Ich möchte mit diesem Beitrag am heutigen Welt-Autismus Tag auf eine grundsätzliche Kommunikationsbarriere hinweisen, die aus meinem Autismus resultiert. Das Folgende ist kein Angriff auf bestimmte Personen, ich beschwere mich nicht, dass jemand mich unfair behandelt hat und der Text bezieht sich auf eine Vielzahl an Situationen, die ich in immer wieder ähnlicher Weise erlebt habe und erlebe.
Ich fühle mich nach Gesprächen mit mehr als zwei Personen häufig restlos ausgelaugt. Denn solche Gespräche ermöglichen für mich keine gleichberechtigte, geschweige denn eine barrierefreie Kommunikation. Meine kommunikativen Voraussetzungen, die ich ich aufgrund meines Autismus mitbringe, werden in der Regel als „schlechter“ bewertet, was ich als unfair empfinde. Es frustriert mich, dass meine kommunikativen Möglichkeiten in den Augen von nicht in dieser Weise kommunikationsbehinderten Menschen weniger wert sind.
Denn als „normal“ bzw. „besser“ gilt, dass man sich auch in einer Unterhaltung mit mehr als einer Person problemlos mündlich und in ganzen Sätzen ausdrücken kann. Dass einem höfliche Formulierungen flüssig über die Lippen kommen, man sofort bemerkt, wie Einzelne in einer Gesprächsrunde gestimmt sind und flexibel darauf reagieren und auf alle eingehen kann. Dass man alle im Blick behalten kann, die Äußerungen aller mitbekommt und im besten Fall auch noch richtig versteht.
All dies sind jedoch Dinge, die außerhalb meines kommunikativen Möglichkeitsraumes liegen.
Eines der großen Missverständnisse, das eine riesengroße Barriere für mich darstellt ist, dass angenommen wird, dass ich unsachlich kommuniziere, weil ich mich aus der Außensicht in solchen Gesprächsrunden sehr schnell „aufrege“. Nur ist das kein „ich rege mich auf“, sondern ich lande schon wegen der zu vielen Gesprächspartner*innen und der für mich unpassenden Rahmenbedingungen in solchen Gesprächsrunden in einem Überlastungszustand.
Hier noch einige Beispiele für das, was ich unpassende Rahmenbedingungen nennen: Wenn es keine verbindlichen Kommunikationsregeln gibt, durcheinandergeredet wird und oder sich während einer spricht, zwei andere austauschen. Wenn um mich herum neben dem eigentlichen Gespräch zu viel anderes los ist. Wenn Kacheln in Videokonferenzen kein Bild anzeigen, weil jemand sich nur per Telefon eingewählt hat und ich mangels Hinweisreizen jedesmal, wenn diese*r Teilnehmer*in etwas sagt überrascht bin und oft nicht zuordnen kann, wer gerade spricht.
Erschwerend hinzu kommen meine persönlichen Einschränkungen: Wenn ich nicht gleichzeitig mehrere Gesichter im Auge behalten kann und so nicht schnell genug eine Lücke finde, um mich auch einmal einzubringen, ohne jemanden zu unterbrechen. Wenn die Lautstärke, mit der die Leute sprechen, unterschiedlich ist und ich bei Videokonferenzen ständig damit beschäftigt bin, den Lautstärkeregler zu bedienen, so dass ich große Teile des Mitgeteilten nicht mehr mitbekomme. Oder ich mir bei Gesprächen in Präsenz je nach Sprecher*in abwechselnd ein Hörgerät oder einen Gehörschutz wünsche. Wenn einer der Gesprächspartner*innen blümerant riecht und ich krampfhaft versuche, meinen Fluchtimpuls deshalb zu unterdrücken. Wenn Personen raumgreifend gestikulieren und ich neben der Ablenkung durch das für mich seltsam anmutende Gewedele auch noch aufpassen muss, nicht versehentlich berührt zu werden. Wenn jemand mit seiner Mimik Relevantes für das inhaltliche Verständnis ausdrückt, das mir jedoch völlig entgeht, weil ich irgendwohin, jedoch nicht in dessen Gesicht gesehen habe. Oder falls ich einen wenigstens kurzen Augenblick hingesehen habe, diese Mimik nicht entschlüsseln konnte.
Wenn dann noch dazu kommt, dass zusätzlich mein Gerechtigkeitssinn verletzt wird wegen kommunizierter Inhalte oder die Inhalte Assoziationsketten hervorrufen, die emotional Belastendes in mir auslösen, wird Kommunikation für mich niemals gleichberechtigt ablaufen, egal, ob mit nur einer oder mit mehr als zwei Personen. Denn ich kann meine mich überrollenden inneren Zustände nicht verhindern und lande unweigerlich in einem Überlastungszustand. Nicht ich will nicht, sondern ich kann es nicht. Das ist bereits mein Leben lang so. Zuerst gilt mein Tonfall nicht mehr als „angemessen“. Danach laufen mir die Tränen übers Gesicht und ich will nur noch weg, abhauen aus dieser Situation. Spätestens dann kommt mein Gegenüber zu dem unweigerlichen Schluss, dass ich unsachlich bin, sofern ich es schaffe, da zu bleiben und noch zu versuchen, inhaltlich etwas beizutragen. Da ist es dann auch egal, was ich sage, reagiert wird nur noch darauf, wie ich es sage. Wenn ich es nicht schaffe und die Flucht ergreife, gelte ich sowieso als hysterisch.
Meine Überlastungszustände tragen dazu bei, dass ich nicht ernst genommen werden. Außerdem werden sie mir zum Vorwurf gemacht. Dabei bin ich in Wirklichkeit nicht zu emotional oder unsachlich. Denn ich analysiere trotz meines „aufgeregten“ Zustandes die kommunizierten Inhalte. Logikfehler und Widersprüche fallen mir unweigerlich auch dann noch auf und ich spreche sie teilweise sogar an, denn erstaunlicherweise funktioniert mein Gehirn in punkto Fehlererkennung auch im überlasteten Zustand. Hysterisch ist das also nicht. Es ist autistisch. Ich kann nichts für meinen „aufgeregten“ Zustand“ und kann auch nichts dagegen tun.
Mein kommunikativer Möglichkeitsraum gibt es nicht her.
Nicht-autistische Menschen können nur schwer begreifen, dass und in welchem Maß ich kommunikationsbehindert bin, aber meinem Erleben nach bin ich das. Ich wirke von außen nicht behindert, ich kann mich streckenweise sehr eloquent äußern, insbesondere schriftlich. Das führt dazu, dass erst gar kein Problembewusstsein dafür entsteht, dass ich keine Chance auf eine gleichberechtigte Teilhabe in Gesprächen habe, weil ich einigermaßen passabel funktioniere und meine Schwierigkeiten relativ gut verstecken kann. Natürlich wird immer wieder aufs Neue von mir erwartet, dass ich genauso wie alle anderen mit denselben Bedingungen klarkomme.
Aus meiner Perspektive bedeutet das fehlende Problembewusstsein meiner Umwelt, dass ich an allen Fronten kämpfen muss. Kämpfen darum, es zu schaffen, an solchen Gesprächen irgendwie teilzuhaben, kämpfen mit all den unpassenden Rahmenbedingungen, kämpfen mit dem Unverständnis, wenn ich dann doch immer wieder überlastet reagiere. Kämpfen mit den Grenzen meines autistischen Möglichkeitsraumes und im Grunde damit gegen mich selbst. Das ist definitiv keine barrierefreie Kommunikation und wird es so auch nie sein.
Deshalb braucht es Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung. Redundante Aufklärung, weil nur allzu schnell wieder aus den Augen verloren wird, was ich und inzwischen glücklicherweise immer mehr andere Autistinnen und Autisten euch erklärbärenmäßig persönlich, in Poscasts, Interviews sagen oder schreiben und sich die Finger beim Versuch wund tippen, euch zu erklären, was Autismus ist, wie es sich als Autist*in in einer nicht für Autist*innen gestalteten Welt lebt und was Autismus in letzter Konsequenz bedeutet. Auch das ein stetiger Kampf – gegen das wiederkehrende Vergessen und für ein bisschen mehr Verständnis.
Bildquelle: Bianca Van Dijk auf Pixabay (12. Jan. 2022). https://pixabay.com/de/illustrations/gehirn-spektrum-autismus-bunt-kopf-6928983/
Pingback: Der Scheinwerfer-Effekt | SWB - MeiBlog
1. Mai 2023 um 10:08
Danke für deinen informativen Blog. Es ist immer wieder schön, wenn Menschen sich zeigen. LG
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