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"Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muß man vor allem ein Schaf sein." (Albert Einstein)


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Der Scheinwerfer-Effekt

Meine Blogbeiträge befassen sich – wenig überraschend, weil das Bereiche sind, in denen ich vor den meisten Herausforderungen stehe – immer wieder mit Themen aus den Bereichen Kommunikation und Interaktion. Zur Zeit beschäftigte ich mich wieder einmal intensiv mit meiner eigenen Art und Weise, zu kommunizieren. Diesmal geht es um ein Phänomen, das ich als Scheinwerfer-Effekt bezeichne.

Wie bereits öfter ge- und beschrieben, tue ich mir in Gruppen schwer damit, mich einzubringen und mich mit anderen auszutauschen. Daneben oder dabei stehen und die anderen beobachten ist nicht das Problem, das mache ich, so lange ich mich überhaupt zurückerinnern kann. Aber mich in einer Gruppe größer zwei Personen unterhalten, ist für mich weder angenehm noch etwas, das ich gut beherrsche.

Mehrere Personen haben mir schon rückgemeldet, dass ich mich in Gruppen nicht so zurückhalten solle, sie seien sich sicher, dass ich inhaltlich viel beitragen könne. Es ist aber nicht so, wie es von außen aussieht. Mein Verhalten als „ich hielte mich zurück“ fehl zu interpretiert, impliziert, dass ich es auch anders bzw. besser können würde. Kann ich nur leider nicht. Nicht „will ich nicht“, sondern „kann ich nicht“.

Es ist eben nicht so, dass ich mich nur trauen müsste, mehr aus mir herauszugehen, dass ich selbstbewusster werden müsste, dann könnte ich mich in Gruppen mündlich mehr einbringen. Am mir meiner selbst bewusst Sein fehlt es mir garantiert nicht. Gezwungenermaßen habe ich ein Expertenniveau in reflexiven Fähigkeiten erreicht.

Was in Gruppensituationen passiert ist, dass ich günstigstenfalls in einem intensiven Zweiergespräch lande und zwar mit der Person, deren Inhalte mich am meisten interessieren und mit der ich einen sinnvollen Austausch für möglich halte. Denn ein echter Austausch, ein wechselseitiges Gespräch ist mir offenbar nur zu zweit möglich. Meine Art der Kommunikation führt aber dazu, dass sich anderen dabei nicht mehr wohlfühlen.

Eine Person, die mich gut und lange kennt, hat mir aus ihrer Sicht beschrieben, wie solche Situationen auf sie wirken: Wenn [hier Name einer Person, mit der ich mich ausgezeichnet austauschen kann einsetzen] auch da ist, würde ich mich exzessiv nur noch […] zuwenden, so dass sie selbst sich überflüssig vorkomme und sich frage, weshalb sie bei uns beiden bleiben sollte. Mein Kommunikationsverhalten wirke auf sie sehr abweisend, sie würde sich zurückgesetzt fühlen, obwohl sie inzwischen wisse, dass ich mich nicht mit Absicht so verhalten würde. Trotzdem sei es schwer für sie, damit umzugehen.

Ich habe das, was in solchen Situationen passiert, für mich den Scheinwerfer-Effekt genannt. Es ist, als würde ich den Scheinwerfer meiner gebündelten Aufmerksamkeit auf die Person, der ich mich zuwende richten und alle anderen verschwinden im Schatten. Auf diese Weise schaffe ich es auch, mich einigermaßen unauffällig in Gruppen zu unterhalten, wobei ich den Effekt nicht absichtlich herbeiführe.

Warum ist das so? Ich vermute, ich bin nicht fähig, mich mehr als einer anderen Person gleichzeitig zu widmen und meine Aufmerksamkeit aufzuteilen. Also hyperfokussiere ich auf diese eine Person und blende dabei alle anderen komplett aus. Bei mehr als zwei Personen UND (als Bedingung) wenn das Gesprächsthema wenig von meiner kognitiven Aufmerksamkeit beansprucht, schaffe ich es, schnell genug zwischen den Personen hin und her zu wechseln, dass der Scheinwerfer-Effekt aus der Außensicht nicht ganz so offensichtlich präsent ist. Im Grunde unterhalte ich mich aber immer nur mit genau einer anderen Person.

Bildquelle: Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay (27.05.2012). https://pixabay.com/de/vectors/scheinwerfer-licht-searchlamp-297727/


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Barrierefreie Gespräche mit mehr als zwei Personen? Grenzen des kommunikativen Möglichkeitsraumes bei Autismus

Ich möchte mit diesem Beitrag am heutigen Welt-Autismus Tag auf eine grundsätzliche Kommunikationsbarriere hinweisen, die aus meinem Autismus resultiert. Das Folgende ist kein Angriff auf bestimmte Personen, ich beschwere mich nicht, dass jemand mich unfair behandelt hat und der Text bezieht sich auf eine Vielzahl an Situationen, die ich in immer wieder ähnlicher Weise erlebt habe und erlebe.

Ich fühle mich nach Gesprächen mit mehr als zwei Personen häufig restlos ausgelaugt. Denn solche Gespräche ermöglichen für mich keine gleichberechtigte, geschweige denn eine barrierefreie Kommunikation. Meine kommunikativen Voraussetzungen, die ich ich aufgrund meines Autismus mitbringe, werden in der Regel als „schlechter“ bewertet, was ich als unfair empfinde. Es frustriert mich, dass meine kommunikativen Möglichkeiten in den Augen von nicht in dieser Weise kommunikationsbehinderten Menschen weniger wert sind.

Denn als „normal“ bzw. „besser“ gilt, dass man sich auch in einer Unterhaltung mit mehr als einer Person problemlos mündlich und in ganzen Sätzen ausdrücken kann. Dass einem höfliche Formulierungen flüssig über die Lippen kommen, man sofort bemerkt, wie Einzelne in einer Gesprächsrunde gestimmt sind und flexibel darauf reagieren und auf alle eingehen kann. Dass man alle im Blick behalten kann, die Äußerungen aller mitbekommt und im besten Fall auch noch richtig versteht.

All dies sind jedoch Dinge, die außerhalb meines kommunikativen Möglichkeitsraumes liegen.

Eines der großen Missverständnisse, das eine riesengroße Barriere für mich darstellt ist, dass angenommen wird, dass ich unsachlich kommuniziere, weil ich mich aus der Außensicht in solchen Gesprächsrunden sehr schnell „aufrege“. Nur ist das kein „ich rege mich auf“, sondern ich lande schon wegen der zu vielen Gesprächspartner*innen und der für mich unpassenden Rahmenbedingungen in solchen Gesprächsrunden in einem Überlastungszustand.

Hier noch einige Beispiele für das, was ich unpassende Rahmenbedingungen nennen: Wenn es keine verbindlichen Kommunikationsregeln gibt, durcheinandergeredet wird und oder sich während einer spricht, zwei andere austauschen. Wenn um mich herum neben dem eigentlichen Gespräch zu viel anderes los ist. Wenn Kacheln in Videokonferenzen kein Bild anzeigen, weil jemand sich nur per Telefon eingewählt hat und ich mangels Hinweisreizen jedesmal, wenn diese*r Teilnehmer*in etwas sagt überrascht bin und oft nicht zuordnen kann, wer gerade spricht.

Erschwerend hinzu kommen meine persönlichen Einschränkungen: Wenn ich nicht gleichzeitig mehrere Gesichter im Auge behalten kann und so nicht schnell genug eine Lücke finde, um mich auch einmal einzubringen, ohne jemanden zu unterbrechen. Wenn die Lautstärke, mit der die Leute sprechen, unterschiedlich ist und ich bei Videokonferenzen ständig damit beschäftigt bin, den Lautstärkeregler zu bedienen, so dass ich große Teile des Mitgeteilten nicht mehr mitbekomme. Oder ich mir bei Gesprächen in Präsenz je nach Sprecher*in abwechselnd ein Hörgerät oder einen Gehörschutz wünsche. Wenn einer der Gesprächspartner*innen blümerant riecht und ich krampfhaft versuche, meinen Fluchtimpuls deshalb zu unterdrücken. Wenn Personen raumgreifend gestikulieren und ich neben der Ablenkung durch das für mich seltsam anmutende Gewedele auch noch aufpassen muss, nicht versehentlich berührt zu werden. Wenn jemand mit seiner Mimik Relevantes für das inhaltliche Verständnis ausdrückt, das mir jedoch völlig entgeht, weil ich irgendwohin, jedoch nicht in dessen Gesicht gesehen habe. Oder falls ich einen wenigstens kurzen Augenblick hingesehen habe, diese Mimik nicht entschlüsseln konnte.

Wenn dann noch dazu kommt, dass zusätzlich mein Gerechtigkeitssinn verletzt wird wegen kommunizierter Inhalte oder die Inhalte Assoziationsketten hervorrufen, die emotional Belastendes in mir auslösen, wird Kommunikation für mich niemals gleichberechtigt ablaufen, egal, ob mit nur einer oder mit mehr als zwei Personen. Denn ich kann meine mich überrollenden inneren Zustände nicht verhindern und lande unweigerlich in einem Überlastungszustand. Nicht ich will nicht, sondern ich kann es nicht. Das ist bereits mein Leben lang so. Zuerst gilt mein Tonfall nicht mehr als „angemessen“. Danach laufen mir die Tränen übers Gesicht und ich will nur noch weg, abhauen aus dieser Situation. Spätestens dann kommt mein Gegenüber zu dem unweigerlichen Schluss, dass ich unsachlich bin, sofern ich es schaffe, da zu bleiben und noch zu versuchen, inhaltlich etwas beizutragen. Da ist es dann auch egal, was ich sage, reagiert wird nur noch darauf, wie ich es sage. Wenn ich es nicht schaffe und die Flucht ergreife, gelte ich sowieso als hysterisch.

Meine Überlastungszustände tragen dazu bei, dass ich nicht ernst genommen werden. Außerdem werden sie mir zum Vorwurf gemacht. Dabei bin ich in Wirklichkeit nicht zu emotional oder unsachlich. Denn ich analysiere trotz meines „aufgeregten“ Zustandes die kommunizierten Inhalte. Logikfehler und Widersprüche fallen mir unweigerlich auch dann noch auf und ich spreche sie teilweise sogar an, denn erstaunlicherweise funktioniert mein Gehirn in punkto Fehlererkennung auch im überlasteten Zustand. Hysterisch ist das also nicht. Es ist autistisch. Ich kann nichts für meinen „aufgeregten“ Zustand“ und kann auch nichts dagegen tun.
Mein kommunikativer Möglichkeitsraum gibt es nicht her.

Nicht-autistische Menschen können nur schwer begreifen, dass und in welchem Maß ich kommunikationsbehindert bin, aber meinem Erleben nach bin ich das. Ich wirke von außen nicht behindert, ich kann mich streckenweise sehr eloquent äußern, insbesondere schriftlich. Das führt dazu, dass erst gar kein Problembewusstsein dafür entsteht, dass ich keine Chance auf eine gleichberechtigte Teilhabe in Gesprächen habe, weil ich einigermaßen passabel funktioniere und meine Schwierigkeiten relativ gut verstecken kann. Natürlich wird immer wieder aufs Neue von mir erwartet, dass ich genauso wie alle anderen mit denselben Bedingungen klarkomme.

Aus meiner Perspektive bedeutet das fehlende Problembewusstsein meiner Umwelt, dass ich an allen Fronten kämpfen muss. Kämpfen darum, es zu schaffen, an solchen Gesprächen irgendwie teilzuhaben, kämpfen mit all den unpassenden Rahmenbedingungen, kämpfen mit dem Unverständnis, wenn ich dann doch immer wieder überlastet reagiere. Kämpfen mit den Grenzen meines autistischen Möglichkeitsraumes und im Grunde damit gegen mich selbst. Das ist definitiv keine barrierefreie Kommunikation und wird es so auch nie sein.

Deshalb braucht es Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung. Redundante Aufklärung, weil nur allzu schnell wieder aus den Augen verloren wird, was ich und inzwischen glücklicherweise immer mehr andere Autistinnen und Autisten euch erklärbärenmäßig persönlich, in Poscasts, Interviews sagen oder schreiben und sich die Finger beim Versuch wund tippen, euch zu erklären, was Autismus ist, wie es sich als Autist*in in einer nicht für Autist*innen gestalteten Welt lebt und was Autismus in letzter Konsequenz bedeutet. Auch das ein stetiger Kampf – gegen das wiederkehrende Vergessen und für ein bisschen mehr Verständnis.

Bildquelle: Bianca Van Dijk auf Pixabay (12. Jan. 2022). https://pixabay.com/de/illustrations/gehirn-spektrum-autismus-bunt-kopf-6928983/


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Wörtliches Verstehen ist gar nicht so lustig

Dass Autistinnen und Autisten vieles wörtlich verstehen, kann man in diversen Publikationen nachlesen und hört man auch immer mal wieder auf Vorträgen. Zur Verdeutlichung werden Beispiele genannt und jeder, der diese Beispiele liest oder hört, amüsiert sich darüber.

Ich gehöre zu den Menschen auf dem Spektrum, die tatsächlich sehr vieles wörtlich verstehen. Und zwar immer noch. Um zu verdeutlichen, was wörtliches Verstehen bedeutet, erkläre auch ich es Interessierten anhand von Beispielen. Die bei mir stets aktuell sind, eben, weil es mir trotz meines Alters immer noch passiert und das übrigens gar nicht so selten.

Wenn ich Anekdoten des wörtlichen Missverstehens erzähle, dann klingen die von außen gesehen natürlich lustig. Und ich selbst, als diejenige, der das schon wieder einmal passiert ist, lache zusammen mit den anderen. Was sollte ich auch sonst tun? Verzweifeln ist ja keine Option. Aber hey, Leute, es macht keinen Spaß, die Protagonistin solch „lustiger“ Anekdoten zu sein. Immer wieder, immer noch. Trotz aller Lebenserfahrung. Es macht keinen wirklichen Spaß, zu so vielen Gelegenheiten damit konfrontiert zu werden. Es frustriert mich und ich komme mir Jedes. Einzelne. Mal. ziemlich dämlich vor, wenn ich darüber stolpere, dass ich wieder einmal etwas wörtlich und damit leider falsch verstanden habe.

Denn dieses wörtliche Verstehen hat natürlich Folgen und meistens sind die nicht wirklich spaßig. Im Beziehungs- oder Arbeitskontext normalerweise schon gar nicht. Normalerweise deshalb, weil ich das große Glück habe, einen humor- und verständnisvollen Partner und eine Arbeitsumgebung mit Kolleginnen und Kollegen zu haben, wo tatsächlich jeder mit all seinen Eigenarten wertgeschätzt wird und zwar in echt, nicht nur auf dem Papier. Hier ein Paar der Anekdoten aus jüngerer Zeit. Hahaha.

Es besteht die Gefahr, dass ich ein Meeting versäume, wenn der Termin für das „Jour fixe“-Meeting verlegt wird, damit aber eigentlich ein anderes Meeting gemeint ist. Das relevante Detail, dass die Mitteilung, dass das „Jour Fixe“ verschoben wird, nur Personen mitgeteilt wurde, die normalerweise bei diesem anderen Meeting mit dabei sind, ist mir aber leider erst aufgefallen, während ich laut sagte, dass der Termin fürs „Jour Fixe“-Meeting doch verschoben worden wäre und ich dadurch allgemeine Verwirrung ausgelöst hatte.

Es kann vorgekommen, dass ich wertvolle Arbeitszeit darauf verschwende, nachzuprüfen, in welche Richtung Personen auf Bildern schauen, nur, weil unter mitgeposteten Bildern steht: „X und ich schauen gerade“. Dass damit eine Online-Veranstaltung gemeint war, an der X und Y just in dem Moment teilgenommen hatten, hatte sich mir erst nach einiger Zeit erschlossen, zumal eine meiner Aufgaben an diesem Tag darin bestand, für ein Projekt erstellte Inhalte zu peer-reviewen. Deswegen hatte ich den Satz in eben diesem Kontext verstanden und versucht, Feedback zur Blickrichtung der Personen auf den geposteten Bildern geben zu können, was mir natürlich misslang.

Über Missverstehen, das nur ich bemerke, kann ich lautlos hinweggehen. In Situationen, wo sich mein Missverstehen quasi öffentlich auflöst, entschuldige ich mich und versuche nach Möglichkeit zu erklären, wie es dazu kommen hat können. Wenn das zu viel Zeit kosten würde, lasse ich es aber. Schon weil ich mir unsicher bin, ob meine Versuche, das Phänomen des wörtlichen (Miss)Verstehens zu erklären, überhaupt irgendjemanden weiterbringen. Mich offensichtlich ja nicht, weil es mir immer wieder passiert.

Was mich zugegebenermaßen beunruhigt ist, dass ich nicht weiß, wie hoch der Anteil ist, bei dem ich Dinge falsch, weil wörtlich verstanden habe. Denn ich kann ja nur die Anekdoten zum Besten geben, bei denen dieses Missverstehen sich für mich aufgelöst hat. Übrigens: Latent verunsichert zu sein, ist ebenfalls nicht lustig.

Bildquelle: Peggy und Marco Lachmann-Anke (2017, 31. Juli). https://pixabay.com/de/illustrations/sprache-a-b-c-abc-m%c3%a4nnchen-2557036/


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Ge-/Misslingens-Bedingungen von unterstützenden Maßnahmen

Berichte von Autisten, die wegen ihres Autismus in diversen Maßnahmen landen, die sie dabei unterstützen sollen, mit ihren Herausforderungen im Leben zurechtzukommen, können dabei helfen, dass solche Maßnahmen gelingen. Aber auch Berichte, die Missstände benennen, sind hilfreich. Kein Bericht ist unnütz, er kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen, aus dem jedermann lernen kann, was es zu vermeiden gilt.

Theorie

Nichtautistische Fachkräfte, die Autisten unterstützen sollen, arbeiten bei einem Fachdienst, der Geld vom Leistungsträger (Agentur für Arbeit, Rentenversicherung oder Sozial- und Jugendämter) dafür erhält, dass er Maßnahmen zur Eingliederung oder zur Unterstützung Behinderter oder von Behinderung bedrohten Menschen anbietet. Bei jedem dieser Fachdienste sind viele unterschiedliche Fachkräfte beschäftigt mit unterschiedlichen Ausbildungen, Persönlichkeiten und Fachkenntnissen.

Im besten Fall kümmert sich die Leitung eines solchen Fachdienstes um Fortbildungen der Fachkräfte zu allen von diesen betreuten Behinderungsbildern. Insbesondere Fachdienste, die Maßnahmen anbieten, die Autisten unterstützen sollen, sollten in jedem Fall Fachkräfte haben, die sich mit der Thematik auskennen, zumindest rudimentär. Im allerbesten Fall gab es auch schon irgendwann eine (ganz selten mehrere) Fortbildung(en) zum Thema Autismus.

Und jetzt kommt das große ABER. Der Klient ist und bleibt autistisch und die Fachkräfte sind und bleiben nichtautistisch.

Beide, der Klient und die Fachkraft bemühen sich redlich darum, miteinander konstruktiv zu arbeiten. Anfangs werden Ziele festgelegt und Vereinbarungen getroffen. Der Autist erklärt, wie das bei ihm so ist, die Fachkraft macht sich Notizen. Die Ziele und Vereinbarungen werden regelmäßig besprochen und angepasst. Im Verlauf der Maßnahme kommt es in nahezu allen Fällen immer mal wieder zu Missverständnissen und Problemen – insbesondere in der Kommunikation, einem Kernthema bei Autismus. Beide reflektieren ihr jeweiliges (Fehl)verhalten, die aufkommenden Schwierigkeiten werden geklärt, beide lernen durch Versuch und Irrtum, aufeinander zuzugehen und miteinander umzugehen. Die Maßnahme kann (erfolgreich) – für den Erfolg einer Maßnahme spielen andere Faktoren ebenfalls eine Rolle – beendet werden.

Und wenn sie nicht gestorben sind …

Praxis

So sollte es sein. Natürlich. Jeder Klient, auch ein Autist, sollte das erwarten dürfen. Immerhin erhält der Fachdienst relativ viel Geld vom Leistungsträger für solche Maßnahmen und die Betreuung der unterstützungsbedürftigen Klienten. Jede Fachkraft sollte sich stets darüber im Klaren sein, dass ihr eigener Arbeitsplatz daran hängt, dass es Klienten gibt, die sich von dem Fachdienst, bei dem sie angestellt ist, unterstützen lassen. Jede Fachkraft sollte also ganz dringend während ihrer Ausbildung und/oder danach lernen, dass es wie oben beschrieben laufen muss! Denn ansonsten „sägt sie an dem Ast, auf dem sie sitzt“ (Redewendung).

Es klappt normalerweise auch ganz gut mit den meisten nichtautistischen Klienten. Die nichtautistische Fachkraft agiert ihrer Ausbildung nach entsprechend, kommt klar, reflektiert oder auch nicht, es funktioniert. Der Klient fühlt sich (gut) betreut, die Maßnahme endet erfolgreich oder auch nicht, aber letzteres ist selbstverständlich die „Schuld“ des Klienten, des allgemeinen Arbeitsmarktes, der sonstigen Umstände, heutzutage auch des Corona-Virus. Eine gelingende Maßnahme wird vom Fachdienst in vielen Fällen nicht in der eigenen Verantwortung liegend wahrgenommen. Der Erfolg einer unterstützenden Maßnahme hängt meiner Ansicht nach aber nicht nur vom Wohlverhalten des unterstützten Klienten ab, sondern maßgeblich auch vom Verständnis der Behinderung bei der unterstützenden Fachkraft. Wenn die nichtautistische Fachkraft einen Autisten als Klienten hat, laufen meiner persönlichen Erfahrung nach viel mehr Dinge schief, wie bei nichtautistischen Klienten.

Manche für einen Autisten schwierig zu handhabende, schieflaufende Dinge hat niemand in der Hand. Fachkräfte werden krank, Termine werden kurzfristig abgesagt. Das passiert. Es ist für einen Autisten unerfreulich, stresst, ist aber nicht zu ändern. Wieder andere schieflaufenden Dinge liegen im Verantwortungsbereich des Fachdienstes: die Vertretung im Krankheitsfall funktioniert einmal nicht, dann ein zweites Mal nicht. Termine werden nicht nur kurzfristig vorher abgesagt, sondern erst nach Beginn des Termins abgesagt oder die Fachkraft gibt nicht Bescheid, wenn sie sich verspätet. Vertragliche Pflichten des Fachdienstes werden aus autistischer Sicht nicht eingehalten, aus nichtautistischer Sicht weiträumig ausgelegt und für den Fachdienst praktikabel bzw. ökonomisch umgesetzt. Man ist nicht immer einer Meinung, das ist ok solange man miteinander redet. Es kommt sogar zu Konflikten. Die sind normal und sollten normalerweise auch lösbar sein.

Ich habe aber persönlich Dinge erlebt, wie es nicht laufen sollte im Umgang mit Autisten in einer unterstützenden Maßnahme. Autisten wie ich, die sich normalerweise verbal ausdrücken können, reden mit ihrer Fachkraft, so lange sie reden können. Nur bei zu großer Überlastung kann ich mich eine gewisse Zeit lang nicht mehr verbal äußern. Ich sagte meiner mich unterstützenden Fachkraft, dass und was schieflief. Ich tat das klar und deutlich, direkt, ungeschminkt, ohne Abmilderungsformulierungen. Ich stellte die Tatsachen fest. Ich benannte von mir wahrgenommene Fehler, Widersprüche. Ich zerrte alles, was nicht so lief, wie es eigentlich laufen sollte, ans Licht, indem ich es ansprach.

Diese Eigenart war aber anscheinend für den Fachdienst schwierig. Ich denke, weil es für andere schambehaftet ist, Fehler zu machen. Üblicherweise wird man für Fehlermachen abgestraft. Besser wäre meiner Meinung nach eine andere Fehlerkultur in unserer Gesellschaft. Fehler machen sollte als das gesehen werden, was schon eine Redewendung beschreibt: Wer arbeitet, macht Fehler. Wer viel arbeitet, macht viele Fehler…

Fachkräfte arbeiten viel und machen natürlicherweise Fehler. Ich mache ebenfalls Fehler. Alle Menschen machen Fehler, behinderte Menschen machen nicht mehr Fehler als Nichtbehinderte. Fehler machen ist meiner Ansicht nach auch nicht das Problem. Das Problem ist es höchstens, dieselben Fehler immer wieder zu machen und nichts aus den Fehlern zu lernen. So lange man nicht gezwungen wird, über eigene Fehler nachzudenken und etwas zu verändern, so lange wird sich auch nichts verändern. Schon deswegen ist es meiner Meinung nach wichtig, auf Fehler aufmerksam zu machen und das tat ich auch in dieser Maßnahme.

Ich sagte zum Beispiel zu meiner Fachkraft: „Sie wurden krank, mir wurde Person X als Vertretung genannt. Ich brauchte Unterstützung bei XYZ und schrieb deshalb Person X eine E-Mail. Laut Konzept unterstützt mich der Fachdienst mindestens einmal wöchentlich, im Krisenfall auch öfter. Ich hätte zeitnahe Unterstützung gebraucht, habe sie aber nicht erhalten. Meiner Ansicht nach lag es daran, dass die interne Kommunikation nicht klappte, weil meine E-Mails nicht weitergeleitet wurden, sondern ungelesen im Postfach der Vertretung landeten, die einige Tage abwesend war und als Vertretung benannt wurde, obwohl sie gar nicht verfügbar war. Mich hat irritiert, dass ich keine Unterstützung, sondern als Antwort auf meine E-Mails zwei Mal hintereinander eine Abwesenheitsnotiz erhalten hatte. Person X selbst meldete sich erst elf Tage später bei mir. Unterstützung wurde da zwar zugesagt, jedoch erst ab nochmal eine Woche später. Es tut mir leid, dass Sie krank wurden und andere Kollegen im Urlaub waren oder ebenfalls erkrankt, aber ich sehe keine Notwendigkeit es hinnehmen zu müssen, dass es dem Fachdienst offenbar nicht möglich war, eine Krankheitsvertretung für Sie zu organisieren. Das ist meiner Ansicht nach weder Ihr noch mein Problem. Es liegt in der Verantwortung des Fachdienstes. Wenn Sie wieder krank werden, erwarte ich, dass der Fachdienst seiner Aufgabe nachkommt, eine funktionierende Krankheitsvertretung bereitzustellen, damit ich nicht noch einmal wochenlang ohne Unterstützung dastehe.“

Das meinte ich genauso, wie ich es sagte. Es war meiner Meinung nach eine Aufzählung und Analyse der fehlerhaften Abläufe, die geschehen waren. Es war eine klare Aussage, dass das, was falsch lief, nicht noch einmal passieren sollte inklusive möglicher Lösungsansätze. Sonst nichts. Ich sagte sogar aus schlechter Erfahrung dazu, dass mein Gegenüber das bitte nicht als Vorwurf an seine eigene Person verstehen sollte. Die nichtautistische Fachkraft verstand meine Äußerungen jedoch offensichtlich trotzdem als Vorwurf, sie fühlte sich persönlich angegriffen und verteidigte sich und den Fachdienst wortreich mit für mich wenig lösungsorientierten Phrasen: Aber die Umstände, dafür kann niemand etwas, das müssen Sie doch verstehen, das können Sie dem Fachdienst und mir doch nicht vorwerfen, aber Corona…

Woraufhin ich einwarf, dass Corona nicht als Ausrede für ein meiner Beobachtung nach grundlegendes Problem wie interne Kommunikationsdefizite oder Organisationsdefizite herhalten müssen sollte. Was die Fachkraft nicht als deeskalierend wahrgenommen hatte. Meine Lösung, auf einer Metaebene miteinander über die Schwierigkeiten in einer Kommunikation, bei der eine Seite überwiegend auf dem Beziehungsohr empfängt und die andere Seite überwiegend auf der Sachebene sendet, zu sprechen, funktionierte nicht. Ich wollte mein behinderungsinhärentes Risiko einer schieflaufenden Kommunikation erklären, damit meine Fachkraft und ich besser damit umgehen lernen. Ich wollte miteinander reden, nicht übereinander. Das kam aber bei der Fachkraft nicht an.

Ein weiteres Beispiel: Ein oftmals wörtliches Verständnis einer Autistin wie mir, die auf eine durchgängige Einhaltung von gegebenen Zusagen und Vereinbarungen beharrt, ist für eine nichtautistische Fachkraft wohl offenbar nicht nachvollziehbar. Eventuell summiert ein Autist dank eines ausgezeichneten Gedächtnisses oder sogar schriftlich – bei mir ist das dann garantiert eine Liste oder Tabelle – auf, wie oft es vorgekommen ist, dass Zusagen/Vereinbarungen nicht eingehalten wurden und zählt das bei seiner Argumentation, dass tatsächlich Fehler passiert sind dann auf. Für mich ist eine durchgängige Einhaltung solcher Vereinbarungen und Zusagen normal, für Nichtautisten, das wurde mir mitgeteilt, ist das unrealistisch.

Ich bin auch nicht auf die Idee gekommen, dass die Zusagen/Vereinbarungen, die mit mir und diesem Fachdienst getroffen wurden daraus resultierten, dass extra für mich Ausnahmen bei der Durchführung der Maßnahme gemacht wurden und dies für den Fachdienst wohl etwas Besonderes war. Ich bin erst bei einem Klärungsgespräch zu Dritt mit meinem Therapeuten, das von mir anberaumt wurde, weil mittlerweile die Liste der schiefgelaufenen Dinge meiner Ansicht nach sehr lang geworden war, darauf gestoßen, dass die Fachkraft von mir Dankbarkeit erwartet hatte, weil in der unterstützenden Maßnahmedurchführung individuell auf meine Bedürfnisse eingegangen wurde.

Ich hatte mir im Vorfeld der Maßnahme selbstverständlich das mir ausgehändigte Konzept komplett durchgelesen. Ich hatte mich zusätzlich über die Maßnahme informiert und in jedem dritten gelesenen Satz nachlesen können, dass eine wesentliche Grundlage der Maßnahme darin besteht, individuell auf die Bedürfnisse des Klienten einzugehen. Für mich war es demnach selbstverständlich, dass individuell auf jeden Klienten eingegangen wird.

Ich bin also davon ausgegangen, dass das bei jedem anderen Klienten neben mir ebenfalls der Fall wäre, weil es so im Konzept der Maßnahme stand. Ich hatte diese Unterstützungsmaßnahme ja gerade deshalb ausgewählt, weil sie so konzipiert ist, dass eine individuelle Anpassung (z.B. Teilzeit) möglich ist. Diese spezifische Maßnahme ist nämlich die große Ausnahme unter den sonst angebotenen Maßnahmen „von der Stange“ (Redewendung), bei denen alle Teilnehmer gleich und damit im Fall von autistischen Klienten häufig nicht behindertengerecht behandelt werden. Ich habe meiner Fachkraft deswegen mitgeteilt, dass ein individuelles Eingehen auf meine behinderungsbedingten Bedürfnisse in meinen Augen selbstverständlich ist, laut Konzept müsste der Fachdienst das leisten. Ich verstünde also nicht, weswegen ich dankbar zu sein hätte.

Meine direkte Art, Fehler und Widersprüche anzusprechen – in den Augen von mir, einer Autistin, waren etliche Vorkommnisse Fehler und Widersprüche, die in den Augen der nichtautistischen Fachkraft keine oder höchstens vernachlässigbare Bagatellen waren – und meine autistische Art, Wünsche und Bedürfnisse zu äußern, macht es einem Gegenüber nicht leicht, weil es wohl oftmals schroff, fordernd und vorwurfsvoll wirkt. Wohlgemerkt wirkt, dafür kann ich aber größtenteils nichts.

Ich kann mich bemühen, meine Prosodie zu kontrollieren. Ich kann das Problem an sich soweit nachvollziehen. Was ich nicht nachvollziehen kann ist, dass ein Fachdienst, der mich unterstützen sollte, mit meinen behinderungsbedingten Schwierigkeiten in der Kommunikation auch nach eineinhalb Jahren nicht umgehen konnte.

Obwohl ich es mehrfach erklärt hatte. Ich weiß um meine eigenen Schwierigkeiten mit der sozial netten Formulierung von Fehlern und Missständen und den fehlenden „Blümchen“ drum herum. Ich bin autistisch direkt, bleibe aber stets höflich. Ich bin Autistin, aber ein Mensch. Deshalb lösen Dinge, die mich freuen aber auch Dinge, die mir schaden, Widersprüche, fehlende Logik und Ungerechtigkeiten bei mir neben der rationalen auch eine emotionale Reaktion aus. Ich habe Schwierigkeiten, wenn ich gestresst bin, auch bei positivem Stress, meine Lautstärke und meinen Tonfall zu kontrollieren. Wenn man mich darauf hinweist, schaffe ich es aber eine Zeitlang, das im Bewusstsein zu halten und meine Prosodie zu kontrollieren.

Selbst wenn ein nichtautistisches Gegenüber sich bemüht, dieses Wissen um meine autistischen Schwierigkeiten in jedem Gespräch mit mir zu vergegenwärtigen, bleibt immer noch die unbewusste und somit nur mit Reflexion (also im Nachgang) zu bewältigende Herausforderung, meine Prosodie und meine undiplomatische Ausdrucksweise nicht als Angriff zu bewerten. Während des Gesprächs wird mein Gegenüber sich angegriffen fühlen und sich „wehren“. Dafür habe ich persönlich und aus menschlicher Sicht Verständnis.

Aus fachlicher Sicht habe ich da aber nur bedingt Verständnis. Eine Fachkraft sollte sich nicht von ihren Gefühlen leiten lassen. Klar sind wir alle Menschen – aber gerade eine Fachkraft steht in ihrem Verhältnis zum Klienten in der Pflicht, ihre Gefühle anderweitig zu bewältigen. So lange die Reflexion erfolgt und die sich angegriffen fühlende Fachkraft solche Gespräche im Nachgang mit dem autistischen Klienten bespricht, ist das Problem händelbar. Eine Fachkraft – sei sie auch noch so nichtautistisch, darf ihre Gefühle aber nicht am Klienten auslassen.

Keinesfalls darf eine Fachkraft sich am (autistischen) Klienten abarbeiten, weil der in ihren Augen unbequem, undankbar, unbelehrbar, unsonstnochwas ist. Eine Fachkraft hat die Verpflichtung, ihr eigenes Handeln zu reflektieren und sollte ihre Klienten wertschätzend behandeln. Es ist in meinen Augen destruktiv für die Betreuung aller Klienten, wenn in einem Fachdienst die Fachkräfte untereinander abwertend über Klienten sprechen – es sollte nicht sein, aber vermutlich ist es von mir erziehungswissenschaftliches Wunschdenken, dass so etwas nicht passieren sollte.

In höchstem Maße unprofessionell ist es meiner Ansicht nach aber, einem Klienten mitzuteilen, dass und was abwertend über ihn gesprochen wurde. Auch der Zusatz, der Klient solle diese Äußerungen der Fachkraft nicht persönlich nehmen, rechtfertigt dieses No-Go nicht. Dass eine Fachkraft oder ein Fachdienst im Konfliktfall den Klienten angreift, um von eigenen Fehlern abzulenken, auf die der Klient hingewiesen hat, sollte ebenfalls nicht geschehen. Wobei vollkommen unerheblich ist, ob der Klient autistisch oder nichtautistisch ist. Solche Vorkommnisse sind in meinen Augen kontraproduktiv und tragen nicht zum Gelingen von unterstützenden Maßnahme bei.

Fachdienste erhalten ihr Geld dafür, unterstützende Maßnahmen für Menschen anzubieten, die Unterstützung aufgrund ihrer Behinderung benötigen. Diese Maßnahme ist dem Behinderten auf dessen Antrag hin bewilligt worden, weil es schwierig für ihn ohne Unterstützungsleistungen ist. Einen Klienten aufzugeben und eine Maßnahme abzubrechen, weil der Klient Autist ist und man mit ihm deshalb nicht zurechtkommt, ist meiner Ansicht nach nicht im Sinne von unterstützenden Maßnahmen. Vor allem, wenn der Klient unterstützt werden möchte, motiviert ist und von seiner Seite – immer wieder auch über seine autistischen Grenzen hinaus viel dafür tut, dass die Maßnahme erfolgreich ist. Mit einem autistischen Klienten, der sich nichts zuschulden kommen hat lassen, außer auf Versäumnisse des Fachdienstes hinzuweisen, und nach erfolglosen Bitten einforderte, dass der Fachdienst seiner Verpflichtung zur Unterstützung nachkommt, sollte ein Fachdienst eigentlich zurechtkommen.

Fazit

Autisten werden ihr ganzes Leben lang eh schon in sehr vielen Lebensbereichen aktiv oder wegen unpassender Rahmenbedingungen passiv exkludiert. Eine Ausgrenzung wegen ihrer Behinderung ausgerechnet in einer sie unterstützenden Maßnahme sollte zu diesen Exklusionserfahrungen nicht dazugehören müssen.

Vielleicht ist es ja auch einfach nur eine Misslingens-Bedingung, dass unterstützende Maßnahmen ausschließlich von Nichtautisten konzipiert und von nichtautistischen Fachkräften durchgeführt werden. Ich halte die sogenannte Peer-Unterstützung für ausgesprochen sinnvoll, auch durch Autisten für Autisten. Ich bin dafür und setze mich dafür ein, dass Autisten auf Augenhöhe in die Konzepterstellung solcher ihnen als Unterstützung angebotenen Maßnahmen miteingebunden werden. Ich arbeite auch gerne mit, sollten sich die in aller Regel nichtbehinderten Entscheidungsträger noch während meiner Lebenzeit dazu bereiterklären, Betroffene in die Erarbeitung solcher Unterstützungskonzepte und in die Unterstützung einzubeziehen.


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Splitter im Fleisch

Es gibt Worte, die gehen in den Kopf wie Splitter ins Fleisch: Man merkt es nicht. Erst nach einer Weile fangen sie an zu schmerzen und zu eitern, und oft hat man seine liebe Not, ehe man sie wieder rauskriegt (Jeremias Gotthelf).

Es gibt sie, Worte, Sätze, die wie Splitter nachwirken. Die ich so schnell nicht aus meinem Kopf heraus bekomme, nicht vergessen kann. Wohlgemerkt „kann“ – selbst wenn ich das noch so sehr möchte.

Denn mein gutes Gedächtnis ist eine meiner Stärken. Mein Gehirn merkt sich ganze Szenen, Gespräche, inklusive Ton und allem Drumherum, ich kann diese Filme immer wieder innerlich abspielen. In diesen „Kino“vorstellungen bin ich nicht nur Zuschauer, sondern auch Darsteller. Das ist von Vorteil für die Reflexionsfähigkeit, denn ich kann mir sozusagen aus einer Metaebene zusehen beim Ich-sein. Ich kann Gespräche wiederholen, bis ich jede Äußerung zueinander in Beziehung gesetzt habe. Ich kann darüber nachsinnieren, was ich besser nicht oder anders hätte äußern sollen. Ich kann analysieren, wie es im Gesprächsverlauf dazu kam, dass diese Sätze fielen. Der Nachteil ist, dass ich die Worte leider nicht vergessen kann, weil ich den Film nicht löschen kann.

Diese Worte bewegten etwas in mir, zeitverzögert, denn während des Gespräches, in dem sie fielen, reagierte ich erst einmal nicht. Mein Verstand untersucht das Gesagte auf den Sachinhalt und die meisten Emotionen hinken hinterher. Die meisten, denn Angst ist bei wichtigen Gesprächen sowieso mein emotionaler Dauerzustand und deswegen bei Inhalten, die mir Angst machen, sofort als Emotion präsent.

Inzwischen bin ich fähig, relativ schnell eigene Emotionen zu erkennen und mitzuteilen, das ja. Die zeitliche Relation liegt aber immer noch außerhalb dessen, was normalerweise üblich ist. Viele Nichtautisten können sofort reagieren. Ich hatte mit einer Zeitverzögerung von einer knappen Stunde bemerkt, dass die gesagten Worte sehr starke emotionale Auswirkungen neben der Angst hatten. Dann erst hatte ich rückgemeldet, dass ich diese Sätze als zutiefst ungerecht empfinde und verletzt bin. Ich konnte aber in diesem eineinviertel Stunden dauernden Gespräch nicht mehr genauer erklären, wieso.

Jetzt kann ich es. Diese Worte aus dem Mund der Person, die sie geäußert hat, fallen wegen der Art unserer Beziehung in die Kategorie „Das geht gar nicht!

Am Tag danach bekomme ich den Kopf nicht frei für andere Dinge, diese Worte schwingen mit, schwappen durch mein Hirn. Diese Worte haben das Potenzial, jahrelange Arbeit in der Psychotherapie, um das Selbstvertrauen aufzubauen, zunichte zu machen. Sie können ins nächste Depressionsloch schubsen. Denn die geäußerten Sätze schaffen es mühelos, massive Selbstzweifel auszulösen. Sie sind ein Angriff auf meine ganze Person. Sie schließen mich auf eine umfassende Art und Weise aus. Diese Worte sagen aus, dass ich eine Zumutung bin, unzumutbar bin.

Kognitiv glaube ich zu verstehen, weshalb die Worte ausgesprochen wurden. Mich erschüttert, dass diese Worte eine Bestätigung meiner bisherigen Wahrnehmung sind. Sie sind eine Bankrotterklärung von Kompetenzen und der Ausdruck von Überforderung.

Aber das macht diese Worte nicht ungesagt. Sie sind Splitter im Fleisch.


Zitatquelle: https://www.gutzitiert.de/zitat_autor_jeremias_gotthelf_thema_wort_zitat_22509.html

Bildquelle: MonikaP. (29. Juli 2017). URL https://pixabay.com/de/photos/wunde-erste-hilfe-splitter-stachel-2553781/


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Fluch der doppelten Unsichtbarkeit

Schwierigkeiten in sozialer Interaktion und Kommunikation sind wesentliche Bereiche, die Autismus kennzeichnen. Im letzten Heft von Autismus Deutschland e.V. hatte Kai Vogeley in seinem Artikel „Autismus – Störung oder Stärke?“ etwas zur „doppelte[n] Unsichtbarkeit“ (Vogeley, 2020, S. 9f) geschrieben.

Einerseits gibt es eine Unsichtbarkeit im Bereich der nonverbalen Kommunikation. Autisten können verbal vermittelte Informationen erfolgreich verarbeiten, nehmen aber die automatisch und unbewusst vom Nichtautisten nonverbal mitvermittelten Informationen nicht intuitiv wahr und bewerten wahrgenommene Signale nicht angemessen. Gleichzeitig sind sie sich der eigenen Schwierigkeit, nonverbale Signale passend zu produzieren oder zu entschlüsseln, zumindest bis zur Diagnosestellung nicht bewusst. Nichtautisten dagegen, sind sich ihrer intuitiven eigenen Sendung nonverbaler Informationen und der automatischen Verarbeitung und Bewertung der nonverbalen Signale nicht bewusst. Vogeley geht dabei davon aus, dass Nichtautisten die nonverbalen Signale korrekt senden und auch richtig entschlüsseln.

Andererseits bleiben Autisten ihr ganzes Leben lang Autisten und kennen demzufolge einen nichtautistischen Zustand gar nicht. Für einen Autisten ist das eigene Erleben immer „normal“. Egal wie viele soziale Kompetenztrainings er oder sie durchläuft und egal, wie viel über soziale Interaktion im Verlauf seines Lebens er oder sie dazulernt. Die Person ist und bleibt autistisch und kann deshalb niemals nichtautistisch kommunizieren bzw. interagieren.

 

An dieser „doppelten Unsichtbarkeit“ scheitere ich immer und immer wieder. Auch mein letzter Versuch, über die Maßnahme Unterstützte Beschäftigung wieder am ersten Arbeitsmarkt unterzukommen, scheiterte daran.

Ich habe zwar öfter mit diversen Beteiligten kommuniziert, aber offensichtlich hatte niemand adäquat verstanden, was ich mitteilen wollte. Ich habe geschrieben und geredet, ich habe sachlich argumentiert. Was ich nicht getan habe – und das ist anscheinend ein wirklich entscheidender Fehler in meiner nonverbalen Kommunikation – ich habe weder geweint, noch habe ich wohl sonst irgendwie nonverbal sichtbar mitgeteilt, dass es in grundlegenden Dingen schiefläuft. Im letzten Gespräch mit meiner für mich zuständigen Fachkraft vom Leistungserbringer bin ich allerdings wirklich laut und vehement geworden – habe aber trotzdem immer noch weiter, wie gehabt, auf der Sachebene argumentiert.

Beim in Gedanken dieses Gespräch (es war am 30.06.) rekapitulierend, ist mir an folgender Stelle klargeworden, dass mich der Fluch der „doppelten Unsichtbarkeit“ wieder einmal ereilt hat:

Ich: „Es wurde ja auch der Urlaub so gelegt, dass ich nur noch zwei Tage hatte und sich nicht darum gekümmert, wie es weitergeht. Aber ich hatte darauf hingewiesen. Achtung, der Vertrag läuft aus“ (der vom Leistungserbringer und vom Praktikumsbetrieb Mitte Mai gewährte Urlaubszeitraum ging vom 15. bis 26.06., mein Praktikumsvertrag endete am 30.06.).

Gegenüber: „Ich dachte aber, dass es eh weiterlaufen würde. Ich bin wirklich davon ausgegangen, weil, ich hatte den Eindruck: Es läuft! Und das letzte Mal haben Sie sich so gefreut, im Mai noch, aber…“.

Ich: „Hören Sie sich mal selber zu. Seit Mai hatte ich wieder keinerlei Betreuung, habe das alles alleine gemacht. Und ich hatte bereits von Anfang an und immer wieder gesagt, dass und weshalb es nicht läuft“ (ab 05.03. hatte ich schriftlich! immer wieder, auch der Vertretung der Vertretung gegenüber kommuniziert, dass und welche Probleme es gab).

Dann folgte eine Rekapitulation was wann gelaufen bzw. eben (auch aufgrund äußerer Umstände – Corona, Krankheit, Urlaub) nicht gelaufen war.

Resümee des Gegenübers: „Es ist jetzt wirklich einfach blöd gelaufen“.

Tja. Ich hatte meiner mich zu unterstützend habenden Fachkraft bis dato mehrfach erklärt, dass sie mir glauben muss, was ich sage. Dass sie niemals etwas hineininterpretieren soll in meine Worte, sondern bitte unbedingt nachfragen soll, ob das, was sie verstanden zu haben glaubt, auch das ist, was ich meine, mitgeteilt zu haben. Und dann das. Für mein Gegenüber ist es einfach nur „blöd gelaufen“. Für mich ist das Endergebnis – die wiederholte Erfahrung, im Arbeitsleben zu scheitern – desaströs.

Ich kann offensichtlich so oft ich will und egal in welcher Wortwahl nicht klarmachen, dass es eben nicht läuft. Denn es kommt nicht auf die Worte an, die sind für Nichtautisten offenbar nicht wirklich wichtig, selbst für Fachkräfte, die wissen, dass ich Autistin bin und die mich gerade wegen meiner? „Störung“ (Autismus ist u.a. definiert als eine Störung der sozialen Interaktion und Kommunikation) unterstützen sollen. Es ist leider nicht allein meine Störung. Denn dann hätte ich überhaupt kein Problem. Gestört ist und bleibt die Kommunikation mit anderen.

Vogeley schreibt, „Ein erster Schritt für eine angemessene Versorgung muss darin bestehen, auf die Besonderheiten der doppelten Unsichtbarkeit bei professionell tätigen TherapeutInnen aufmerksam zu machen“ (Vogeley, 2020, S. 10). Gut, meine mich unterstützende Fachkraft ist kein Therapeut, aber ich denke, ich darf diese Aussage auf das gesamte professionelle Fachpersonal, das mit Autisten arbeitet, übertragen. Aus seiner nichtautistischen Sicht ist dieser Satz von Vogeley gut und richtig.

Nur hilft darauf aufmerksam machen meiner Erfahrung nach nicht wirklich, um dem Problem der „doppelten Unsichtbarkeit“ beizukommen. Ein eminent wichtiger Punkt ist, dass Nichtautisten – auch Fachkräfte – trotz darauf aufmerksam machen quasi umgehend wieder „vergessen“, dass ihr Kommunikations- und Interaktionspartner Autist ist. Sie entschlüsseln trotz all ihres theoretischen Wissens über Autismus unbewusst irgendwelche nonverbalen Signale, die sie meinen, vom Autisten mitgeteilt zu bekommen.

Ich selbst weiß, was ich meine und sage, was ich meine. Mein Kommunikationspartner ist aus meiner Sicht der gestörte Part in der Kommunikation mit ihm. Denn wenn mein professionell tätiges Gegenüber unbewusst immer und immer wieder irgendwelche Dinge in das Gesagte von mir hineininterpretiert, obwohl ich ihm immer wieder sage, dass es das bitte lassen soll, habe ich darauf keinen Einfluss. Egal, wie sehr ich mich bemühe, mich unmissverständlich auszudrücken in meiner Wortwahl. Egal, wie oft ich im Nachhinein darauf aufmerksam machen muss, dass ich Autistin bin und nicht nur deshalb, sondern auch aufgrund meiner Persönlichkeit, bestimmte spezifische Eigenarten und Bedürfnisse habe und dies wohl wieder einmal aus den Augen verloren wurde. Egal, wie oft noch ich in von mir initiierten Klärungsgesprächen kläre, dass eine professionell tätige Fachkraft mich gründlich missverstanden hat und wie dieses Missverständnis in Zukunft zu vermeiden wäre. Es gibt ständig neue Missverständnisse.

Ich bin jedes einzelne Mal total verblüfft, wie es schon wieder passieren konnte, dermaßen missverstanden zu werden. Besonders unverständlich für mich ist, wieso offenbar immer wieder vergessen wird, was ich gebetsmühlenartig gesagt habe. Meine Worte alleine nimmt niemand, nicht einmal meine Fachkraft, ernst genug. Vogeley folgend, weil ich nicht, zusätzlich zu meinen Worten, nonverbal den Ernst und die Dringlichkeit meiner Bitten oder meines Befindens und meiner Bedürfnisse mitteile. Diese professionell tätige Fachkraft, die zwar theoretisch über Autismus Bescheid wissen sollte, ist und bleibt nichtautistisch. Als Nichtautist geht sie – siehe am Beispiel oben – davon aus, dass alles okay ist, wenn ich den „Fehler“ mache, mich in einem Gespräch über das einzig Erfreuliche der letzten Monate sichtbar zu freuen.

Ich bekomme solche, mich immer wieder aus der Bahn werfende eklatanten Fehlannahmen nur dann mit, wenn sie mir gegenüber explizit geäußert werden – was meistens zu spät war, um noch etwas daran zu ändern, dass Dinge schiefliefen. Nicht das Aufmerksam machen auf das Problem ist also die Lösung. Vielleicht wäre eine Lösung, dass professionell tätige Fachkräfte sich tatsächlich immer – und damit meine ich wörtlich immer – bei einem autistischen Kommunikationspartner rückversichern müssen, was sie meinen, verstanden zu haben. Vermutlich vergessen die meisten aber, dies auch wirklich jedesmal zu tun.

Eine andere Idee ist, dass man für die angemessene Versorgung von Autisten professionell tätige autistische Fachkräfte einsetzt. In meinen Gesprächen – auch in Bezug auf meine derzeitige Versorgungssituation und meiner Unzufriedenheit damit – mit den einzigen zwei  professionell tätigen Autisten, mit denen ich persönlich Kontakt habe (beides EUTB Berater), gab es bislang keinerlei Missverständnisse. Für mich selbst ist das aber angesichts der derzeitigen Versorgungslage mit den etablierten Strukturen, die Autisten nicht als vollwertige Partner ansehen und demzufolge auch in professionelle Versorgungsbereiche nicht mit einbinden, die wirkliche Entscheidungsbefugnis haben, wie beispielsweise dem Leistungserbringer meiner Maßnahme, keine Lösung. Bis zur Lösung des Problems der „doppelten Unsichtbarkeit“ irgendwann umgesetzt sein wird, dass manche Autisten tatsächlich professionell tätige Experten für Autismus sein können und nichtautistische Fachkräfte mit ihnen auch auf Augenhöhe zusammenarbeiten, bin ich längst im regulären Regelarbeitsrentenalter.

So wie es jetzt ist, bleibt mir nur, dass ich – die „gestörte“ Autistin – am Ende eines jeden Gesprächs mit der mich derzeit versorgenden Fachstelle nachfrage, was mein professionelles Gegenüber meint, dass ich ihm mitgeteilt habe. Ob es dort dann endlich mit einer „angemessenen Versorgung“ (Vogeley, 2020, S. 10) durch nichtautistische professionell Tätige klappt, wird sich zeigen.


Literaturquelle: Vogeley, K. (2020). Autismus – Störung oder Stärke? autismus (89), 6-15.

Bildquelle (auch wenn kein Nachweis nötig ist): Afishera, 17. Juli 2018. URL https://pixabay.com/de/photos/meer-steine-krake-strand-sand-3745554/


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Das lerne ich nie – unüberwindbare Hürden in der Kommunikation

„Zu wissen, dass mit dir etwas nicht stimmt, reicht weder um zu wissen, was genau dich anomal macht, noch dafür, sich entsprechend anzupassen, falls du es herausfindest.“

Quelle: Murray, D., (2006). Impact of a Dysfunctional World [Auswirkungen einer gestörten Welt]. Autismus-Kultur, zuletzt bearbeitet am 06.03.2019. URL https://autismus-kultur.de/autismus/politik-1/auswirkungen-einer-gestoerten-welt.html [aufgerufen am 13.07.2019].

 

Ich habe mich seit der Diagnose gefragt, ob ich soziale Kommunikation und Interaktion bei genügend Übung tatsächlich so lernen kann, dass ich meine autistischen Schwierigkeiten gut genug – optimal auf Normallevel – bewältigen kann. Meine Antwort darauf ist: Vermutlich nicht.

Gelingende Kommunikation war zeitlebens ein sehr wichtiges Thema für mich. Seitdem ich mich vor dem Hintergrund meiner Autismus-Diagnose erneut mit Kommunikation beschäftige, weiß ich, in welchen Bereichen typische autistische Schwierigkeiten vorliegen können. Nur: Das Wissen um das potentielle Vorliegen diese Schwierigkeiten beinhaltet leider nicht automatisch auch das Wissen, wie meine autistischen kommunikativen Schwierigkeiten sich in jedem einzelnen Gespräch manifestieren. Ich weiß überwiegend erst einige Zeit nach einem Gespräch, was konkret schiefgelaufen ist. Weil ich genügend Zeit habe, im Nachgang das Gespräch immer und immer wieder auf mögliche Fehler und Missverständnisse durchzugehen. Weil ich andere fragen kann, die mir Inhalte und Vorkommnisse übersetzen. Während des Gespräches selbst fällt es mir entweder nicht schnell genug auf, um noch intervenieren zu können oder ich bin zu überlastet, so dass ich trotz Wissen, dass da gerade eben etwas schiefläuft, nicht handlungsfähig bin. So hilfreich das Wissen für mich ist, um überhaupt einmal verstanden zu haben, welche Schwierigkeiten aus welchen Gründen auftreten können – dieses Wissen beinhaltet leider nicht die plötzliche Fähigkeit, akute Schwierigkeiten in der Kommunikation tatsächlich besser zu bewältigen.

Ein Bewältigungsversuch war und ist es, dass ich mich im Nachhinein schriftlich erkläre. Denn schriftlich fällt es mir viel leichter. Ich tue das deshalb, weil ich denke, wenn ich nur genügend erkläre, wie ich funktioniere, warum ich reagiere, wie ich reagiere, und wie es dazu kam, dass es kommunikative Schwierigkeiten gab, dann müssten sich Verständnisschwierigkeiten eigentlich geben, weil mich mein Gegenüber dann ja besser versteht. In der Ergotherapie habe ich ein Schema gelernt, damit meine Äußerungen nicht als Vorwurf beim Gegenüber ankommen und ich meine Bedürfnisse klar formuliere. Zuerst schildere ich meine Wahrnehmung, also das, was passiert ist (z.B. kurzfristige Terminverschiebungen und einseitige Änderung von Vereinbarungen). Danach versuche ich, darzustellen, was das mit mir gemacht hat, also mein inneres Gefühlserleben zu beschreiben (Verwirrung, Verunsicherung, Angst, Beunruhigung, Ärger). Außerdem – weil ich nicht anders kann, als auch kognitiv an Dinge heranzugehen, erläutere ich noch die logischen Konsequenzen, die sich für mich daraus ergeben (in diesem Beispiel, dass ich nicht weiß, welche Äußerungen wahr sind, auf was ich mich verlassen kann und deshalb kein Vertrauen in mein Gegenüber haben kann). Anschließend teile ich meine Bedürfnisse mit (nach Verlässlichkeit, nach Vorhersehbarkeit, Sicherheit). Zum Schluss äußere ich meine Bitten (Verbindliche Terminabsprache, Einhalten von Vereinbarungen, alternativ eine Erklärung, weshalb das nicht möglich gewesen ist).

Schriftliches wird bei mir stets ziemlich lang. Selten erhalte ich daraufhin längere Antworten, die in meinen Augen erkennen lassen, dass mein Gegenüber mich tatsächlich verstanden hat. Deshalb kann es vorkommen, dass ich auf eine solch kurze oder mich unsicher zurücklassende Antwort gleich noch ein Schreiben verfasse – selbstverständlich noch länger – in dem ich mich vertieft erkläre. Wenn mir mein Gegenüber antwortet, dass es verstanden hat (auf das obige Beispiel bezogen, dass ich Sicherheit und Klarheit über getroffene Vereinbarungen brauche), denke ich: Wunderbar, jetzt wird alles gut. Nur leider änderte sich danach an weiteren kurzfristigen Terminverschiebungen nichts. Mein Gegenüber kam ab und an auf meine schriftlichen Erklärungsversuche zurück, allerdings nur in Bezug auf deren Länge (zu lang).

Es war oft der Fall, dass sich Verständnisschwierigkeiten nicht gaben, obwohl ich versucht hatte, sie schriftlich abzuklären und noch häufiger der Fall, dass sich die Dinge, die zu Schwierigkeiten geführt hatten, nicht änderten. Trotzdem versuche ich es immer wieder, wenn etwas schiefgelaufen ist. Zum einen aus einem autistischen? Beharren heraus, zum anderen, weil ich einfach gern schreibe. Für mich hat Schreiben viele Vorteile, ich habe ausreichend Zeit zu überlegen, was ich wie ausdrücke, ich sortiere so Dinge und kläre inneres Chaos durch den Schreibprozess. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es mit irgendwem dann doch einmal klappen wird.

Alternativ versuche ich, wenn es mit jemandem zu Verständnisproblemen und Missverständnissen kommt und ich das bemerke, das beim nächsten Treffen im direkten Gespräch zu klären. Wenn ich dabei aber an jemanden geraten bin, dessen Ausdrucksweise wort- und bilderreich ist, kann so ein Klärungsversuch zu noch größeren Schwierigkeiten führen. Ich neige dazu, die meisten Dinge wörtlich zu verstehen. Wenn jemand seine Inhalte mit Metaphern, Sprichwörtern und Redensarten garniert, führt das wegen meines automatisch ablaufenden, also nicht zu unterdrückenden Kopfkinos zu einigen Irritationen. Denn was bildhafte Sprache so schwierig macht ist, dass ich mir vieles bildlich vorstelle und mir Gedanken darüber mache, ob das Gesagte an sich Sinn macht. Machmal belustigen mich die Bilder in meinem Kopf so, dass ich mir das Lachen nicht verkneifen kann, was bei ernsten Gesprächsthemen dann meinen Gesprächspartner irritiert.

Oder ich bin völlig irritiert, weil das Bild für mich unlogisch ist. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass ich bei dem Bild hängenbleibe und dem Gespräch nicht mehr folgen kann. In der Arbeit hatte mir einmal ein Kollege, der gerade viel Stress hatte, beispielsweise gesagt: „Du kannst mich erschießen, aber das schaffe ich nicht auch noch.“ Mir fiel dazu sofort ein: Ich kann dich nicht erschießen, weil ich keine Waffe habe. Weiter: In die Tat umgesetzt, wäre das keinesfalls eine Lösung. Sondern würde nur eine ziemliche Sauerei im Büro, mich ins Gefängnis und noch mehr Arbeit und weniger Zeit sie zu erledigen bringen, weil neben dem Wegputzen der Sauerei zusätzlich dazu, dass die verbliebenen Kollegen meine und die Arbeit des von mir Erschossenen übernehmen müssten, Zeit für den Besuch der Beerdigung und für die Bewältigung des traumatischen Erlebnisses aufgewendet werden müsste. Während ich diesen Gedankengängen nachhing, redete der Kollege selbstverständlich weiter. Nur was er sagte, weiß ich bis heute nicht. Was auch manchmal passiert ist, dass ich nachfrage, ob meinem Gesprächspartner klar ist, was er da gerade eben gesagt hat, wenn er ein für mich seltsames Bild verwendet.

Leider kann mein wörtliches Verstehen auch zu schwerer wiegenden Missverständnissen führen. Denn hier zeigt sich immer mal wieder, dass ich zwar glaube, viele Metaphern, Sprichwörter und Redewendungen zu kennen, sich aber irgendwann herausstellt, dass ich sie nur kenne, aber bislang unzureichend bzw. nur teilweise richtig dekodiert habe. Als mir jemand sagte, es sei seine Aufgabe, „den Finger in die Wunde zu legen„, übersetzte ich das mit: Diese Person wird mich wiederholt auf einen wichtigen Punkt hinweisen. Erst nachdem ich jemand anderem davon erzählt hatte, klärte der mich über die wahre Bedeutung der Redensart auf. Also wurde mir viel zu spät bewusst, dass ich etwas Wichtiges falsch verstanden hatte. Denn gemeint war, dass dieser jemand das Selbstverständnis hatte, er habe die Aufgabe und damit ein Recht darauf, mich deutlich und auf unangenehme Weise auf ein von ihm erkanntes Übel hinweisen zu dürfen.

Das von der Person erkannte Übel war nicht einmal eines. Mein als Übel identifiziertes Verhalten resultierte aus meiner autistischen Reaktion auf für mich unpassende Lösungsvorschläge. Ich sagte nämlich erst einmal einfach nur Nein (automatische Erstreaktion von mir auf jedwede Veränderung, die von außen an mich herangetragen wird). Als das Thema das nächstemal angesprochen wurde, reagierte ich mit logischen Gegenargumenten – zumindest waren die Argumente in meinen Augen völlig logisch. Mein fehlendes Vorstellungsvermögen, dass es für einen Nichtautisten evtl. nicht logisch ist, weil der meine Hinderungsgründe nicht aus eigenem Erleben kennt und deshalb nicht als real existente Hinderungsgründe akzeptieren konnte, trug auch nicht zur Klärung des grundlegenden Missverständnisses bei. Es kam mir einfach nicht in den Sinn, dass jemand es nicht genauso wie ich sehen könnte.

Bis ich darauf kam, dass mir ein absichtliches Fehlverhalten unterstellt wurde, das vorschnell und ohne meine nachträglichen Gegenargumente zu beachten als Übel bewertet wurde und es demzufolge als rechtens empfunden wurde, mich abwerten zu dürfen, und überdies die Abwertung nichtmal als solche erkannt wurde, verging einige Zeit. Ich fühlte mich ungerecht behandelt, diskutierte etliche Male mit der Person, stellte aber nie in Frage, ob es tatsächlich deren Aufgabe war, mich wiederholt auf etwas Wichtiges hinzuweisen. Wenn ich die Redensart „den Finger in die Wunde legen“ von Vorneherein richtig übersetzen hätte können, hätte ich deren Aufgabenverständnis sofort in Frage stellen können, denn diese Person hatte eigentlich die Pflicht, mich in jedem Fall wertschätzend zu behandeln.

Es gibt unglaublich viele Metaphern, Sprichwörter und Redensarten. Früher dachte ich, weil ich wegen meines exzessiven Lesens viele davon kenne, dass ich keine Probleme mit dem Verständnis haben würde. Nur ist das offenbar nicht der Fall. Aber selbst wenn ich mich ab jetzt hinsetze und von denen, die ich im Internet finde, die vollständige Bedeutung auswendig lerne, wird es passieren, dass mir Unbekannte begegnen. Und das wird in Kombination mit meinen autistischen Einschränkungen vermutlich weiterhin zu Übersetzungsfehlern mit mehr oder minder weitreichenden Folgen führen. Ich befürchte, dass ich diese Kommunikationsbarriere nie vollkommen meistern werde.

Eine weitere Folge des wörtlichen Verstehens ist meine mich bereits lebenslang begleitende Eigenart, auch auf rhetorische Fragen zu antworten. Das hat schon oft zur allgemeinen Erheiterung beigetragen, aber auch zu nicht ganz so lustigen Situationen geführt. Auf die von mir so verstandene Frage: „Was glauben Sie, wie anstrengend das für mich ist?“ erwiderte ich natürlich: „Auf einer Skala von 1 bis 10, wie anstrengend ist es denn?“ Dabei wollte derjenige mit Hilfe der rhetorischen Frage, auf die er kein Eingehen in Form einer konkreten Nachfrage erwartete, einfach nur betonen, dass es für ihn sehr anstrengend war.

Eine weitere Schwierigkeit in der Kommunikation mit mir – ich habe hierzu schon einmal einen Beitrag geschrieben – ist, dass ich Widersprüche garantiert anspreche, statt sie höflich zu übergehen. Der rhetorischen Frage wurde nämlich noch hinzugefügt, dass man mir das nicht sagen würde, weil man sich frage, was es solle, wenn man mir das erzählen würde. In meinen Augen ist es immer noch widersinnig, darauf hinzuweisen, etwas nicht zu sagen und es damit trotzdem zu sagen. Also sagte ich das auch. Nicht, weil ich querulatorisch veranlagt bin, sondern, weil es ein Widerspruch ist und ich erst, nachdem ich darauf reagiert hatte, erkannte, dass es besser gewesen wäre, zu schweigen.

Ich spreche über interessante Inhalte gerne länger mit anderen. Und ich spreche mit anderen, um Dinge zu klären. Aber auch die Länge von Gesprächen kann ein Problem darstellen.  Denn wenn jemand einen hohen Gesprächsanteil hat und Sachverhalte weiträumig umschreibt, habe ich auch ohne weitere störende Rahmenbedingungen, wie Lärm oder ablenkende Umgebung, je nach Energielevel Mühe, Relevantes aus einem Wortschwall herauszufiltern. In so manchen Klärungsgesprächen habe ich deshalb zwischendurch überlastungsbedingt einfach abgeschaltet. Das hat ganz sicher nicht zur Klärung beigetragen. Ich weiß nur immer noch nicht, was ich gegen das quasi automatische Abschalten unternehmen kann. Ich habe bereits versucht, mit Hilfe von Pausen (ich verlasse den Raum für ein paar Minuten) in wichtigen oder klärenden Gesprächen gegenzusteuern. Das geht aber nur, wenn es nicht mehr als zwei Personen sind. Andernfalls ist meine Erfahrung, dass die im Raum verbliebenene Personen sich weiter über das zu klärende Thema austauschen und mir dann wegen meiner Pausen auch Inhalt fehlt. Bei nur einem Gegenüber kann es passieren, dass das Gespräch nach der Pause nicht mehr fortgeführt wird, weil die Person sich dann bereits mit anderen, für sie ebenso wichtigen Dingen beschäftigt.

Ich habe auch versucht, Klärungsgespräche zeitlich zu begrenzen. Aber ich kann nie im Voraus sagen, wann ich abschalte, das passiert ganz plötzlich. Ich brauche nämlich Zeit, um einen Body- und Befindens-Check zu machen, indem ich in mich hineinhorche und versuche, herauszufinden, wie hoch mein Restenergielevel ist. Diese Zeit habe ich aber während eines laufenden Gespräches nicht. Es wird also vermutlich so bleiben, dass ich Gespräche im Nachhinein zwar gut reflektieren bzw. analysieren kann, mir aber evtl. wichtige Inhalte fehlen werden, wenn ich wieder einmal im Abschaltmodus gelandet bin.

Mir bleibt nur, es wie bisher zu händeln. Ich greife Themen, bei denen ich noch Diskussionsbedarf habe, die für Andere jedoch wegen des erfolgten Klärungsgespräches eigentlich abgehandelt sind, wiederholt auf. Das kann zu einem gewissen Grad an Unmut und manchmal zu Vorhaltungen führen, ich würde eigentlich bereits geklärte Themen immer wieder zur Sprache bringen und Kritik unnötig oft wiederholen. Das passiert selbst dann, wenn ich versuche, die Sache mit meinem Abschalten zu erklären. Eine Reaktion darauf war: „Und warum hast du nicht gleich gesagt, dass du das nicht mehr mitbekommen hast?“ Mein Einwand, dass diese Frage unlogisch ist, denn wenn ich abschalte, weiß ich ja nicht, was ich nicht mehr mitbekommen habe und mein Erklärung, dass es mir in so einem Zustand einfach nicht möglich ist, mich zu erklären, braucht ein verständnisvolles und bemühtes Gegenüber, das mich lang genug kennt, um solche Situationen miterlebt zu haben oder das nicht in Zweifel zieht, was ich sage.

Womit ich in Gesprächen immer noch überhaupt nicht zurechtkomme, sind ambivalente Aussagen. So etwas führt bei mir zu massiver Irritation. Zumindest so lange, bis ich dahintergekommen bin, was genau nicht stimmt. Anfangs habe ich nur den vagen Eindruck, dass irgendetwas an der Argumentation grundlegend seltsam ist. Ich bemerke Ambivalenz am ehesten an den Widersprüchen und der Unvereinbarkeit bzw. Unmöglichkeit, richtig zu reagieren. Die Folgen daraus sind bei mir extreme Erschöpfung nach Gesprächen, in denen jemand ambivalente Aussagen macht. Wenn jemand dann zusätzlich meine Wahrnehmung in Zweifel zieht, bin ich verunsichert. Und gleich darauf getriggert. Denn meine Wahrnehmung ist mir im Leben einmal zu oft abgesprochen worden, so dass ich regelrecht allergisch und sehr ungehalten darauf reagiere, wenn das wieder einmal passiert.

Für manche Personen, die mir in meinem bisherigen Kommunikationserleben begegnet sind, war es offenbar ein beliebtes Mittel, mir zu sagen, ich hätte sie falsch verstanden. Sie hätten doch etwas ganz Anderes gemeint. Aufgrund dieser Erfahrungen erwidere ich in solchen Fällen inzwischen: „Warum sagst du dann nicht einfach das, was du gemeint hast?“ Es wird sich wohl auch in der Zukunft nicht ändern, dass ich nicht erkenne, dass etwas Anderes gemeint war, als gesagt wurde. Ich habe keine telepathischen Fähigkeiten und werde sie vermutlich auch niemals entwickeln. Ich habe nur die Worte und muss darauf vertrauen können, dass genau das gemeint ist, was gesagt oder geschrieben wurde. Gelingende Kommunikation mit mir bedeutet, dass niemand erwarten sollte, dass ich Ungesagtes erkenne oder „zwischen den Zeilen lese“. Ich höre und sehe da nichts. Es führt nur zu Frustration auf beiden Seiten, wenn erwartet wird, dass ich das doch gefälligst endlich gelernt haben hätte müssen. Habe ich aber nicht. Für alle Seiten befriedigender ist also, wenn ohne Doppelbotschaften und ohne die Erwartung an mich, dass ich Ungesagtes erkenne und richtig deute, kommuniziert wird.

Was erfahrungsgemäß ebenfalls in der Kommunikation mit mir garantiert zu Schwierigkeiten führt ist, wenn Druck ausgeübt wird. Es mag sein, dass Druck bei anderen ein probates Mittel ist und die Ausübung von Druck bei ihnen eine positive Verhaltensänderung eines nicht erwünschten Verhaltens bzw. eine Problemlösung bewirkt. Bei mir funktionierte das nur noch nie. Druck erzeugt bei mir keine Verhaltensänderung und hilft auch nicht, das akute Problem zu lösen. Druck führt bei mir seit der Kindheit zu einer immer gleichen Reaktion. Er erzeugt Anspannung, verengtes Denken, Panik und in der Folge Kommunikationseinschränkungen (aggressiver Tonfall, Wortfindungsstörungen, Einsilbigkeit, erhöhte Antwortlatenz), Handlungsunfähigkeit (ich verbleibe quasi gelähmt in der Gesprächssituation, weil ich mich buchstäblich nicht einmal mehr wegbewegen kann) oder führt zu akuten Überlastungsreaktionen (ich reagiere mit Zittern und / oder – im schlimmsten Fall hemmungslosem – Weinen). Je höher der Druck – z. B. wenn jemand mir sagt, wenn ich dies-und-das tue, dann wird [hier möglichst angstmachende Folge für mich einsetzen] passieren – desto heftiger erfolgt meine Reaktion. Jede Reaktion ist energieaufwändig. Je öfter und je heftiger die Reaktion, desto weniger Energie steht mir zur Verfügung, um das eigentliche Problem zu lösen. Dazu kommt die Eigenart von Autisten, nicht zu habituieren, d.h. ich gewöhne mich nicht an kontraproduktiven Umgang mit mir und kann nicht irgendwann gelassener und kompetenter mit solchen druckerzeugenden Gesprächssituationen umgehen.

Zu einer gelingenden Kommunikation gehören bekanntlich immer mindestens zwei Kommunikationspartner. Die in diesem Beitrag beschriebenen Kommunikationsschwierigkeiten begleiten mich schon mein Leben lang. Wenn ich schreibe, dass ich vermute, dass ich es nie lernen werde, diese Hürden zu überwinden, heißt das nicht, dass ich nicht weiterhin versuchen werde, zu lernen und mich weiterzuentwickeln. Ich finde es nur wichtig, die Sachlage realistisch zu betrachten. Ich denke, es ist auch ein Akt der Selbstfürsorge, zu erkennen, wo meine Grenzen sind. Es ist außerdem wichtig für beide Seiten, sich nicht der Illusion hinzugeben, dass ich irgendwann dann doch noch normal werde in meinem Kommunikationsverhalten. Das wird nicht passieren – dieses Ziel zu verfolgen, macht meiner Meinung nach keinen Sinn. Weiterhin zu versuchen, besser mit den Hürden zu leben, dagegen schon.


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Kommunikation – Frust ohne Ende?

Kommunikation ist und bleibt wohl auf ewig schwierig. Sie ist ein lebenslanger Quell der Frustration für mich. Ich habe schon mehrfach darüber nachgedacht, ob es nicht besser für mich (und die anderen) wäre, wenn ich meine Kommunikation mit Mitmenschen auf ein absolutes Minimum reduzieren würde.

Denn jedesmal – und das ist wörtlich zu verstehen – wenn ich mit neuen Personen kommuniziere, nach wie vor häufig, wenn ich mit mir bereits bekannten Personen kommuniziere und sogar oft, wenn ich mit eng vertrauten Personen kommuniziere, kommt es unweigerlich zu Missverständnissen und zu Konflikten.

Ich habe es gelinde gesagt satt, dass das immer und immer wieder passiert. Seit der Autismus-Diagnose weiß ich ja nun, dass es wohl überwiegend an mir liegt. Nur komme ich einfach trotz all meiner Bemühungen nicht darauf, wie ich das ändern könnte. Ich habe etliche Seminare zu „richtiger“ Kommunikation besucht, ich habe mich recht umfassend der Literatur über Kommunikation gewidmet, aber ich schaffe es offensichtlich einfach nicht, ohne Missverständnisse / Konflikte zu produzieren, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Noch nicht einmal schriftlich und mit geschulten Fachleuten.

Was bitte, mache ich denn so falsch? Ich halte mich an die Schemata, die ich unter anderem auch in der Ergotherapie erarbeitet habe, ich teile mich in meinen Augen klar und deutlich mit, benenne sogar inzwischen die Gefühle, die etwas bei mir auslöst, formuliere meine Bedürfnisse und Bitten. Und trotzdem klappt es nicht.

Das Ergebnis ist, dass ich irgendetwas wohl grundlegend falsch mache, dass ich Reaktionen erhalte, die mich gelinde gesagt irritieren in manchen Fällen aber auch regelrecht bestürzen. Und dann sitze ich da und weiß nicht mehr weiter. Fühle mich hilflos, fühle mich einfach nur schlecht und denke, dass ich es wohl wirklich besser aufgeben sollte.

Ich habe inzwischen die Vermutung, dass es nur meiner Ergotherapeutin wichtig ist, meine Gefühle zu wissen, um meine Kommunikation nicht misszuverstehen und dass es augenscheinlich bei anderen gerade dann sofort zu Missverständnissen kommt, wenn ich meine Gefühle mitteile.

Ich habe nach den neuesten Erlebnissen begründet den Verdacht, dass es keinen Sinn macht, zu versuchen, mich mitzuteilen. Mitzuteilen, wie es mir geht, welche Gefühle etwas bei mir auslöst. Mitzuteilen, was es mit mir macht, mich mitzuteilen und zu versuchen, mich oder mein Verhalten zu erklären. Dass ich genausogut auch einfach endlich mal lernen könnte, die Klappe zu halten oder wenigstens nur noch Informationen auf der Sachebene mitzuteilen.

Vielleicht würde ich mir das Leben dadurch erleichtern, denn dann, wenigstens dann, kann es doch eigentlich keine durch Kommunikation verursachten Missverständnisse und Konflikte mehr geben – oder – ODER?

Nun sagt Watzlawick in einem seiner fünf Axiome der Kommunikationstheorie, dass man nicht nicht kommunizieren kann. Und aus dem Vier-Ohren-Modell von Schulz von Thun kann man ableiten, dass es gar nicht funktioniert, ausschließlich auf der Sachebene zu kommunizieren. Auch Watzlawick betont, dass keine rein informative Kommunikation möglich ist, weil man immer auch eine Beziehungsaussage macht, wenn man kommuniziert und das tut man ja laut ihm sowieso ständig.

Bei mir ist es anscheinend so, dass meine „Ohren“ und meine „Schäbel“ in den meisten Fällen einfach nicht zu denen meiner Mitmenschen kompatibel sind. Egal wie sehr ich mich bemühe, meine Äußerungen zu formulieren, es kommt unweigerlich innerhalb sehr kurzer Zeit zu Missverständnissen oder Konflikten. Das ist ermüdend, erschöpft mich und macht mich mutlos.

Einem Eisbergmodell von Luft und Ingham, dem Johari-Fenster folgend, könnte es natürlich auch sein, dass die Anteile meines blinden Flecks dafür verantwortlich sind, dass bei mir Kommunikation immer wieder so sehr schiefläuft.

Der Gedanke, Kommunikation einfach aufzugeben, damit das endlich aufhört, führt in letzter Konsequenz vor dem Hintergrund der Kommunikationsmodelle dazu, dass ich gar keinen Kontakt mehr zu anderen haben darf, weil ich ansonsten ja unweigerlich kommuniziere und die frustrierenden Ergebnisse nie enden. Ich brauche aber Kontakt zu anderen, ich kann gar nicht ohne Kontakt überleben. Was also kann ich tun?

Eine Lösung habe ich nicht für das Problem, aber ich denke intensiv darüber nach.


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Widersprüche / Fehler: Registrieren 1, sozial adäquat Kommunizieren 6

Eine weitere Woche Tagklinik geschafft. Gegen Ende der Woche zeigten sich wieder Ausfallerscheinungen. Am Donnerstagnachmittag schickte mich meine Bezugspflegerin nach Hause, ich sollte dort etwas tun, das mir Energie bringt. Also saß ich dann gleich neun Stunden vor dem PC und las. Danach hatte ich wieder Rückenschmerzen und ich schaffte es auch nicht zum Rehasport zu fahren. Ich wollte einfach nicht mehr rausgehen und unter Menschen sein müssen. Da mein Mann an diesem Tag bis spätabend weg war, hatte ich auch keine Verpflichtung, mich mit ihm zu unterhalten und musste mich nicht ums Abendessen kümmern. Diese Zeit nur für mich, alleine Texte zu meinen Interessen lesend zu verbringen, tat mir gut. Am Freitag hatte ich dann wieder genügend Kraft, mich im Sozialen Kompetenztraining (SKT) aktiv einzubringen. Allerdings war das so anstrengend, dass ich mich danach in den Ruheraum zurückzog und prompt den nachfolgenden Wochenplan-Programmpunkt verschlief.

Als ich aufwachte und panisch aus dem Raum stolperte, um mit zwei Minuten Verspätung wenigstens noch in die Freitagsabschlussrunde der Gruppe zu gehen, kamen mir die Gruppenmitglieder entgegen, einer meinte, dass sie schon fertig seien. Ich war sehr irritiert, denn laut Wochenplan sollte diese Abschlussrunde gerade erst begonnen haben. Ich ging also in den Raum, in dem sich die beiden Personen, die die Gruppe leiteten, noch unterhielten. Als sie mich sahen, meinte die eine, ob ich geschlafen hätte. Entweder sah ich so verschlafen aus oder die Tatsache, dass ich das Bettzeug im Arm hielt, machte ihr diese Schlussfolgerung leicht. Gleich darauf sagte sie, dass es nicht so schlimm sei, dass ich die Gruppe verpasst hätte. Ihr sei wohl ein Fehler passiert, sie habe gedacht, ich hätte einen Einzelgesprächstermin, das habe sie wohl mit dem Termin einer anderen Patientin verwechselt, ansonsten hätte sie mich natürlich geweckt. Sie wiederholte mehrfach, es sei nicht schlimm, dass ich die Abschlussrunde verpasst hätte.

Für mich war es in dem Moment nur leider doch schlimm, ich war aufgebracht, weil ich die Abschlussrunde verpasst hatte und teilte unter Tränen meinen Unmut darüber mit, dass dieser Programmpunkt entgegen dem Wochenplan wohl vorgezogen worden war, ohne mir rechtzeitig deshalb Bescheid gegeben zu haben. Das Problem für mich war – wie immer – die kurzfristige Planänderung. Ich war darauf eingestellt, dass jetzt laut Wochenplan diese Abschlussrunde zu sein hatte. Ich empfand es als zutiefst ungerecht, dass ich über die Planänderung nicht informiert worden war. Sie sagte mir, dass es immer mal wieder vorkommen würde, dass sich kurzfristig etwas am Wochenplan verändern würde, den Mitpatienten hatte sie kurz vor dieser Änderung Bescheid gegeben, wenn ich anwesend gewesen wäre, hätte ich das auch mitbekommen. Mein Einwand daraufhin war, dass ich mich dann in keiner Pause mehr zurückziehen könne, um solcherart kurzfristige Veränderungen nicht zu verpassen. Dem folgte eine Tirade meinerseits, dass, wenn man sich nicht an Wochenpläne halten würde, diese entbehrlich wären. Dass sich in der Tagklinik nach meiner Beobachtung die Patienten häufig nicht an die vereinbarten Zeiten halten würden und ich damit schon genügend zu tun hätte, es nicht verstünde, weshalb dem nicht Einhalt geboten werden würde, denn die Therapiezeiten seien doch meines Wissens verpflichtend und außerdem meiner Ansicht nach wichtig. Ihr Einwand war, dass nicht alle Patienten so strukturiert seien, wie ich. Das beruhigte mich allerdings auch nicht.

Ich teilte ihr dann auch gleich noch mit, dass ich es nicht nachvollziehen könne, wenn Therapeuten Stunden früher beenden würden, Dass ich nicht davon ausginge, dass die Therapeuten zu wenig Inhalte vorbereitet hätten, denn das wäre inkompetent. Dass ich es bedenklich fände, dass ausgerechnet die einzige Stunde SKT in der Woche scheinbar immer mit der Begründung, die Gruppe habe Küchendienst und bekäme deshalb als Ausgleich mehr Pausenzeit, gekürzt werden würde. Nachdem das auch in der zweiten Woche und von unterschiedlichen Therapeuten so gehandhabt hätte werden sollen, ging ich davon aus, dass es immer so sein würde – zweimal ist eine Reihe für mich. Ich merkte an, dass es in diesem Fall sinnvoller wäre, den Küchendienst für die Gruppe nicht immer auf den selben Tag zu legen, damit wenigstens unterschiedliche Therapieangebote von der Kürzung betroffen wären.

Ich erklärte ihr, weshalb ich mich im SKT eingebracht hatte. Mir war es nämlich darum gegangen, dass dieses für CBASP so wichtige Therapieangebot möglichst in voller Länge stattfinden hatte können. Ich hatte verhindert, dass meine Gruppenmitglieder auf die Suggestivfrage, ob jemand noch ein Thema hätte oder die Stunde wegen des Küchendienstes und der Hitze früher beendet werden solle, mit ja antworten konnten, indem ich als Erste das Wort ergriff, nein sagte und einen Vorschlag machte, dem sich dann erwartungsgemäß die meisten anderen anschlossen. Sie schien meine Erläuterung, weshalb das aus sozialpsychologischer Sicht voraussehbar gewesen sei, und weshalb auf die Frage der Therapeutin sich ansonsten die meisten für das frühere Beenden ausgesprochen hätten, nicht nachzuvollziehen. Ich vermutete daraufhin aufgrund ihrer Ausbildung keine tiefergehenden sozialpsychologischen Kenntnisse. Ich merkte an, dass ich zwar von der dann in der restlichen Zeit durchgeführten Situationsanalyse profitieren hätte können, kritisierte jedoch, dass die Therapeutin, obwohl sie sagte, dass mein inhaltlicher Vorschlag (Kiesler Kreis), dem die Mehrheit der Mitpatienten zugestimmt hatten bearbeitet werden sollte, dann doch eine Situationsanalyse durchgeführt hatte. Ich bemängelte explizit die Nichtübereinstimmung von Worten und Handeln dieser Therapeutin und teilte mit, dass ein solches Verhalten mich irritieren würde. Sie erklärte das Vorgehen der Therapeutin damit, dass Situationsanalysen in der CBASP immer Vorrang hätten. Da ich gelesen hatte, dass möglichst mindestens 70% der Therapiezeit auf die Bearbeitung von Situationsanalysen verwendet werden soll, stimmte ich zu, dass dieses Argument das Verhaltender Therapeutin rechtfertigten würde, allerdings sei es besser, wenn den Patienten dies als Begründung für die Diskrepanz auch mitgeteilt werden würde. Ich bemerkte abschließend ihr gegenüber noch, dass es in meiner eigenen Verantwortung läge, pünktlich zu den Therapiestunden zu erscheinen und nicht in ihrer, mich zu wecken. Sie beendete das Gespräch mit der Zusage, dass sie meine Kritik an das Team weiterleiten werde.

Als ich nach Hause fuhr, dachte ich darüber nach, dass mir auch in der Tagklinik dasselbe passiert war, wie immer und überall: Ich komme irgendwo neu an und moniere nach spätestens zwei Wochen die von mir erkannten Fehler im System und/oder in Abläufen, das was in meinen Augen nicht richtig läuft und alle Widersprüche und teile die Konsequenzen, die sich daraus ergeben mit oder mache Verbesserungsvorschläge. In der Sache habe ich häufig recht. Allerdings kommuniziere ich das offensichtlich nie diplomatisch und drücke mich in meiner Kritik, wenn ich im Eifer direkt meine Gedanken mitteile, oftmals auch sozial inkompatibel aus. Das habe ich bisher einfach nicht in den Griff bekommen. Ich suche weder Fehler noch Widersprüche aktiv – ich bin nicht querulatorisch veranlagt – aber sie fallen mir unweigerlich auf. Und dann kann ich früher oder später, vor allem nach Situationen, die mich aus der Bahn werfen, meinen Mund einfach nicht halten und teile meiner Umwelt sämtliche von mir registrierten Fehler und Widersprüche schwallartig und ohne soziale Abmilderungsformulierungen mit. Hinterher bemerke ich beim Rekapitulieren des Gesagten dann, wo es undiplomatisch und sozial inkompatibel war. Und nehme mir vor, es beim nächstenmal besser zu machen, scheitere aber seit Jahrzehnten immer und immer wieder daran. Vermutlich wäre es besser, wenn ich mich einfach damit abfinde, dass es sich nicht verändern wird, dass ich Fehler / Widersprüche sehr gut erkennen, aber sehr schlecht kommunizieren kann.


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Abschaltung des Heureka Autismusforschungsforums

Das Heureka Autismusforschungsforum wurde abgeschaltet. Dabei gab es dieses anfangs vielversprechende Forum noch gar nicht lange. Kaum wurde es ein wenig bekannter, übernahmen vielschreibende Teilnehmer, von denen mir zumindest vier von anderen Plattformen bekannt sind, den Großteil der dort stattfindenden Kommunikation.
Und jetzt haben es also einige wenige User geschafft, wegen ihres aggressiven Auftretens und ihrer Strategie, die auf anderen Plattformen (inbesondere Twitter und Aspies.de) entstandenen und dort auch auf persönlicher Ebene ausgetragenen Konflikte auch auf dem Heureka Autismusforschungsforum weiter auszutragen, diese Kommunikationsplattform auszuschalten.
Dabei war das Forum doch für den Austausch zwischen Forschern und Betroffenen gedacht. Ich verstehe nicht, wieso es soweit hat kommen können, dass eine Minderheit das Forum übernommen hat. Und ich bin schwer enttäuscht. Ich hatte die Mitglieder meiner SHG Asperger Kultur Regensburg über diese neue vielversprechende Plattform und die Möglichkeit paritätisch an Forschung zu Autismus mitzuwirken informiert, ein breites Spektrum an Autistinnen und Autisten, die sich allerdings eher nicht öffentlich äußern und die sozialen Meden weitgehend meiden, waren sehr interessiert, wollten mehr dazu wissen und überlegten sogar, sich einzubringen. Ich hatte die Hoffnung, dass wenigstens auf diesem Forum ein sachlicher Diskurs zu Autismusthemen auch auf Laien-Ebene möglich sein sollte, deren Bearbeitung bzw. Erforschung langfristig zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen von Autistinnen und Autisten führen könnte.
Wenn der Betreiber des Forums uns gefragt hätte, was wir brauchen, hätten wir ihm geantwortet: Eine Möglichkeit, sich mit anderen Autisten und Nichtautisten online auszutauschen, ohne für die eigene Meinung persönlich angegangen zu werden. Eine Plattform, auf der wir unsere Wünsche bzw. Bedürfnisse an/nach Forschung und Unterstützung kommunizieren dürfen, ohne ausgegrenzt zu werden. Wir würden gerne unsere guten und schlechten Erfahrungen mit Behörden, Ärzten, Fachkräften und -diensten, Ämter, Kollegen, Arbeitgebern, Eltern, usw. mitteilen, in der Hoffnung, dass dies zu einer Verbesserung unserer Lebenssituation führt und dazu, dass die nächste Generation Autistinnen und Autisten es vielleicht leichter im Leben hat. Dies hat eine Minderheit offenbar nunmehr verhindert.
In der E-Mail, in der das Abschalten des Forums mitgeteilt wurde, war außerdem zu lesen, dass derzeit eine Umfrage zu Erwartungen von Betroffenen und Angehörigen an die Autismus-Strategie Bayern unter Mithilfe von Betroffenen aus dem Forum ausgearbeitet wird, die sich bereiterklärten, dabei mitzuhelfen. Mir war gar nicht bekannt, wann, wie und wo vom Forenbetreiber um Mithilfe gebeten wurde. Dabei hatte ich alle Beiträge des Forums gelesen. Ich hätte mich gerne bereiterklärt, so ich die Chance erhalten hätte, mich einzubringen.
An der geplanten Umfrage werde ich teilnehmen. Denn die politisch Verantwortlichen werden über Vorschläge von Autistinnen und Autisten nur dann nachdenken, wenn sie in ausreichender Zahl und durch objektive Befunde erhoben werden. Deshalb werde ich auch den Umfragelink an die Mitglieder meiner SHG weiterleiten.
Was mich dann doch verbittert ist die Tatsache, dass sie sich laut der E-Mail explizit an bayrische Autisten wendet. Denn wir von der SHG Asperger Kultur Regensburg vertraten genau diese Haltung, ich wurde dafür jedoch auf Twitter angegangen. Jetzt bin ich gespannt, ob und auf welche Weise dieselben Personen ihren Unmut darüber auch gegenüber dem Betreiber des Heureka Autismusforschungsforums äußern.
Dies ist eine weitere Erfahrung einer langen Reihe zeitlebens, die mir zeigen, dass Autistinnen und Autisten nicht gehört werden und eigene Vorschläge zwar von anderen aufgegriffen/übernommen werden, sie selbst jedoch ausgegrenzt werden.
Die Abschaltung dieses Forums ist meiner Ansicht nach eine weitere Form von Ausgrenzung. Nimmt sie Autistinnen und Autisten, die sich dem „Haifischbecken“ (Metapher) soziale Medien nicht aussetzen, aber trotzdem am Diskurs zu Autismusthemen teilhaben und sich einbringen wollen, doch eine der wenigen Möglichkeiten, die es dazu geben hätte können.


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Der Freitagabend-Radieschen-Vorfall

Freitagabend, mein Mann war mit dem Nachbarn unterwegs auf einer Veranstaltung. Ich gedachte, mir einen gemütlichen Filmabend zu machen. Dazu hatte ich mir eine Schüssel Salat vorbereitet und Brot getoastet. Dann passierte etwas, das mir in Nachhinein bewusst macht, wie wichtig es ist, achtsam zu essen. Ich verschluckte mich an einem halben Radieschen. Klingt banal, wenn ich nicht Angst gehabt hätte, daran zu ersticken. Das Ding blieb in meiner Kehle stecken, so dass ich zuerst massiv würgen musste und keine Luft mehr bekam. Daraus entwickelte sich sehr schnell Panik.

Ich weiß nicht, warum das bei mir so ist, aber wenn wirklich schlimme Dinge passieren, dann teile ich mich auf, anders kann ich das nicht erklären. Es ist dann als wenn ich nochmal da wäre, neben mir stehend, die Situation beobachtend und das Kommando übernehmend. Mein funktionierendes Ich versuchte, mich vornübergebeugt soweit zu beruhigen, dass ich Atmen konnte, was nicht leicht war. Das Radieschen steckte fest, ich spürte sogar genau wo. Dummerweise ging der Versuch, es mit einem Schluck Bier herunter zu spülen, gründlich schief. Ein erneuter heftiger Würganfall, feuchtrasselnder Atem und Bier in den Nebenhöhlen war die Folge.

Eine Zeitlang versuchte ich, die Situation auszuhalten und einzuschätzen, ob ich es alleine hinbekomme. Mein Mann war ja nicht da, ich dachte darüber nach, mich ins Auto zu setzen, um ins Krankenhaus zu fahren, verwarf den Gedanken aber, weil jede Bewegung einen Würganfall zur Folge hatte. Es wurde nicht besser. Mein anderes Ich merkte an, dass Hilfe wohl doch notwendig sei und zwang mich dazu, mich würgend zum Festnetztelefon zu schleppen und die 112 einzutippen. Die Überlegung war, wenn ich doch noch einen Atemstillstand habe, dann können sie herausfinden, woher der Anruf kam. Mein Smartphone hätte ich in der Hosentasche gehabt, aber wir wohnen in einem Funkloch, eine Smartphone-Ortung ist eventuell nicht möglich. Reden konnte ich nicht, dann musste ich sofort würgen, flüstern ging stoßweise, immerhin bekam ich die Straße und den Wohnort heraus, dann war wieder Schluss. Die Stimme am Telefon sagte, dass sie jemanden vorbeischicken würden, ich solle die Haustüre öffnen. Erschien mir vernünftig, also tat ich das noch und griff mir auf dem Weg dorthin den Haustürschlüssel. Nach dieser Aktion hing ich wieder rasselnd um Atem ringend und würgend über der Spüle.

Eine gefühlte Ewigkeit später waren drei fremde Sanitäter in unserer Küche, einer hielt mich fest und redete auf mich ein, einer telefonierte wohl und der letzte warf bunte Taschen auf den Küchentisch. Das Festhalten war äußerst unangenehm, ich wand mich schwächlich, wurde aber auf einen Stuhl gedrückt und dann schlug mir jemand sehr kräftig mehrfach auf den Rücken, was überhaupt nichts brachte. Ich versuchte, auf meinen Hals deutend zu zeigen, was los war, krächzte „Radieschen“, bevor der nächste Würganfall kam, während der Sanitäter mir weiter auf den Rücken drosch.

Die drei Sanitäter unterhielten sich und diskutierten, dass es unmöglich ein Radieschen sein könne, die seien rund und würden nicht stecken bleiben, sie einigten sich darauf, dass ich mir mit dem getoasteten Brot die Speiseröhre verletzt hätte. Ich gab resigniert alle Kommunikationsversuche auf und versuchte, vornübergebeugt zu atmen und auf keinen Fall dem Schluckreflex nachzugeben und nicht zu würgen. Der eine Sanitäter hielt mich weiter fest und redete ständig auf mich ein, dass ich mich beruhigen solle.

Meine übrigens äußerst klaren Gedanken waren nicht besonders freundlich –  ich dachte wörtlich „und was meinst du, dass ich hier tue, verdammt nochmal holt doch bitte endlich einer das Ding aus meiner Kehle raus, das blockiert den Kehldeckel“. Die drei berieten, was mit mir zu tun wäre und kamen überein, mich ins Krankenhaus mitzunehmen. Was sie dann auch taten. Mein anderes Ich kümmerte sich noch darum, dass die Tür zugesperrt wurde. Wahrscheinlich war das auch ein Grund, dass sie meine Schmerzen und Beschwerden nicht so ernst nahmen, den Eindruck hatte ich nämlich – welcher ernsthaft Erkrankte kümmert sich noch ums Haustüre abschließen?

Zum Krankenwagen ging ich selbst, ich schüttelte den Arm ab, der mich halten wollte. Woraufhin der Sanitäter sagte: „Na gut, dann halt nicht“. Tat mir leid, dass ich ihm nicht erklären konnte, dass ich das nicht aushielt. Die Fahrt im Krankenwagen verbrachte ich vornübergebeugt mit Spucktüte in der Hand, hinten neben der Liege, nicht angeschnallt, abwechselnd würgend und keuchend. Irgendwie bugsierten sie mich in einem Rollstuhl vom Krankenwagen in die Notaufnahme, dort schoben sie mich in ein Zimmer, wo ich mich aufs Bett legen sollte, was nicht ging. Sie wollten ein EKG machen, was daran scheiterte, dass ich mich nicht zurücklegen konnte. Ich wusste, ich musste unbedingt vornübergebeugt sitzen bleiben, jede Bewegung führte dazu, dass das Radieschen meinen Kehldeckel reizte und ich den nächsten Würganfall bekam. Eine Krankenschwester schob mir eine Nierenschale unter den Kopf und zwei Papiertücher, ich versuchte ihr mitzuteilen, dass sie mir bitte mehr Tücher geben sollte, was nicht klappte. Ein Pfleger gab mir eine Tablette, von der er sagte, sie würde sich im Mund auflösen und riet mir, nicht zu würgen und nicht zu schlucken – ach ne, hatte ich auch schon bemerkt. Was die Tablette bewirken sollte, die sich zwar auflöste, aber logischerweise mit der Spucke aus meinem Mund herauslief, ich sollte ja nicht schlucken, verstand ich nicht. Später vergaß ich dann danach zu fragen. Ich war sehr frustriert, konnte aber nichts machen.

Alle Anwesenden verließen den Raum, ich hörte noch, die Atemwege sind soweit frei, wir lassen sie jetzt in Ruhe. Die nächsten zweieinhalb Stunden passierte nichts weiter, als dass zweimal jemand ins Zimmer kam, um das EKG zu machen, was nicht funktionierte, weil ich mich wirklich nicht bewegen konnte. Außerdem hörte ich von draußen gruselige Geräusche und jemand schrie immer mal wieder. Das irritierte mich ziemlich und machte mir auch Angst. Inzwischen war die Nierenschale am Überschwappen und die zwei Papiertücher watschelnass. Nach der ganzen Zeit, in der ich gelernt hatte, nicht zu schlucken, inzwischen aber wegen der bewegungslosen, sehr unbequemen Haltung am ganzen Körper zitterte und zutiefst erschöpft war, regte sich Wut in mir. Ich hatte zwar riesige Angst vor den Schmerzen, aber ich drückte den Schwesternrufknopf, wofür ich mich leider bewegen musste. Das Ergebnis war der vorhersehbare nächste Würganfall. Währenddessen eine Schwester und eine Ärztin hereingekommen waren. Und dann kam nach dem bisher schlimmsten Würgen endlich auch das bisschen Salat hervor, das ich vor dem Verschlucken gegessen hatte, und mit einem deutlichen Ploppen dazu das halbe Radieschen.

Meine erste Reaktion war ein krächzendes, sehr wütendes aber auch sehr erleichtertes „Und ich hatte doch recht“. Die Ärztin meinte dann zu mir, ja, ich hätte recht gehabt, aber sie hätten nichts machen können. Die Gefahr, dass ich beim mir in den Hals schauen gewürgt hätte, was dann in die Lunge geraten wäre, sei zu groß gewesen. Ich dachte: Na toll, warum hatte mit mir keiner gesprochen und mir die Sachlage erklärt, das hätte die vergangenen Stunden sehr viel einfacher für mich gemacht. Die Ärztin meinte noch, der Oberarzt sei bereits informiert worden, der hätte mir morgen früh mit einer Magenspiegelung geholfen. Ich verstand nicht, weshalb ich die Schmerzen im Hals noch die ganze Nacht aushalten hätte sollen. Aber ich dachte zu lange darüber nach, wie ich danach fragen sollte, so dass sich keine Gelegenheit mehr für die Frage bot. Die Ärztin sagte währenddessen einen scheinbar geplanten Röntgentermin ab. Die Schwester meinte, ich solle über Nacht bleiben, um das EKG noch zu machen und zu schauen, ob alles in Ordnung sei.

Als beide aus dem Zimmer verschwunden waren, beschloss ich, meinen Mann anzurufen und ihn zu bitten, mich abzuholen. Erklären musste ich am Telefon nichts, dafür kennt mich mein Mann zu gut. Ich machte das Licht aus, schloss die Tür, legte mich aufs Bett und zog mir die Decke über den Kopf. Eine halbe Stunde später holte mein Mann mich dort ab. Ich hatte gehofft, keinem Menschen auf dem Flur zu begegnen, aber der Pfleger kam aus einem Zimmer und sprach uns an. Notgedrungen sagte ich zu ihm das erste, was mir einfiel: Dass ich recht gehabt hätte. Er meinte, sie hätten mir geglaubt, aber seien beruhigt gewesen, weil ich atmen konnte. Und weiter habe man erst einmal nichts machen können. Im Weggehen fiel mir zum Glück noch ein, mich zu bedanken.

Dann fuhr mich mein Mann heim, wo ich sofort ins Bett ging. Am nächsten Morgen fühlte ich mich überhaupt nicht erholt, sondern wie erschlagen – was wahrscheinlich an der Kombination Würgen plus wirklich kräftige Schläge auf den Rücken plus Panik plus Nachwirkungen der Überlastungssituation im Krankenhaus lag. Ich war zu nichts fähig, mein Mann meinte zwar, bevor er in seiner Werkstatt verschwand, ich könnte den Filmabend nachholen, das schaffte ich aber nicht. Den halben Samstag verschlief ich auf dem Sofa. Trinken war nur eingeschränkt möglich, essen gar nicht, was mir aber auch egal war, mir war die Lust aufs Essen gründlich vergangen. Heute konnte ich immerhin schon den obligatorischen Cappuccino einigermaßen schlucken und mich an den PC setzen, um schreibend den Vorfall in meinen Gedanken zu ordnen. Jetzt ist meine Energie aber schon wieder aufgebraucht. Ich schätze, es wird noch ein paar Tage dauern, bis ich mich von dem Erlebnis erholt habe. Und es wird wahrscheinlich noch länger dauern, bevor ich mich wieder traue, etwas Hartes zu essen.

Erkenntnisse aus dem Freitagabend-Radieschen-Vorfall: Beim Essen sollte ich gründlich kauen und mich vor allem bewusst auf das Essen konzentrieren, nicht nebenbei etwas anderes machen. Wenn notwendig, dann greife ich sogar freiwillig zum Telefon. Ich kann sehr gut abschätzen, was in meinem Körper nicht stimmt. Gelingende Kommunikation ist und bleibt schwierig. Es wäre schön, wenn Rettungssanitäter und Ärzte mir als Patientin erklären würden, was sie tun und warum sie es tun. Radieschen können verflixt ungesund sein.


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TKSI – Emotionserkennung-Update

Mittlerweile trainiere ich seit einigen Wochen mit Hilfe einer Trainings-Software (SCOTT) das Erkennen von Emotionen. Inzwischen habe ich bei allen drei Spielen das Level 3 erreicht. In einem vorherigen Blogbeitrag hatte ich mich über vermeintliche Bugs im Programm ausgelassen.

In der vergangenen Woche ist mir aufgefallen, dass ich mich geirrt habe. Ziemlich peinlich, das hier schreiben zu müssen, aber ich habe scheinbar die Anleitung bei dem Spiel Stimme zu Gesicht und Emotion zuordnen falsch verstanden. Immer noch fällt mir dieses Spiel am Schwersten. Letzte Woche hatte ich dann ein Aha-Erlebnis: Es kommt gar nicht auf den Inhalt des Gesagten an – die Anleitung stimmt insofern, als dass man den Inhalt sogar aktiv ausblenden muss, weil die Lösung sonst zu absurd ist. Einzig wichtig für die korrekte Lösung sind Mimik und Tonfall der Stimme, der Inhalt ist teilweise sogar irreführend. Ich komme mir jetzt ziemlich doof vor, weil ich Wochen dafür gebraucht habe, die Erkenntnis, dass Tonfall, Inhalt und Mimik nicht zusammenpassen, auch tatsächlich umzusetzen und zu begreifen, was das für die richtige Lösung bedeutet. Und weil ich die Spielanweisung, man soll den richtigen Emotionsausdruck zur Stimme wählen so gründlich missverstanden habe. Ich dachte bei Stimme nur an den Inhalt des Gesagten. Auch jetzt fällt es mir unglaublich schwer, den Inhalt auszublenden. Es ist und bleibt komisch, wenn der korrekte Emotionsbegriff zu dem Satz: „Die Wohnung liegt im zweiten Stock und hat einen Aufzug“ wehmütig ist.

Beim Gesichter Puzzle habe ich es inzwischen geschafft, die 5400 Punktehürde zu meistern. Allerdings nicht, weil ich mich tatsächlich darin verbesserte, die Mimik zu erkennen. Nach fortwährendem Frustrationserleben stand ich vor der Entscheidung, aufzugeben und zu akzeptieren, dass ich hier scheinbar nicht weiter lernfähig bin oder eine andere Lösung zu finden. Also schaute ich mir die jeweiligen Gesichtsober- und -unterteile nochmals genauer an. Sie unterschieden sich beispielsweise in der Ausleuchtung und damit in der Gesichtsfarbe. Falls das nicht der Fall war, behalf ich mir mit dem Vergleich, wieviel vom Ohrläppchen zu sehen war oder wie die Kopfneigung der jeweiligen Sequenz verlief. So war es relativ einfach, die passenden Einzelteile zusammenzusetzen. Das hat natürlich überhaupt nichts mit Emotionserkennung zu tun.

Auf der Bestenliste rangiere ich immer noch nur im Mittelfeld. Scheinbar habe ich wieder die Grenze meiner derzeitigen Fähigkeiten erreicht. Auch bei den Filmsequenzen erreiche ich keine höhere Punktzahl mehr. Im Moment bin ratlos und weiß nicht, was ich noch tun kann außer wieder und wieder zunehmend frustriert die Spiele auf Level 3 zu spielen und zu hoffen, dass ich nochmals eine Eingebung haben werde oder es doch noch zu einer Verbesserung meiner Fähigkeiten durch die Übung kommt.

Manchmal kann ich mir ein Lachen während der eineinhalb Stunden KTT (kognitive Testung und Training) einfach nicht verkneifen, weil die richtigen Lösungen in meinem Augen seltsam bzw. absurd erscheinen. Gleichzeitig bin ich traurig, weil mir durch das Training sehr deutlich vor Augen geführt wird, wo genau ein Teil meiner Defizite liegt. Einesteils freue ich mich darüber, endlich zu wissen, woran es liegt, dass sich fortwährend kommunikative Missverständnisse durch mein Leben ziehen. Aber ich vermisse andernteils auch den selbstzufriedenen Zustand der Unwissenheit vor der Diagnose. Es war so viel einfacher davon auszugehen, meine Mitmenschen verstünden mich deshalb nicht, weil sie größtenteils anscheinend begriffstutzig sind und nicht genau hinhören. Die Erkenntnis, dass nicht meine Mitmenschen doofer als ich sind, sondern es gerade umgekehrt ist, mir wegen meiner Defizite in der Wahrnehmung nonverbaler Kommunikation wichtige Informationen fehlen, die sie haben, ist immer noch bitter.


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Psychotherapie – oder die Geschichte von der Kunst, endlich einen passenden Therapeuten zu finden #Teil2

Nach Anlaufschwierigkeiten, weil er sich bei mir per E-Mail meldete, weil er mich telefonisch nie erreichen könne, woraufhin ich einen festen Telefontermin mit ihm vereinbarte und mein Smartphone einschaltete, er aber nicht anrief, hatte ich dann doch noch im Urlaub Kontakt zu einem vielversprechend klingenden Therapeuten. Er hatte mit mir bereits schriftlich abgeklärt, dass Asperger für ihn kein Hinderungsgrund sei. In einem ruhigen Telefonat erklärte er mir sowohl die Anfahrtsmöglichkeiten zu seiner am Wasser gelegenen Praxis als auch detailliert das geplante Prozedere für das Erstgespräch.

Ich erschien also eine Stunde vor dem vereinbarten Termin, um im Wartezimmer bei gedämpftem Licht und entspannter Ruhe auf seinem Tablet verschiedene Tests auszufüllen, die sofort ausgewertet wurden. Das empfand ich als professionelles Vorgehen. Der Therapeut war erfreulich technikaffin. Nur eine leise schnurrende Perserkatze leistete mir beim Ausfüllen Gesellschaft. Als er nach einer Stunde wie abgesprochen kam, um mir das Tablet abzunehmen, konnte er nicht glauben, dass ich alle Tests bearbeitet hatte. Er sagte, das habe bisher noch nie jemand bei ihm geschafft. Es erstaune ihn ungemein. Ich wunderte mich, er hatte gesagt, ich solle die Tests so weit ausfüllen, wie ich kommen würde, also hatte ich das getan. Es handelte sich unter anderem um ein Depressionsinventar, einen Fragebogen zur Abklärung von Psychosen oder Schizophrenie, Fragen zu potentiellen anderen physischen Erkrankungen, mein Krankheitserleben, usw. In meinen Augen waren es zehn umfassende, zumindest soweit sie mir bekannt waren, valide Fragebögen, das Ganze wirkte wirklich gut organisiert.

Er bat mich in sein riesiges, geschmackvoll eingerichtetes Therapiezimmer mit wenigen, ausgesuchten, massiven, zeitlosen, hochwertigen Echtholzmöbeln. Dort ging er kurz die Auswertungen der Fragebögen durch, bevor er zu mir sagte: „Suchen Sie sich einen Platz aus“. Er hatte insgesamt vier Sitzmöglichkeiten, eine davon an seinem Schreibtisch, der Rest locker um einen Couchtisch gruppiert, eine war ein wunderschöner Funktionsstuhl, der mir sofort aufgefallen war, weil er interessant aussah. Ich setzte mich auf besagten Stuhl, woraufhin er meinte: „Aber nicht diesen, das ist meiner“. Aha, kann ich ja nicht wissen, ich meinte, dann müsse er das halt vorher sagen. Er hatte mich dann trotzdem dort sitzen lassen, nachdem er mir die unterschiedlichen Funktionen des Stuhls und mögliche Sitz-, Schaukel und Liegepositionen vorführte. Wir unterhielten uns eine Stunden lang meinem Empfinden nach angenehm miteinander. Nur, damit er mir danach sagte, dass

  • es ihn sehr gestört habe, dass ich „motorisch unruhig“ gewesen sei. Ich dachte bei mir, dass ein Stuhl, der explizit für nichtstatisches, gesundes Sitzen gebaut ist und dessen Funktionsweise er mir ausführlich erklärt und vorgeführt hatte, auch so genutzt werden sollte. Worin ich mich anscheinend getäuscht hatte. Ich zog zu seinen Gunsten in Erwägung, etwas falsch verstanden zu haben.
  • er Verhaltenstherapie in meinem komplexen Fall nicht für das Mittel der Wahl hielte, er würde eine tiefenpsychologisch orientierte Therapie für zielführender halten. Auf meine Einwände, dass laut der Literatur, die ich dazu gelesen hätte, bei Autismus Tiefenpsychologie eher nicht helfe, und die Testpsychologin mir ausdrücklich zu Verhaltenstherapie geraten habe, ging er nicht ein.
  • er selbst sich bei all seiner Erfahrung eine Therapie mit mir nicht zutraue. Er, obwohl er offen sei, seltsamerweise zu mir keinen Zugang bekäme, keine Passung sähe, es läge nicht an mir, er wolle mich nicht enttäuschen. Woraufhin ich irritiert erwiderte, ich hätte ja noch gar keine Beziehung zu ihm, insofern enttäusche er mich nicht, darum ginge es doch gar nicht, aber ich würde gern verstehen, weshalb er sich eine Therapie mit mir nicht zutraue.
  • er meine, ich würde unbedingt eine Therapie brauchen, da wäre so viel, er überblicke das gar nicht alles. Ich fragte verunsichert nach, ob er mit „komplexer Fall“, schwieriger, wenig erfolgversprechender Fall meine. Was er verneinte und mich nachdrücklich darauf hinwies, ich könne mich an die Institutsambulanz im BKH wenden oder beim Krisendienst Horizont kurzfristige kompetente Hilfe erhalten, ob er mir die Adressen ausdrucken solle?

Ich erwiderte, dass ich von eben dieser Institutsambulanz die Diagnose erhalten hätte, was aus den von ihm vorab verlangten und ihm von mir auch zugesendeten Arztberichten hervorgehen würde. Außerdem sagte ich ihm, dass Horizont meines Wissens eine Stelle sei, bei der man Hilfe im Fall von Suizidabsichten erhalten würde, danke, die Adressen hätte ich beide bereits, das wäre für den Erhalt eines Therapieplatzes aber für mich eher nicht zielführend.

Ich fragte ihn, ob es eventuell doch an der Autismus-Diagnose läge, was er ebenfalls verneinte, er habe keine Schwierigkeiten mit dieser Thematik. Ich fragte, ob es daran läge, dass ich in seiner Testbatterie auf jede Frage, die irgendwie in spirituelle Richtung ging, mit Nichtzustimmung geantwortet hätte, was ihm, wie ich mich erinnerte, bei der Auswertung bereits aufgefallen sei. Ich mich jedoch auch daran erinnern würde, dass im Wartezimmer ein Buch über Zen, Achtsamkeit, und in meinen Augen eher esoterischen Dingen, wie Familienaufstellen mit ihm als Mitautor läge. Ob es da eventuell einen Zusammenhang geben könne. Was er wortreich verneinte. Ich fragte, ob ich es so zusammenfassen könne, dass er mich einfach nicht verstünde. Was er bejahte. Ich bin daraufhin mit den Worten gegangen: „Da sind Sie nicht der erste, das begleitet mich schon mein Leben lang und ist ja eben genau eines der Grundprobleme, das ich ihnen auch mehrfach in der letzten Stunde geschildert hatte. Schade wegen des schönen Stuhls“.

Ich war zuallererst ziemlich ungehalten, weil ich viel Zeit und Energie investiert hatte. Außerdem hatte ich mir während der Stunde bereits vorgestellt, wie schön es werden würde, diesen Stuhl in diesem ruhigen Raum, in dem ich mich wohl fühlte, öfter nutzen zu dürfen. Nach der intensiven, mehrtägigen Reflexion des Gesprächs war ich anschließend verunsichert. Ein ein erfahrener Therapeut hatte mich nicht verstanden und eine Behandlung abgelehnt, gleichzeitig aber gemeint, ich bräuchte unbedingt einen Therapieplatz, und das langfristig, am besten gleich eine komplette Psychoanalyse. Was, wenn er recht hätte?


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Krank durch Büroarbeit – kann das tatsächlich sein?

Im Büro kam es zu einer eskalierenden Diskussion mit einer Kollegin, die mir vorwarf, eine kooperative Zusammenarbeit sei mit mir wegen meiner Verschlossenheit und meines unmöglichen Sozialverhaltens nicht möglich. Ich fühlte mich in der Sache ungerecht behandelt. Das einzige, was ich meiner Ansicht nach in der Arbeit und auch in dieser Diskussion gezeigt hatte, war mein ganz normales Verhalten. Ich war schon immer introvertiert und beobachtete neue Situationen und Menschen erst einmal, bevor ich mit den Menschen interagierte. Außerdem löse ich Probleme grundsätzlich alleine, bitte selten um Hilfe und lerne seit jeher autodidaktisch. Ich hatte immer schon Schwierigkeiten im sozialen Miteinander und insbesondere in Gruppen. Ich hatte leider auch schon immer ein besonderes Talent, undiplomatisch zu sein oder Dinge laut zu sagen, die man besser nicht nicht ausspricht. Ich war bereits als Kind stur, hatte oft Wutanfälle und meine Mutter ermahnt mich bis heute wegen meines offenbar häufig aggressiven Tonfalls, den ich selbst aber nicht so wahrnehme. Ich hatte mehrfach die Rückmeldung erhalten, zu offensiv in Diskussionen aufzutreten und arrogant zu sein, obwohl ich mich selbst als defensiv und selbstunsicher beschreiben würde. Ich verstand nicht, woher diese Diskrepanz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung kam. Dies alles bedenkend, verbuchte ich die Auseinandersetzung mit der Kollegin auf meiner langen Erfahrungsliste als weiteren fehlgeschlagenen Kommunikationsversuch.

In der nächsten Zeit bemühte ich mich, offener auf die Kollegen zuzugehen und mich zu unterhalten. Ich nahm an gemeinsamen Mittagspausen teil, obwohl ich überwiegend stumm am Rand saß, nicht wissend und unsicher, was ich beitragen sollte. Anschließend benötigte ich zurückgezogen in meinem Büro jedesmal eine längere Erholungspause von den mit Kollegen verbrachten Mittagspausen. Ich litt unter der Absurdität des Ganzen und darunter, dass sich meine unproduktiven Zeiten im Büro proportional zu meiner Angst vermehrten.

Ich begann Angst davor zu haben, wenn die Türe zu meinem Büro aufging und ich musste zunehmend dagegen ankämpfen, weinend aus der Arbeit zu fliehen. Ich war trotz Teilzeitstelle nach jedem Arbeitstag so erschöpft, dass ich zu Hause nur noch auf dem Sofa zusammenbrach. Ich litt neben meiner gestiegenen Geräuschempfindlichkeit zusätzlich unter einem Tinnitus. Ich hatte Rücken- und heftige Kopfschmerzen, ich vermutete Bandscheibenprobleme, aber eine fachärztliche Abklärung ergab außer massiven Muskelverspannungen keinen Befund. Seit Jahren trug ich nachts eine Schiene wegen meines Zähneknirschens, innerhalb eines halben Jahres hatte ich zur Verwunderung meiner Zahnärztin diese Schiene zweimal durchgeknirscht. Ich bekam zusätzlich zunehmend Magenschmerzen und Magen- Darmprobleme, seit Beginn der Angstsymptome hatte ich mehr als 20 Kilo abgenommen und ich hatte Angst, dass ich erneut eine Essstörung entwickelt haben könnte.  Ich ließ alle denkbaren Ursachen meiner Beschwerden bei diversen Fachärzten abklären, heraus kam, dass ich körperlich nicht ernsthaft erkrankt war.

Ich versuchte, eine plausible Erklärung dafür zu finden, weshalb ich anscheinend seltsamerweise jedesmal krank wurde, wenn ich eine Arbeitsstelle hatte.  Ich versuchte erfolglos, mir selbst, meinem Hausarzt und meinen nächsten Familienangehörigen zu erklären, weshalb ich einen gewöhnlichen Büroalltag als so ungemein belastend erlebte, dass ich Angst hatte, irgendwann in naher Zukunft gar nicht mehr funktionieren zu können. Mir war klar, dass mit mir psychisch etwas ganz und gar nicht stimmte. Mich wieder einmal in psychologisch versierte Hände zu begeben, schien unausweichlich, respektive alternativlos.


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Psychotherapieresistenz? – oder die Geschichte von der Kunst, den passenden Therapeuten zu finden #Teil4

Nach acht Jahren Arbeit in einem Büro mit einer allmählichen Steigerung der Arbeitszeit von acht auf letztlich fünfzehn Wochenstunden, einer Steigerung der Arbeitnehmerzahl von einer (mir) auf drei Mitarbeiter und einer Steigerung der Diskussionen um meine soziale Kompetenz von wenig auf die Behauptung, ich hätte überhaupt keine, bekam ich Anfang 2015 überraschend und unverhofft ein Angebot für eine andere Büroarbeitsstelle. Mein Hausarzt hatte mir seit längerem geraten, mir eine neue Arbeit zu suchen, ich war immer öfter krank und hatte seit zwei Jahren Schlafstörungen. Trotz der mich mittlerweile sehr belastenden Situation im Büro nahm ich dieses Angebot erst nach längerem Zögern an.

Wegen fehlender Parkmöglichkeiten am neuen Arbeitsort war mein gewohnter Weg in die Arbeit mit dem Auto nicht mehr möglich. Ich fuhr deshalb fortan mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu der neuen Arbeitsstelle mit 20 Stunden Wochenarbeitszeit und 11 Mitarbeitern. Ich hatte nach ein paar Wochen zusätzlich zu den massiver werdenden Schlafstörungen für mich neue und mir unerklärliche Panikattacken, weshalb ich zu meiner ehemaligen Gesprächstherapeutin Kontakt aufnehmen wollte. Nach einem mich verunsichernden Telefonanruf, bei dem eine Stimme behauptete, diese Nummer sei nicht vergeben, ergab eine Google-Recherche auf der vierten Seite dann endlich die Information, sie sei 2014 verstorben – woraufhin ich eine so heftige Panikattacke hatte, dass ich umgehend zu einer Arztpraxis mit angegliedertem Psychologen flüchtete, der mich zu einer Neurologin weiterverwies. Dort hatte ich Weinkrämpfe und versuchte, zu erklären, warum ich Angst hatte, nicht mehr zu funktionieren. Das Ergebnis war, dass sie mich wegen Selbstgefährdung zur Sicherheit ins nächstgelegene BKH einweisen wollte. Was mich in noch größere Panik versetzte. Mein Versuch, zu argumentieren, ich sei nicht selbstgefährdet, darum ginge es doch gar nicht, ich sein im Übrigen mit meinem eigenen Auto in die Praxis gefahren und es sei schon deshalb völlig unmöglich, sofort in ein Krankenhaus zu gehen, ich müsse erst mein Auto nach Hause bringen, brachte sie nicht von ihrem Entschluß ab. Unfähig zu weiterer Kommunikation bat ich darum, meinen Mann zu verständigen. Er sammelte mich dort ein und wir fuhren mit zwei Autos nach Hause. Am nächsten Tag brachte er mich zu unserem Hausarzt und erklärte ihm die Situation. Ich war nach wie vor nicht in der Lage zu kommunizieren und einfach nur froh, dass mein Mann das für mich übernommen hatte. Mein Hausarzt war nicht der Meinung, dass ich in einem BKH gut aufgehoben wäre. Er schrieb mich erst einmal drei Wochen lang krank.

Mein Mann nahm sehr kurzfristig noch am selben Tag Urlaub und packte mich in unser Wohnmobil. Er hatte vom Hausarzt dieselben Beruhigungsmittel, die ich vor Jahren bereits genommen hatte, plus ein Antidepressivum für mich mitbekommen. 300 km weit weg von meiner Panik, an einem ruhigen Stellplatz am von mir so geliebten Wasser, las ich die Beipackzettel komplett durch, besprach anschließend mit meinem Mann, lieber noch bis zum Morgen mit der Medikamenteneinnahme zu warten – und hatte während dieser paar Tage fortan keinerlei Beschwerden. Gut ausgeschlafen wieder zu Hause, begleitete mich mein Mann wieder zum Hausarzt und erklärte ihm, dass wir beschlossen hatten, es ohne Medikamente zu versuchen. Er übernahm jegliche Kommunikation nach außen für mich und verhinderte, dass irgend jemand zu mir Kontakt aufnehmen konnte. Während der Zeit allein zu Hause ging es mir bis auf die Schlafstörungen gut. Ich verdrängte die aufkommenden Gedanken darüber, dass meine Arbeit der Grund für die Panik und meine sonstigen gesundheitlichen Probleme sein könnte.

Nach der Krankschreibung kämpfte ich in der Folgezeit in der Arbeit von Wochenende zu Wochenende gegen einen erneuten Zusammenbruch. In regelmäßigen Abständen nahm ich Kurzurlaube und nutzte die Feiertage, um mehrere Tage am Stück frei zu haben und mich so weit zu erholen, dass ich überhaupt wieder in die Arbeit gehen konnte. Mir war erschreckend bewusst, dass mich diese Strategie nur so lange retten würde, bis mein Urlaub aufgebraucht war.

Der Hausarzt vermittelte mir kurzfristig einen Termin bei einer Verhaltenstherapeutin, die mich nach dem Erstgespräch fragte, wie ich den Termin empfunden hätte. Ich verstand nicht, was sie genau von mir wissen wollte? Es war anstrengend für mich, ich hatte ihr eine Stunde lang monologisierend und immer mehr in Einzelheiten gehend meine Lebensgeschichte erzählt, wozu sie mich mit den einleitenden Worten „Erzählen sie mal, was Sie herführt“ aufgefordert hatte. Ihre Reaktionen während meines Berichtes erschöpften sich in diversen Oh Gotts, der Bemerkung, ich könne ein Buch über mein Leben schreiben und der rätselhaften Aussage, sie verstünde ihre therapeutische Funktion als Katalysator, wie Gold oder Platin. Sie sagte mir zum Abschied, ich solle das Gespräch erst einmal sitzen lassen und gründlich darüber schlafen, sie werde das ebenfalls tun. Einen weiteren Termin könne ich dann per Mail vereinbaren. Nach drei Tagen schrieb ich ihr eine Mail, in der ich fragte, ob dreimal schlafen in ihren Augen gründlich genug sei. Und ich fragte nach, ob sie sich als positiven oder negativen Katalysator verstünde, weshalb sie ausgerechnet Gold oder Platin gewählt habe und ob sie tatsächlich davon überzeugt sei, dass sie sich durch den Kontakt zu ihren Patienten nicht verändern würde. Falls ja, wäre ich sehr interessiert daran, ihre Methode der Abgrenzung zu lernen. Außerdem bat ich sie um einen weiteren Termin.

Mehrere Wochen später antwortete die Therapeutin mir per Mail mit einer Absage, die mich in einem weiteren Kurzurlaub unvermutet traf, keine meiner Nachfragen beantwortete und meine Motivation, mich um einen Therapieplatz zu bemühen, erst einmal auf Null reduzierte. Meine Angstsymptome in der Arbeit verschwanden jedoch nicht, ich hatte, wie gewohnt, weiter Schwierigkeiten mit Kollegen. Ungewohnt war nur die Menge an Kollegen und damit stieg auch die Menge an Schwierigkeiten. Ich glaubte, mich in einer Zeitschleife zu befinden, weil sich augenscheinlich meine sozialen Probleme in und mit Teams aus meiner Schulzeit und der Zeit an der Universität wiederholten. Es kam zu eklatanten Missverständnissen und ich begann, zunehmend Fehler in der Arbeit zu machen.