungsfähigkeit, soziale Kompetenzen und Teampassung abgesprochen wurden, ich nicht längerfristig im Arbeitsleben zu integrieren bin, obwohl ich mich wirklich immer um Anpassung bemüht habe. Wenn ich immer psychisch und körperlich krank und schließlich arbeitsunfähig geworden bin, nachdem ich mal wieder eine Arbeitsstelle gefunden hatte, was selten genug der Fall war. Wenn ich nach nur sechs Stunden an nur vier Tagen im Büro so energielos war, dass ich meine drei freien Tage am Stück dazu brauchte, um mich schlafend und auf der Couch zusammenbrechend so weit zu erholen, damit ich am Montag wieder in der Arbeit erscheinen konnte. Wenn ich in meiner Freizeit nicht fähig bin, die Dinge zu tun, bei denen Nichtautisten sich in ihrer Freizeit erholen, weil viele Freizeitbeschäftigungen und hier insbesondere die, die soziale Anpassungsleistungen verlangen, für mich aus Energiemangel und Überlastungsgründen leider nicht möglich sind. Wenn ich erst in unüblich hohem Alter ein Studium geschafft habe, und zwar erst, nachdem ein Studium durch den Bologna-Prozess und die deshalb erfolgte Umstellung auf Bachelorstudiengänge soweit verschult wurde, dass für mich genügend von außen vorgegebene Strukturen vorhanden waren, um es mit der massiven Unterstützung durch meinen Mann dann endlich doch noch nach insgesamt 17 Hochschulsemestern zu schaffen. Wobei ich auch im Studium immer schon große Probleme bei Gruppenarbeiten und in der Kommunikation mit Kommilitoninnen hatte. All das würde ich schon unter mittlere soziale Anpassungsschwierigkeiten subsummieren und sagen, dass ich darunter leide oder gelitten habe.

Autisten wird in der Fachliteratur oft nachgesagt, sie sähen statt des großen Ganzen nur Details. Ich sitze kopfschüttelnd hier mit all meinen amtlichen Bescheiden. Die einesteils detailliert behaupten, ich sei nicht schwerbehindert, weil ich keine anhaltenden sozialen Anpassungsschwierigkeiten hätte, die eine umfassende Unterstützung und Förderung bei der Integration in verschiedene Lebensbereiche erfordern würden. Andererseits steht da, ich sei einem Schwerbehinderten gleichzustellen, um wenigstens im Bereich der Arbeit überhaupt integriert werden zu können und außerdem derzeit gar nicht integrierbar, sondern wegen all meiner (sozialen Anpassungs)schwierigkeiten sogar voll erwerbsgemindert. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, weshalb die zuständigen Ämter sich nicht zusammensetzen und das große Ganze betrachten. Ich bin nicht nur Zeit meines Lebens wegen (sozialer) Anpassungschwierigkeiten behindert und leide sogar nach außen sichtbar darunter. Sondern ich werde zusätzlich von Amts wegen durch Ungerechtigkeit behindert, worunter ich ebenfalls leide. Ich verstehe wirklich nicht, weshalb von Amt zu Amt scheinbar willkürlich statt (in meinen Augen) gerecht entschieden werden kann.


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Asperger im Studium – K(r)ampf um einen Nachteilsausgleich

In den Links (beispielsweise hier), auf die die Seiten der FUH verweisen, ist mehrfach explizit von Autismus und Asperger-Betroffenen als berechtigter behinderter Personenkreis für einen Nachteilsausgleich die Rede. Ich hatte in den Informationen des Studentenwerkes erfahren:

„Deshalb gilt: Studierende sollten möglichst frühzeitig Kontakt zu den Behindertenbeauftragten bzw. Beratungsstellen für Studierende mit Behinderungen und chronischenKrankheiten der Hochschulen oder Studentenwerke aufnehmen. Hier gibt es nebenallgemeinen Informationen zum Thema Nachteilsausgleich bei Bedarf Beratung zu Art und Umfang der individuell notwendigen Prüfungs- und Studiengangmodifikationen und zum Beantragungsverfahren“ (S. 97).“

Ich hatte mich zeitnah nach Kenntnis meiner Beeinträchtigung -da ich meine Diagnose erst dieses Jahr erhalten habe also erst mitten im Studium – an die Hochschulbeauftragte für Behinderte und chronisch kranke Studierende der FUH gewandt. Ich bat dort um eine solche Beratung, die meine Schwierigkeiten, mich in eigener Sache zu vertreten, berücksichtigt. Ich bat um Hilfe bei der Frage, an wen ich mich wenden sollte und um Information, was konkret und bitte in für mich nachvollziehbaren Einzelschritten ich tun sollte. Sie schickte mir als Unterstützungsmaßnahme den Leitfaden der FUH zum Nachteilsausgleich und verwies mich an meine Ärztin wegen der Möglichkeit einer Studienassistenz weiter.

Ich hatte dann einen formal korrekten Antrag auf Nachteilsausgleich gestellt. Und gestern habe ich schriftlich den Ablehnungsbescheid des Prüfungsamtes erhalten. Die Sachbearbeiterin teilte mir vorab per E-Mail mit, was die Leiterin des Prüfungsamtes entschieden hat. Eine Professorin der FUH, die sich dank einer Kommilitonin ebenfalls der Sache annahm, riet mir zuvor, dass ich mich für die Prüfungen anmelden solle, sie würde nochmal mit der Leiterin des Prüfungsamtes wegen der Ablehnung reden. Ich habe mich also rechtzeitig vor Fristende für die Module M6 und M7 zur Prüfung angemeldet. Das Reden hat aber wohl auch nichts genutzt. Jetzt habe ich also eine offizielle Ablehnung meines Antrages auf Nachteilsausgleich (mit demselben Text, wie der aus der E-Mail von der Sachbearbeiterin) mit folgendem Wortlaut als Weihnachtsgeschenk erhalten:

„nach eingehender Prüfung Ihres Antrags zum Nachteilsausgleich vom 13.12.2016 für die Module 6, 7 und die Masterarbeit mit beiliegendem Attest muss ich Ihnen mitteilen: Die fehlende oder reduzierte Filterung von Reizen sowie die Priorisierungsmängel liegen – wie auch aus dem Attest hervorgeht – in einer persönlichkeitsbedingten Eigenschaft (Asperger-Syndrom) begründet. Eine Veränderung der Prüfungsanforderungen würde bei einer solchen generellen Einschränkung der Leistungsfähigkeit den Aussagewert des Ergebnisses der Leistungskontrolle verfälschen, so dass die  Antragstellung eine Ablehnung des Antrags in der gestellten Form ergeben hat. Hausarbeiten und die Abschlussarbeit können grundsätzlich im eigenen häuslichen Umfeld bei relativ flexibler Zeiteinteilung bearbeitet werden. Sich – wie von Frau XYZ angeregt – bei der zuständigen Stelle über die Möglichkeit einer Studienassistenz zu informieren, halte ich für sinnvoll.“

Neben der Hochschulbeauftragten für Behinderte und chronisch kranke Studierende meint also auch das Prüfungsamt, dass die Lösung in einer Studienassistenz läge. Die nette Frau vom Netzwerk Autismus meinte allerdings auf meine Nachfrage, was einen Studienassistenz eigentlich wäre und inwiefern mir das nutzen könne, das käme für mich nicht in Frage. Meine Ärztin hat mich in dieser Frage an die FUH zurückverwiesen, weil ihrer Aussage nach die die zuständige Stelle sind. Ich bin ratlos. Ich werde also von A nach B geschickt und B schickt mich zurück zu A. Wer ist denn eigentlich tatsächlich die zuständige Stelle für die Beantragung einer Studienassistenz? Wieso sagt mir das keiner an der FUH, nicht mal die Hochschulbeauftragte für Behinderte und chronisch kranke Studierende weiß es? Wie und vor allem wo kann ich das überhaupt herausfinden? An wen kann ich mich jetzt eigentlich noch wenden?

Meine Ärztin, die das fachärztliche Attest schrieb, reagierte auf die Ablehnungsbegründung mit Unverständnis. Sie hat schon häufiger Atteste mit demselben Inhalt geschrieben und bisher gab es an anderen Universitäten keine Probleme, Nachteilsausgleiche konnten gewährt werden. Meine Ärztin hat mir also ihr Befremden wegen der Ablehnungsbegründung ausgedrückt, kann aber ansonsten nichts tun. Und ich frage mich (und natürlich auch gerne die FUH, falls sich doch noch jemand für zuständig erklären sollte) zum wiederholten Mal: Wer kann mir dabei helfen, Widerspruch einzulegen? Welche Begründung könnte ich anführen?

Im Moment sieht es eher nach einer Auseinandersetzung um die Anerkennung von Autismus als Behinderung bei der FernUniversität Hagen (FUH) aus. Im Prüfungsamt scheint noch nicht angekommen zu sein, dass Autismus eine Behinderung ist, deren Auswirkungen einen Nachteilsausgleich rechtfertigen würden. Warum begründet das Prüfungsamt der FUH die Ablehnung damit, in meinem Autismus eine persönlichkeitsbedingte Eigenschaft zu sehen? Irrtümlich könnte man bei der Formulierung davon ausgehen, dass Autismus als eine Persönlichkeitsstörung gesehen wird. So wie ich es verstehe, fokussiert die Begründung aber darauf, dass ich ein persönlichkeitsbedingtes Grundleiden habe, das mein Leistungsvermögen nicht behindert. Meine Leistung ist wegen meines Asperger-Syndroms immer schon so wie jetzt gewesen und ein Nachteilsausgleich würde mir ungerechtfertigte Vorteile bringen.

In einer ein Jahr alten Diskussion des Forums für Rehabilitation und Teilhaberecht der DVfR (Deutsche Vereinigung für Rehabilitation) kommt man in einem ähnlichen Fall zu dem Ergebnis, dass ein Nachteilsausgleich zugestanden hätte werden müssen. Auf meinen Fall übertragen heißt das für mich: Meine persönlichkeitsbedingte Eigenschaft (Asperger-Syndrom) ist eine anerkannten Behinderung. Die Einschätzung des Prüfungsamtes berücksichtigt nicht, dass diese Behinderung ein Recht auf Ausgleich genau der Nachteile bedingt, die durch sie entstehen. Außerdem kommt es seitens des Prüfungsamtes zusätzlich zu einer Vermischung zwischen intellektueller und psychischer Behinderung, weil mit dem Hinweis auf eine Studienassistenz meine Studierfähigkeit an sich angezweifelt wird. Aber nicht meine grundsätzliche Leistungsfähigkeit ist autismusbedingt beeinträchtigt, sondern ich benötige nur mehr Zeit, um dieselbe Leistung, wie ein Studierender ohne Behinderung erbringen zu können. Eine angemessene Zeitverlängerung als Ausgleich für die durch meine Behinderung bedingten Nachteile wäre also ganz im Sinne des Verbotes der Benachteiligung Behinderter. Diese Ablehnung kann auch nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz im Prüfungsrecht begründet werden. Im Sinne einer gleichberechtigten Bildungsteilhabe sollte eine Gewährung des von mir beantragten Nachteilsausgleiches als Herstellung von gleichwertigen Prüfungsbedingungen verstanden werden, nicht als Gewährung irgendwelcher Vorteile oder als Verringerung der fachlichen-inhaltlichen Anforderungen des Studiums. Das Grundproblem liegt demnach in einer fragwürdigen Sicht auf Behinderung und einer Diskriminierung psychischer Behinderungen gegenüber körperlicher Behinderungen.

Ich muss mich bis spätestens Januar entscheiden, ob ich es überhaupt schaffe, im Moment irgendeine Prüfung an der FUH abzulegen. Ich fühle mich allein gelassen von den Verantwortlichen an der FUH. Wobei ich ja noch nichtmal von irgendwem eine zielführende Information erhalten habe, wer für was verantwortlich ist. Inklusion sieht in meiner Logik anders aus, Barrierefreiheit ebenfalls, aber ich kenne mich mit meinen Rechten und Pflichten als Behinderte nicht richtig aus, mir fehlt juristisches Fachwissen. Ich weiß gar nicht, wo ich alle für mich relevanten Informationen dazu finden kann, geschweige denn, welche Information relevant ist und bin im Moment damit überfordert. Zur Zeit kann ich meine grundlegenden Schwierigkeiten nicht mehr so gut kompensieren, wie das lange Zeit retrospektiv gesehen nach außen hin relativ gut funktioniert hat.

Eine der Folgen, die mein Autismus hat, ist, dass ich mich bei Überlastung sozial zurückziehe und ein Kernsymptom sind Schwierigkeiten in der Kommunikation. Das behindert allerdings meine Chancen, mich um meine Belange kümmern zu können. In meinen Augen ist die ganze Situation wieder mal reichlich absurd. Ich soll Dinge erledigen, die ich wegen meines Autismus gar nicht ohne Unterstützung erledigen kann und werde durch Stellen, die mich unterstützen sollten auch noch dabei behindert. Ich stehe vor einer für mich nicht mehr bewältigbaren Menge an zum Teil zeitlich befristeten Aufgaben und habe wegen meiner Behinderung Schwierigkeiten mit dem Zeitmanagement und der Priorisierung. Das Bemühen um Lösungen, Unterstützung und Hilfe kosten mich Kraft und Fähigkeiten, die ich jedoch gerade wegen meines Asperger-Syndroms und dessen Auswirkungen nicht habe.

Die Ärztin von der Diagnosestelle und die nette Frau vom Netzwerk Autismus haben mir zu weniger Belastung geraten. Ich hatte wegen meiner Fragen zur Studienassistenz und zum Nachteilsausgleich diese Woche einen Termin bei meiner? Ärztin und sprach sie darauf an, dass ich meines Wissens doch gar nicht in Behandlung bei ihr gewesen war, sondern es bei den bisherigen Terminen nur um die Diagnostik gegangen wäre. Sie erklärte mir, weshalb dem nicht so ist, demnach war und bin ich „in Behandlung“. Aus abrechnungstechnischer Sicht ist das logisch und seit dem letzten Termin gehe ich auch damit konform. Warum sie mir dringend zu einer Reduzierung meiner Belastung geraten hat, liegt daran, dass ich psychosomatische Überlastungsreaktionen zeige, die scheinbar typisch für Menschen wie mich bei zu hoher Belastung sind? Ich denke, sowohl die nette Frau im Netzwerk Autismus als auch meine Ärztin kennen mehr Autisten als ich und ich sollte ihnen besser Glauben schenken, mal abgesehen davon, dass es mich selbst erschreckt, in welchem Umfang ich inzwischen gesundheitliche Probleme habe.

Aber ich habe keine Ahnung, wie ich meine Belastung reduzieren soll. Es geht eigentlich nur in Dingen, die weder ein Fristende haben noch rechtlichen Folgen, fristgerechte Widersprüche und Antragstellungen gehören demnach nicht dazu. Ich sehe im Moment – aspergertypisches? Schwarz-Weiß-Denken – nur die Möglichkeit, aufzugeben und keinen Widerspruch einzulegen, um meine Belastungen zu reduzieren.

Die Diagnose hat mich als Mensch nicht verändert, meine Schwierigkeiten sind mein ganzes Leben lang dieselben gewesen. Und sie werden es auch bleiben. Das Wissen um die Ursache der Schwierigkeiten verändert natürlich die Schwierigkeiten an sich ebenfalls nicht. Ich habe definitiv Nachteile wegen meines Asperger-Syndroms, aber nirgendwo steht geschrieben, dass das Leben fair ist. Diese Nachteile bin ich zwar gewohnt, es macht die Schwierigkeiten aber ebenfalls nicht leichter erträglich. Ich habe bisher mein Leben ohne irgendeinen Ausgleich meiner autismusbedingten Nachteile gelebt, ich habe es alleine geschafft und ich werde es auch weiterhin alleine schaffen. Ich weiß nicht, ob es sich mit Nachteilsausgleich leichter hätte leben lassen. Wahrscheinlich aber hätte es sich für meine Gesundheit zuträglicher leben lassen. Die Folgen habe in erster Linie ich zu tragen und ich bin und bleibe behindert – aber letzten Endes werde ich derzeit zusätzlich auch noch von außen behindert, was nicht sein müsste. Meiner autistischen? Sicht nach empfinde ich die Auslegung der Regelungen zum Nachteilsausgleich als absurd und die Argumentation des Prüfungsamtes als unlogisch. Inklusion an der FUH klingt im Jahr 2016 leider nur auf dem Papier gut – in der Realität gibt es gravierende Umsetzungsprobleme. Diese Aussage hat anekdotische Evidenz und spiegelt meine Erfahrung wider.


2 Kommentare

Diagnose: Mensch

Ich habe lange nichts mehr hier geschrieben, bin sozusagen abgetaucht. Das hatte seinen Grund. Nach einem vollständigen Zusammenbruch im letzten Sommer und einem sich über mehr als ein halbes Jahr hinziehenden, langen und anstrengenden Diagnostikprozess in einer Uniklinik weiß ich jetzt offiziell, dass ich ein Mensch mit Asperger-Syndrom (ICD 10 F84.5) bin.

Immerhin habe ich jetzt endlich eine Antwort auf all meine Warums, die sich mein Leben lang ansammelten und sich verstärkt im Verlauf meines Masterstudiums auch in Bezug auf das Studium selbst und in jüngerer Zeit insbesondere durch eine neue Arbeitsstelle ergaben.

Warum scheitere ich wieder und wieder an Kommunikation, sogar an rein schriftlicher? Warum fällt es mir so schwer, Kontakt zu anderen aufzunehmen und zu halten, Freundschaften aufzubauen? Fails, Fehldeutungen, Missverständnisse sind scheinbar bei mir quasi immer schon vorprogrammiert. Warum eigne ich mich nicht besonders gut für Arbeiten in Gruppen, wenn die Gruppengröße > 2 Personen ist? Warum fällt es mir so schwer, Feedback zu geben? Warum verstehe ich nach sehr kurzer Zeit gar nichts mehr, wenn ich im Studium an Adobe Connect Sitzungen oder in der Arbeit an Teamsitzungen teilnehme? Warum bedeutet eine mit den Kollegen verbrachte Mittagspause so viel Stress für mich, dass ich danach absurderweise erstmal eine längere Pause brauche? Warum stören mich Unterbrechungen bei der Arbeit durch das Telefon oder hereinkommende Kollegen so sehr, dass ich an manchen Tagen mehr Zeit damit verbringe, wieder in meine vorherige Tätigkeit hineinzukommen, als insgesamt produktiv tätig zu sein? Warum konnte ich zeitlebens nicht Vollzeit arbeiten gehen, ohne binnen kürzester Zeit krank zu werden? Warum habe ich kein funktionierendes Zeitmanagement? Warum prokrastiniere ich oder schaffe es nicht, irgendetwas anzufangen, obwohl ich es mir täglich fest vornehme? Warum fällt es mir so schwer, rechtzeitig um Hilfe zu bitten? Warum erlebe ich, soweit ich mich erinnern kann, Interaktionen mit anderen größtenteils als Belastung? Warum habe ich scheinbar mein ganzes Leben lang bereits Angst? Warum muss ich eigentlich alles kontrollieren? Warum kann ich anderer Leute Unordnung so schlecht tolerieren und finde es beruhigend, wenn ich beispielsweise Eierschachteln nach Farbe sortiere? Warum bringt es mich völlig aus der Fassung, wenn Abmachungen nicht eingehalten werden? Warum bin ich oft so unflexibel in meinem Denken und brauche unverhältnismäßig lang, etwas zu verändern, oder auf im Nachhinhein völlig offensichtliche Lösungen zu kommen, wenn sie mir ein anderer sagt? Warum mag ich Veränderungen im Grunde nicht, ja, ich kann mich daran gewöhnen, aber wenn ich mich daran gewöhnt habe, ist es in meinem Empfinden so, als wäre es immer schon so gewesen? Warum komme ich mit meinen Emotionen oft nicht zurecht? Warum brauche ich so viel mehr Zeit für mich alleine, als augenscheinlich alle anderen Menschen um mich herum?

Oder auch: Warum fällt es mir so leicht, eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben? Warum bin ich wirklich gut in Literatursuche? Warum halte ich länger, ohne eine Pause zu brauchen, konzentriert und hochfokussiert durch, wenn mich ein Thema interessiert als die meisten anderen? Warum kann ich so gut Korrekturlesen und warum fallen mir Rechtschreib- oder Grammatikfehler sofort auf? Warum ermüdet oder langweilt es mich nicht, täglich stundenlang über Monate oder sogar Jahre hin alles, was sich finden lässt zu einem mich interessierenden Thema zu lesen? Warum lese ich seit meiner Kindheit wirklich unglaublich viel und so schnell? Warum kann ich problemlos so lange Zeit bewegungslos irgendwo stehen oder sitzen, dass ich für Tiere scheinbar ein Teil der Umgebung werde und ich sie beobachten kann, ohne dass mich das langweilt, ich Sehnsucht nach Gesellschaft oder Unterhaltung hätte oder irgendwem davon erzählen wollen würde?

Auf so vieles habe ich jetzt endlich eine Antwort.

Das bringt allerdings neben der Erleichterung, dass es nicht daran liegt, dass ich mich nicht genügend anstrenge oder zusammenreiße, dass ich nicht zu unkooperativ o.ä. bin, und auch kein Hypochonder, der sich das alles nur einbildet und neben dem Wissen, dass ich zwar leider nicht hochbegabt, aber immerhin auch nicht wirklich doof bin, auch die unschöne Erkenntnis, dass das, was sich in meiner Wahrnehmung wie eine gläserne Trennwand durch mein Leben zieht, eine Behinderung ist, die nicht verschwinden wird.

Die Erkenntnis, leider kein verkanntes Genie zu sein, selbstverständlich, während ich alle meine Schwierigkeiten völlig verdränge und sie den anderen zuschreibe, sondern im Gegenteil so viele Dinge wesentlich schlechter und vor allem anscheinend langsamer zu schaffen als andere und bei unglaublich vielen alltäglichen Vorkommnissen im Kontakt mit anderen und zu erledigendem Alltagskram trotz meines Alters immer noch dringend auf Hilfe und Erklärungen angewiesen zu sein. Die Erkenntnis, das unwahrscheinliche Glück gehabt zu haben, mein Leben lang von meiner Familie unterstützt worden zu sein. Ein tiefempfundener Dank geht hier an meine Eltern, insbesondere an meine Mutter, an meine Lieblingsschwägerin und an meinen Bruder und ganz besonders an meinen Mann. Die Erkenntnis, den Rest meines Lebens auch weiterhin Unterstützung zu brauchen und wahrscheinlich niemals wirklich selbstständig leben zu können, obwohl ich mein Leben lang darum gekämpft habe, einfach nur normal, so wie alle anderen zu werden. Mit dieser Erkenntnis zurecht zu kommen und damit, dass mich die Diagnose zwar nicht zu einem anderen Menschen macht, sich retrospektiv jedoch vieles ändert, und ich meine Selbstwahrnehmung korrigieren muss, braucht im Moment all meine Energie und Kraft.

Mein Autismus ist keine Krankheit, die impliziert, dass ich irgendwann einmal gesund war oder das jemals werden könnte. Es ist, soweit ich das verstanden habe, eine tiefgreifende Entwicklungsstörung. Mein Autismus ist etwas, das ich als eine gläserne Trennwand bezeichne, die mich oft mehr und manchmal weniger daran hindert, an vielen Dingen genauso teilzuhaben, wie die meisten anderen Menschen. Je nach Tagesform ist diese gläserne Trennwand mal gut geputzt und nahezu unsichtbar oder völlig trüb und steht gut erkennbar zwischen mir und den anderen. Mein Autismus ist etwas, das immer da war, egal wie sehr ich mich bemüht habe, die Erwartungen zu erfüllen. Er ist sozusagen ein Teil meiner Persönlichkeit. Und ich möchte nicht den Rest meines Lebens einen Teil meiner Persönlichkeit verstecken müssen.

Nicht nur deshalb habe ich beschlossen, offen damit umzugehen. Sondern auch aus logischen und pragmatischen Gründen. Dieses Thema betrifft zwar nur relativ wenig Menschen. Bei einer Prävalenz von aktuell 0,3% ist es jedoch sehr wahrscheinlich, dass sich selbst in meinem FernStudiengang mehr als einer findet. Vielleicht hilft meine Offenheit anderen. Ich gehe dabei von mir aus, weil es mir auf meinem Weg durch die Diagnostik geholfen hat und jetzt aktuell nach der Diagnose immer noch hilft, von anderen zu lesen, zu erkennen, dass Autismus ein sehr differentes Spektrum ist, von dem ich bis letztes Jahr noch meinte, dass ich ganz bestimmt nicht dazu gehöre. Ich? Autistin? Das glaube ich nicht! Ich bin so ganz anders, als der eine andere Menschen mit Autismus, den ich bis dato persönlich kannte und anders als das, was mir in den Medien als Darstellung von Autismus begegnet war – meinte ich. Hier bewahrheitet sich ein Satz, den ich mittlerweile nachvollziehen kann: Kennst du einen Autisten, kennst du genau diesen einen Autisten.

Einige Menschen in meiner Lebenswelt haben geduldig versucht, mir Übereinstimmungen mit den Diagnosekriterien aufzuzeigen, die sie meinten bei mir zu erkennen, wofür ich ihnen dankbar bin. Aber am meisten hat es mir persönlich geholfen, von anderen zu lesen (beispielsweise in Büchern – ganz besonders Danke an Fuchskind–  oder auf Blogs anderer Frauen, wie dem Von Maedel oder Regine Winkelmann, oder Selbsthilfeforen, wie Aspies.de) oder zu hören und zu erfahren, dass ich nicht alleine bin. Dass ich vor allem auch nicht alleine bin mit meinen Zweifeln und meinem Hinterfragen der Diagnosekriterien und den Fragen, die sich mir jetzt, nachdem der Verdacht zur Gewissheit wurde, nach der Diagnose stellen. Ich habe auf einigen Seiten gelesen, dass sich andere dazu entschließen, aus bestimmten Gründen ihren Autismus zu verstecken. Das respektiere ich. Für mich selbst wähle ich jedoch den anderen Weg, in der Hoffnung auf Verständnis und darauf, den Rest meines Lebens als der Mensch akzeptiert zu werden, der ich bin. Das meint natürlich nicht, dass ich nicht auch in Zukunft versuchen werde, weiterhin an meinen Schwierigkeiten zu arbeiten.

Es wäre nur schön, wenn der Fokus nicht ausschließlich auf meinen Fehlern im zwischenmenschlichen Umgang oder auf meinen Schwierigkeiten mit Kommunikation und meinen Defiziten in sozialer Kompetenz liegen würde. Ich bin ziemlich lärm- und geruchsempfindlich und wirke in diesem Zusammenhang oft unhöflich. Ich bin, wenn ich mich nicht sehr kontrolliere, oftmals zu direkt. Ich sage manchmal unbeabsichtigt Dinge, die andere verletzen oder beleidigen können, ohne es zu merken. Wenn ich in Gedanken bin, kann es sein, dass ich abweisend und barsch reagiere. Mir wurde häufiger gesagt, dass ich nach außen überheblich und unhöflich wirke, ich selbst denke von mir, dass ich sehr oft unsicher bin und wenig Selbstbewußtsein habe. Ich bin leider oft gestresst, was mich dann genervt oder ungeduldig wirken lässt, oder auch völlig unbeteiligt. Und ich reagiere manchmal auf eine Weise, die andere befremdet. Ich erscheine häufiger unflexibel im Denken und wirke geistig abwesend, wenn ich innerlich wegen Überlastung bereits abgeschaltet habe. Mein Verhalten hat einen Grund und der heißt Autismus.

Aber trotzdem bin ich ein Mensch mit ganz normalen Vorlieben und Abneigungen, ich mag Sushi und derzeit meine tägliche Portion Tomate-Mozzarella (natürlich laktosefrei). Ich höre überwiegend Techno, aber auch Popmusik und mag Tiere und Pflanzen. Meine Fische, Hühner, Katzen und sonstiges Viechzeug beobachte ich ausdauernd. Ich buddle gern in meinem wunderschönen Garten und kenne die meisten Bäume, Sträucher und Stauden namentlich. Ich habe eine Vorliebe für autodidaktisches, lebenslanges Lernen und einen tiefschwarzen Humor, der häufig nicht verstanden wird. Ich lese neben viel Fachliteratur und wissenschaftlichen Studien, die meine Interessensgebiete und Inhalte meines Studiums behandeln, auch gern und exzessiv Science-Fiction und Fantasy Literatur, ich bin ein Fan von Terry Pratchett, Matt Ruff und George R.R. Martin. Ich halte viele Sendungen im Fernsehen für Volksverdummung, gucke aber trotzdem mit Begeisterung Serien wie The Big Bang Theory oder Game of Thrones. Ich bin ein überwiegend logisch denkender Mensch und halte nichts von esoterischen Themen, finde das Konzept der Astrologie verwunderlich, halte die wissenschaftlich nicht nachweisbare Wirksamkeit von Homöopathie für einen Placebo Effekt, habe bisher niemals irgendwelchen Auren gesehen und vermute, dass das auch so bleiben wird. Und ich bin zwar sehr oft gern allein, habe aber trotzdem auch das Bedürfnis nach Kontakten, nach gesellschaftlicher Teilhabe, auch wenn es dann wieder anstrengend für mich ist.

Laut Forschung scheine ich die Welt anders wahrzunehmen als andere Menschen. Ich schreibe das absichtlich so, denn ich kann mir nicht vorstellen, wie andere die Welt wahrnehmen. Meine Art der Wahrnehmung ist die einzige, die ich habe, ich kenne es nicht anders, für mich ist sie vollkommen normal. Ich bin also irgendwie anders, aber in allererster Linie bin ich ein Mensch.