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"Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muß man vor allem ein Schaf sein." (Albert Einstein)


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Erfahrungen einer Autistin in der psychosomatischen Reha in der ZAR-Klinik Regensburg

Ich war im Juni / Juli für fünf Wochen in einer ambulanten psychosomatischen Reha in der ZAR Klinik Regensburg und hatte in diesem Blogbeitrag geschrieben, dass ich berichten werde.

Es gab das in solchen Kliniken übliche Spektrum an Therapieangeboten, deren Ziel es ist, wieder einen vorherigen normalen, möglichst gesunden Zustand der Patienten herzustellen. Dabei wird von einer Vorstellung von Gesundheit und Normalität ausgegangen, in das ich nicht passe. Viele meiner gesundheitlichen Schwierigkeiten resultieren aus dem zugrundeliegenden Autismus. Ein vorheriger, nichtautistischer Zustand kann also gar nicht hergestellt werden. Die angebotenen Lösungen passten, wie so oft, größtenteils nicht zu meinen Problemen.

Es gab psychoedukative und informative Vorträge, die mich zwar nichts Neues lehrten, aber immerhin kompetent und mit ansprechenden Folien garniert vorgetragen wurden. Angeboten wurden zudem Entspannungsgruppen, wie QiGong oder PMR, ich entspanne mich aber besser alleine in einer geschützten Umgebung und nicht zusammen mit mir fremden Leuten in entweder stickigen – weil geschlossene Fenster – oder lauten Räumen bei Baulärm von draußen . Ich sehe keinen gesteigerten Sinn dahinter, mich mit einem Qiu-Ball auf einen unbequemen Stuhl zu setzen und diesem – im Rhythmus von blauen LEDs mitatmend – dabei zuzusehen, wie er von rot nach grün und zurück wechselnd leuchtet, denn ich denke nicht, dass er etwas anderes messen kann, als den Puls. Insbesondere sah ich spätestens dann keinen Sinn mehr, nachdem ich ihn auf einem Holztisch abgelegt hatte, um das Biofeedback zu validieren. Der Tisch war apfelgrün tiefenentspannt, kein Wunder, er hatte ja auch eine superlangsame Atmung und niedrigen Puls. Nordic Walking, bei dem ich vorher in einen engen Bus steigen muss, um irgendwohin gefahren zu werden, wo ich dann zusammen mit anderen vor mich hinstöckle, entstresst mich kein bisschen. Sport und Bewegung könnte mir helfen, aber nur, wenn ich mich nicht mit mindestens fünfundzwanzig anderen Leuten bewegen muss.

Daneben gab es die wöchentlichen Einzelgespräche mit der Bezugstherapeutin, bei fünf Wochen Reha- Aufenthalt sind das realiter drei Mal inhaltliche freie 50 Minuten Gespräch mit einer Psychotherapeutin, die ich nicht kenne und bei der die Schwierigkeit für mich bestand, es in der Kürze der Zeit überhaupt zu schaffen, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Das Gespräch in der ersten Woche fand am Aufnahmetag statt, an dem ich nicht besonders aufnahmefähig war, weil ich damit beschäftigt war, mich zurechtzufinden und das Abschlussgespräch diente der Abarbeitung ihres Fragenkataloges und endete mit einem aprupten Gesprächsabbruch auf meine Nachfrage, wie sie meine soziale Kompetenz einschätzen würde. Ich brauche erfahrungsgemäß länger als andere, um mich zu orientieren und irgendwo anzukommen. Bei fünf Wochen Reha war ich erst in der letzten Woche dabei, richtig anzukommen. Insgesamt hatten mich also diese Einzelgespräche erwartungsgemäß in meiner persönlichen Entwicklung nicht sonderlich weitergebracht. Aber das hatte ich ihr ja auch schon im Aufnahmegespräch mitgeteilt. Eine Verlängerung der Reha kam für mich aus verschiedenen Gründen nicht in Frage.

Es gab einen Raum mit modernen Fitnessgeräten, die Einführung in der ersten Woche schaffte ich nicht, weil ich nicht so lange durchhielt und früher nach Hause ging, also fand die Einführung erst in der zweiten Woche statt. Insgesamt war ich nur viermal in diesem Raum, von der Klinik geplant hätte ich zweimal pro Woche dort trainieren sollen. In meinem wöchentlichen Therapieplan wurde das Training aber meistens nach dem Mittagessen eingeplant und nach dem Mittagessen war ich sehr selten noch in der Reha-Klinik anwesend. Die wenigen Male, die ich trainiert habe, gab es für meinen Geschmack etliche Störfaktoren, die mich belasteten und zu viel Energie kosteten, wie Hintergrundmusik, der Geruch des Desinfektionsmittels, mit dem die Geräte abgewischt werden mussten, die Duftauren mancher Leute und schlicht zu viele herumstolpernde und laufende Leute.

Der Ergotherapieraum war klein, es gab eine recht überschaubare Menge an Material und Möglichkeiten fürs Basteln für Erwachsene. Für mich war nichts grundlegend Neues dabei. Klar hätte ich zur Abwechslung ja auch mal einen Korb flechten können, statt schon wieder Mosaiksteine auf irgendeinen Gegenstand zu kleben. Nur hatte ich in der ersten Woche bereits gewohnheitsgemäß damit begonnen, als mich die Therapeutin fragte, was ich machen wollen würde. Weil ich mir dachte, dass ich den Tontopf erst einmal fertig bekleben sollte, blieb am Ende keine Zeit mehr fürs Korbflechten.

Dann gab es natürlich die wohl obligatorische Kunsttherapie. Ich bin die ersten Male hingegangen und habe versucht, einen tieferen Sinn darin für mich zu finden, mich mit verschiedenen Materialien auszudrücken und für was auch immer zu öffnen. Aber erstens kann ich immer noch nicht malen und es macht mir keinen Spaß und zweitens war es nur eine weitere, für mich sinnfreie Gruppentherapie mit nach meinem Empfinden immer neuen Leuten in der Gruppe. Zwei Mitpatienten konnte ich in der zweiten Woche immerhin wiedererkennen, aber vom Rest hätte ich geschworen, diese Leute noch nie vorher gesehen zu haben. Diese ständig wechselnde Besetzung der Gruppen war ein grundsätzliches Problem für mich. Ich wusste nie vorher, mit welchen Mitpatienten ich es zu tun haben würde. Außerdem konnte ich keinen Mitpatienten näher kennen- und einschätzen lernen. Unter diesen Umständen war es mir nicht möglich, mich nennenswert zu öffnen und den mir fremden Leuten höchstpersönliche Dinge zu erzählen.

Immerhin zweimal war ich am Freitag in einer Wochenabschlussrunde mit dabei, bevor ich es als für mich nicht hilfreich verwarf. Dort vernahm ich mit Erstaunen, dass für viele Mitpatienten die Kleingruppe und Musik und Bewegung ein Highlight der Woche gewesen waren. Für mich waren diese Angebote einfach nur stressig.

Die sogenannte Kleingruppe, in der es kein vorgegebenes Thema gab, sondern sich die Patienten jedes Mal ein eigenes zu besprechendes Thema einigen mussten, war mit mindestens sechs Personen für meine Bedürfnisse und die limitierte Zeit für eine tiefergehende Bearbeitung eines Themas schlicht zu groß. Es gab zwar einen moderierenden Therapeuten, der achtete jedoch nur am Anfang und Ende jeder Stunde darauf, dass reihum jeder zu Wort kam. Zu ihren Problemen, die die Mitpatienten in der Gruppe besprachen, konnte ich selten substanziell etwas beitragen, denn deren Lebensrealität unterschied sich zum Teil diametral von der meinen oder die in meinen Augen logische Lösung fand keinen Anklang. Erst am letzten Tag meines Aufenthaltes brachte ich mich mit einer eigenen, in der Reha akut aufgetauchten Problemlage ein. Dabei meldeten mir die Mitpatienten dieser Gruppenzusammensetzung – von einem immerhin war ich zweifelsfrei sicher, dass ich bereits in mehreren Gruppen mit ihm gemeinsam gewesen war – zu meinem Erstaunen zurück, dass keiner gewusst habe, dass ich Autistin sei. Sogar der mir bekannte Mitpatient meinte, ich hätte das viel früher mitteilen sollen, dann hätte man mein Verhalten viel besser verstanden. Ich war davon ausgegangen, dass sowohl die Therapeuten als auch die Mitpatienten wussten, dass ich Autistin bin, ich hatte von Anfang an kein Geheimnis daraus gemacht und mich meiner Erinnerung nach in annähernd jeder Gruppensituation einmal auf das Thema Autismus referenziert. Ich hätte mir wohl ein Schild umhängen müssen, denn einmal kommuniziert ist in der Welt von Nichtautisten offenbar keinmal kommuniziert.

Musik und Bewegung hieß, in einem viel zu kleinen Raum mit viel zu vielen Leuten entweder im Kreis herumzustehen oder zu gehen und dabei irgendwelche Dinge zu tun, bei denen die meisten lachten, ich aber zu beschäftigt damit war, mich zu konzentrieren, um die geforderten Dinge auch nur annähernd hinzubekommen und dabei möglichst nicht in Berührung mit den Mitpatienten zu kommen. Musik wurde nur einmal gemacht, jeder durfte sich ein Kleininstrument, wie z. B. Triangel oder Ratsche aussuchen und dann sollte man darauf herumratschen, klopfen, plingen, rasseln, tschingen. Das Ergebnis war ziemlich laut, hatte jedoch mit dem, was ich unter Musik verstehe, eher nichts zu tun.

Es gab in meinem „optimal an die individuellen Bedürfnisse“ (Quelle: Infoflyer der Klinik) angepassten Therapieprogramm noch soziales Kompetenztraining, was bedeutete, mit schon wieder neuen Mitpatienten in einer Gruppe zusammen Arbeitsblätter zu bearbeiten und anhand kurzer Textszenen einzuschätzen, ob ein Verhalten unsicher, sicher oder aggressiv war. Sonderlich sozial kompetenter hat mich das nicht gemacht, aber das hatte ich auch nicht erwartet.

Die angepriesene hohe Therapiedichte war bei mir ja wegen meiner begrenzten Energieressourcen auf meinen eigenen Wunsch nicht gegeben. Ich hatte mich schon drei Wochen durch das Programm gekämpft. Ich war im Verlauf jeder Woche und von Woche zu Woche zunehmend frühzeitiger nach Hause gegangen. An einem besonders energieintensiven Donnerstag schlief ich beim vor der Türe auf den Beginn von PMR wartend ein. Meine Bezugstherapeutin hatte direkt gegenüber ihr Zimmer und bekam meine Erschöpfung deshalb diese eine Mal tatsächlich life zu sehen. Bis dahin hatte ich bereits vielfach mitgeteilt, dass ich zunehmend erschöpft sei. Ich war zwischen den Angeboten möglichst in den Ruheraum gegangen, um mich schlafend so weit zu erholen, dass ich weiter durchhalten konnte oder ich war gleich nach Hause gefahren. Ich konnte mich kaum darauf konzentrieren, was sie zu mir sagte und musste erst im Ruheraum eine Stunde tief und fest schlafen, bevor ich imstande war, nach Hause zu fahren. Weil mein Gehirn aber so arbeitet, dass ich Gespräche innerlich aufzeichne, fiel mir beim über die Situation Nachdenken auf, dass meine Therapeutin mich gefragt hatte, ob ich an diesem Donnerstag bereits an einem Therapieprogrammpunkt teilgenommen gehabt hätte. Sie hatte mich auch gebeten, am nächsten Morgen in die Visite zu gehen. Also fragte ich den Chefarzt, was für die Reha-Klinik besser sei: früher gehen oder den ganzen Tag krankgeschrieben sein. Er bestätigte mir meine Vermutung, dass die problemlose Variante das früher gehen sei. Wir vereinbarten, dass ich zukünftig an wenigstens einem Angebot täglich teilnehmen sollte und mir dazu jeden Tag etwas aus meinen Wochenplan aussuchen dürfte. Dies nutzte ich nur am Tag des auf 15 Uhr terminierten Abschlussgespräches aus, an den anderen Tagen nahm ich an mindestens zwei Therapieprogrammen teil. Den Rest der fünf Wochen konnte ich dank dieses Entgegenkommens eines aufs absolut notwendige Minimum reduzierten Therapieprogramms noch an der Reha teilnehmen, andernfalls hätte ich vorzeitig abbrechen müssen.

Ich halte, angesichts mangelnder Alternativen, diese Reha-Klinik für eine passable Wahl, um als Autistin in eine psychosomatische Reha zu gehen. Die Therapeuten, mit denen ich es zu tun hatte, haben zwar meines Erachtens nach kaum Ahnung von Autismus, sie sind aber sehr zugewandt und bemüht.

Mittagessen gab es in einer Fleisch- und einer vegetarischen Variante, wobei auf Allergien usw. leider keine Rücksicht genommen werden kann, denn das Essen wird angeliefert. Es gab am zweiten Tag eine Ernährungsberatung, in dieser konnte ich dann vereinbaren, dass ich am täglichen Mittagessen nicht teilnehmen kann bzw. muss und mir stattdessen eine Pauschale von 5,00 € pro Tag erstattet wird. Essen sollte ich mir von zu Hause mitbringen. Die Lösung des Problems, wo ich esse, wurde mir überlassen. Am ersten Tag hatte ich versucht, im Durchgangsbereich zu essen. Im Speiseraum, der eigentlich kein abgeschlossener Raum war, sondern ein Bereich neben der Rezeption, der durch eine Zwischenwand vom Kommen und Gehen der Patienten abgetrennt wurde, war es mir zu voll, zu laut und zu dunkel, denn es gab zwar Fenster, allerdings mit Aussicht auf hohes Gebüsch und außerdem wurde in diesem Bereich praktisch immer das Licht angeschaltet. Da mir der Seminarraum, der als Alternative angeboten wurde, zu voll war, wich ich ins Freie aus und suchte mir einen Platz hinter dem Gebäude auf einer Feuertreppe. Zum Glück regnete es die meisten Tage nicht, in einer anderen Jahreszeit ist das aber sicher keine Lösung.

Die Zusage, dass ich bei Bedarf meine Kopfhörer tragen darf, wurde nie autoritativ oder mittels demokratischer Gruppenentscheidung unterlaufen. Im Gegenteil, manche Therapeuten wiesen mich extra drauf hin, ich möge doch meine Kopfhörer aufsetzen, weil es laut sei. Zum Zeitpunkt meines Aufenthaltes wurde nämlich rund um das Gebäude gebaut. Auch die Zusage, dass ich nur je nach Energielevel an Therapieangeboten teilnehmen muss und es nicht sanktioniert wird, wenn ich aus Therapien einfach rausgehe, wurde eingehalten. Ich konnte täglich in die Chefarzt-Visite gehen, mitteilen, dass mir bestimmte Therapieangebote nichts bringen und sie wurden umgehend gestrichen oder durch andere Angebote ersetzt.

Leider gab es dabei Einschränkungen seitens des Kostenträgers, denn da ich in einer psychosomatischen Reha war, war es dem Chefarzt nicht möglich, mir öfter als zweimal pro Woche orthopädische Therapien anzubieten. Denn das, was ich gerne öfter im Wochenplan gehabt hätte, war der Hydro Jet. Dabei legte man sich alleine im Physiobereich in einer Kabine, am besten in Sportkleidung auf ein warmes Wasser“bett“ und konnte sich 20 Minuten lang von Wasserstrahlen durchmassieren lassen. Das jeweilige Programm und die Intensität (ich wählte immer 100%) konnte ich selbst auf einem Display anklicken. Hinterher war ich stets tiefenentspannt. Auf die Nachfrage meiner Psychotherapeutin und der behandelnden Ärztin, was mir am meisten in dieser Reha geholfen hatte, habe ich also geantwortet mit: Der Hydro Jet.

Bildquelle: Peggy_Marco (29.11.2012) URL https://pixabay.com/de/illustrations/psychologe-therapie-probleme-krank-1015488/


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Die Qual der Wahl? – Wunsch- und Wahlrecht bei Rehabilitationseinrichtungen

Autismus ist eine angeborene neurologisch bedingte Entwicklungsstörung und deswegen nicht therapierbar. Komorbide Erkrankungen, wie Depressionen und Angststörungen, sind an sich schon therapierbar. Eine häufig genutzte Möglichkeit, eine Depression zu behandeln, besteht darin, für ein paar Wochen in eine Klinik zu gehen. Man kann einen Antrag auf medizinische Rehabilitation bei seinem Kostenträger stellen und diesem im Rahmen des Wunsch- und Wahlrechts (§8 SGB IX) gleich eine Rehabilitationseinrichtung seiner Wahl vorschlagen.

Ich hatte das nicht vorab getan. Mein Kostenträger schickte mir also einen Bewilligungsbescheid über eine fünfwöchige stationäre Reha in einer größeren bayerischen Klinik. Das mit dem Werkstatt Termin vereinbaren hatte also jemand anderes für mich übernommen. Die Frage war jetzt nur, ob die Vertragswerkstatt für mich passen würde. Nach meinem Dafürhalten sollte es bei dem geplanten Reha-Aufenthalt ja wohl hoffentlich darum gehen, mir dabei zu helfen, gesünder zu werden. Die mir vorgeschlagenen Klinik war meines Dafürhaltens nicht dafür geeignet. Dies nahm ich begründet an, denn eine befreundete Autistin, die mich gut kennt, war letztes Jahr dort und hat mir dringend davon abgeraten, in ebendiese Reha-Klinik zu gehen.

Meiner Erfahrung nach wird es schwierig, wenn man komorbide Erkrankungen versucht zu therapieren, ohne den Autismus im Blick zu behalten. Deshalb hatte ich Erkundigungen eingezogen, welche Reha-Kliniken es überhaupt gibt, die eine medizinische Rehabilitation für meine spezifische Erkrankungssituation anbieten und einen Vertrag mit meinem Kostenträger haben. Nach meiner Recherche war deutschlandweit keine wirklich auf erwachsene Autisten spezialisierte Klinik für psychosomatische Rehabilitation mit dabei.

Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass Autisten im Erwachsenenalter seltener als andere Erwachsene eine psychosomatische Reha benötigen und bei immerhin mindestens 1% Autismus-Prävalenz müsste es doch eigentlich auch genügend erwachsene Autisten geben, die schon einmal vor derselben Situation standen. Vermutlich gibt es diese ja auch, nur existieren offenbar kaum öffentlich einsehbare Berichte von Autisten, die ihre Erfahrungen mitteilen.

Eine Liste mit Kliniken, die Reha und Kuren für Autisten anbieten, gibt es zwar, die meisten dieser Einrichtungen haben sich jedoch auf Kinder- und Jugendliche und/oder Mütter-Kind-Kuren spezialisiert, kommen also für eine psychosomatische Reha für mich nicht in Frage. Mir hätten Erfahrungsberichte anderer Autisten geholfen. Also habe ich herumgefragt.

In diesem Blogbeitrag schildert eine Autistin ihr Erleben in einer Reha-Klinik. Hierin wird auch auf einen Artikel der Klinik selbst verlinkt, in der der Frage nachgegangen wird, ob eine psychosomatische Reha für Autisten sinnvoll ist. Die Klinik kommt zu dem Schluss: Ja, eine solche Reha kann sinnvoll sein. Sofern der Autist gruppenfähig ist.

Aus meiner bisherigen Erfahrung heraus möchte ich ergänzen: Ganz so einfach ist es nicht. Es gibt auch bei gruppenfähigen Autisten noch andere Soferns. Sofern innerhalb des Kliniksettings Ausnahmen für den Autisten gemacht werden können. Sofern nicht angezweifelt wird, was der Autist rückmeldet. Sofern den Mitpatienten erklärt wird, dass Rücksichtnahme auf Wahrnehmungsbesonderheiten für den Autisten ein must-have sind, um überhaupt teilnehmen zu können und kein nice-to-have, weil der Autist sich das einbildet. Sofern Mitpatienten eine notwendige Rücksichtnahme nicht als Bevorzugung interpretieren und nicht dagegen opponieren. Sofern Therapeuten ein Eingehen auf die autistischen Bedürfnisse nicht von der demokratischen Entscheidung der Gruppe abhängig machen. Sofern eine vorab zugesicherte Rücksichtnahme sich in der Klinikrealität nicht plötzlich in Luft auflöst.

Ich habe mich nach gründlicher Recherche schließlich für eine ambulante Reha-Klinik entschieden, weil sie mir ermöglicht, meine Routinen und gewohnten Abläufe größtmöglich beizubehalten. Ich habe nachträglich von meinem Wunsch- und Wahlrecht Gebrauch gemacht, dem seitens des Kostenträgers mit einem neuen Bescheid stattgegeben wurde. Damit es zumindest einen Bericht mehr von Autisten über ihre Erfahrungen in Reha-Kliniken gibt, werde ich selbstverständlich berichten.

Bildquelle: Kingrise (26.02.2018). URL https://pixabay.com/de/illustrations/wahl-pfeil-fragezeichen-weg-3183317/


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Autismus und Teilhabe – BehördenirrSinn?

Ich ging eigentlich davon aus, dass die DRV mir tatsächlich behilflich sein wollen würde. Denn sie hat mir eine medizinische Reha bewilligt, die zum Ziel hat, Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden oder zu beseitigen, zumindest aber diese zu mindern, auszugleichen oder eine Verschlimmerung zu verhüten. Dadurch solle meine Erwerbsfähigkeit erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden. Es läge also in meinem Interesse an der Rehabilitation auch aktiv mitzuwirken. Alles klar. Klar liegt das in meinem Interesse, insbesondere liegt es ja seit 2017 in meinem vordringlichen Interesse, am Arbeitsleben teilzuhaben.

Dabei möchte ich sehr gerne aktiv mitwirken. Vorgestern rief die für mich zuständige Reha-Beraterin an und sagte meinem Mann, man wolle erst einmal das Ergebnis der medizinischen Reha abwarten, bevor man weiter darüber entscheiden könne, wie es mit meiner Teilhabe am Arbeitsleben weitergehen würde. Okay, das klingt nach einem soweit ganz guten Plan. Im Bescheid der DRV zur medizinischen Reha steht: Wenn die medizinische Reha nicht innerhalb von 6 Monaten angetreten wird, würde der Bescheid seine Gültigkeit verliert.

Heute liegt ein Brief der Reha-Klinik, die die DRV für mich ausgesucht hat, im Briefkasten. Diese Reha-Klinik freut sich, dass mir eine Rehabilitationsmaßnahme bei ihnen genehmigt worden ist. Aufgrund der ihnen bereits vorliegenden Genehmigung können sie mir mitteilen, dass meine Maßnahme voraussichtlich in der Woche ab dem 06.12.2021 (+/- 1 Woche) zur Durchführung kommt. Die Heilbehandlung könne aus Sicht des Kostenträgers nur aus besonders wichtigen Gründen verschoben werden.

Aha.

Fast vernachlässigbar ist da, dass mir die Klinik einen zweitägigen Weihnachtsurlaub gewähren kann, falls ich Weihnachten zu Hause verbringen wollen würde.

Die Reha-Abteilung sagt, ich müsse mich um meine Gesundheit kümmern, bevor entschieden werden kann, wie bzw. ob es in Sachen Teilhabe am Arbeitsleben weitergehen soll. Die Reha-Abteilung kümmert sich selbstverständlich darum, dass ich in eine passende Reha-Einrichtung geschickt werde. Diese Reha-Einrichtung erhält von der DRV dann mitgeteilt, dass ich dorthin gehen soll. Die Reha-Abteilung in der DRV hat aber augenscheinlich keine Ahnung, dass die Wartezeit in der von ihr bestimmten bayerischen Reha-Klinik länger ist, als die Gültigkeitsdauer ihres Bescheides.

Wie bitteschön wollen sie so gewährleisten, dass meine komorbiden Erkrankungen abgewendet, beseitigt, gemindert oder eine Verschlimmerung verhütet wird? Den Autismus können sie ja wohl hoffentlich nicht meinen, abgewendet oder beseitigt wird der nicht werden. Ich vermute, sie meinen also die Depression und/oder Angststörung. Die Idee, auf eine Minderung zu hoffen bzw. eine Verschlimmerung zu verhüten, indem man mir eine Reha in mehr als acht Monaten anbietet, die man sechs Monate lang bewilligt hat und mich bis nach dem Ende einer medizinischen Reha vertrösten möchte, bevor man sich weiter mit meinem Fall befasst, lässt mich mehr als nur irritiert zurück.

Ich versuche ja wirklich, den Sinn des Vorgehens zu verstehen. Was erhofft sich die Reha-Abteilung eigentlich? Dass sie es aussitzen können? Dass sich das Teilhabe-Problem von allein erledigt, weil ich mich derweilen umbringe? Die Chancen sind bei einem depressiven Menschen angesichts von Perspektivlosigkeit gegeben. Das sollte eigentlich auch jedem Sachbearbeiter in einer Reha-Abteilung klar sein. Dass die Suizidrate bei Autisten nochmal um einiges erhöht ist (wen es interessiert, Links zu Studien hier, hier und hier), geschenkt – ich erwarte gar nicht, dass meine Reha-Beraterin das weiß. Ich erwarte gar nichts Positives mehr aus dieser Ecke.

Vielleicht ist der Sinn hinter dem Vorgehen ja, dass ich begreife: Menschen wie ich erhalten schlicht keine Unterstützung von der DRV? Ich verbuche diesen behördlichen IrrSinn jetzt einfach mal als: Da hat meine „Superkraft“, ein Fehlermagnet zu sein, mal wieder zugeschlagen. Sinn habe ich auch gefunden: Nichts ist unnütz, es kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen. Ich zeige am praktischen Beispiel auf, was im Unterstützungssystem so alles schief gehen kann. Bin gespannt, was als nächstes kommt. Ich werde berichten.

Bildquelle: vcnestasozinhx (02.09.2018). URL https://pixabay.com/de/illustrations/selbstmord-vorbeugung-september-gelb-3645249/


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Autismus und komorbide Erkrankungen

Rezidivierende Depressionen

Ich habe wieder einmal eine Depression, was jetzt nichts bahnbrechend Neues ist und mich auch nicht überrascht. Ich habe genügend Wissen zu dieser Erkrankung, um die Symptome zu erkennen und auch, um zu wissen, dass es eine reaktive Depression ist. Ich also auf krankmachende Umstände reagiert habe. Wenn diese Umstände nicht gewesen wären, dann wäre ich vermutlich auch nicht wieder depressiv geworden. Ich habe versucht, gegenzusteuern und all die Dinge getan, die ich bereits gelernt habe, wie Achtsamkeitsübungen, Entspannungstechniken, Schlafhygiene, Dinge tun, die mir guttun.

Soweit es mir eben möglich war neben den administrativen und organisatorischen Dingen, die notwendig waren, um das Schlimmste abzuwenden, nämlich komplett ohne Geld dazustehen. Ich habe seit Anfang des Jahres gefühlt hunderte Seiten Anträge ausgefüllt, Widersprüche geschrieben, mit immer wieder denselben Unterlagen vollgestopfte Briefumschläge unzählige Male rechtssicher verschickt bzw. erstmal bei der einen Behörde oder Institution angefordert und zur anderen Behörde oder Institution weitergeleitet. Es ist schon ohne die Einschränkungen einer Depression anstrengend und auch demotivierend, wenn man an dieselben Institutionen mehrfach dieselben Anlagen und Anträge schicken muss. Ich frage mich, in wievielfacher Ausfertigung die das wirklich brauchen – im digitalen Zeitalter ist es zudem unverständlich, weshalb bei der DRV alles in analoger Papierform angefordert wird, nur damit deren Scanzentrum die Papierstapel dann einscannt und digital an passende und oft auch unpassende Abteilungen weiterleitet. Wenn man eine Depression hat, ist das sich um Orgakram kümmern und Anträge stellen ein ganz schöner Kraftakt.

Was paradox erscheint, ist, dass mein Autismus zwar die Grundlage ist, weswegen ich immer wieder an Umständen verzweifle und depressiv werde, mir mein Autismus aber gleichzeitig dabei hilft, mit der Erkrankung zurechtzukommen. Ich weiß, dass mein Umgang mit meinen Depressionen auf keinen Fall verallgemeinerbar ist. Ich würde die Not anderer Menschen, die an dieser tückischen Erkrankung leiden, bagatellisieren, wenn ich davon ausgehen würde, dass jeder andere fähig ist, genauso damit umzugehen, wie ich. Warum ist mein Autismus hilfreich? Unter anderem, weil ich extrem viel Zeit darauf verwendet habe, möglichst umfassend Wissen zur Erkrankung zu sammeln und mir dieses Wissen dabei hilft, zu verstehen, was mit mir passiert. Ich habe mittlerweile einen recht hohen Stapel an Fachbüchern, -artikeln und Studien zu Depressionen gelesen und mit meiner eigenen Erfahrung abgeglichen. Wissen hilft. Nicht umsonst ist ein Baustein in der Behandlung von Depressionen die Psychoedukation.

Was in den depressiven Zuständen immer mitschwingt, ist eine Grundtraurigkeit und der Drang, mir eine Decke über den Kopf zu ziehen bzw. einfach nicht mehr aufzustehen, weil mir alles überwältigend sinnlos erscheint. Wegen meines autistischen Bedürfnisses nach meinen Routinen schleppe ich mich morgens zwar nur mit Mühe aus dem Bett, aber ich bleibe eben nicht depressiv im Bett liegen. Nach der allmorgendlichen Cappuccino-Zeitungs-Routine, die der Grund ist, weshalb ich zuverlässig aufstehe, verfalle ich danach aber trotzdem in eine Art Lähmung. Im Fachsprech nennt sich das Antriebslosigkeit.

Zu einem Antrieb gehören bestimmte Komponenten, wenn man es technisch betrachtet. Das Wichtigste ist natürlich der Motor, der Leistung generiert. Es ist aber nicht so, dass mein Motor kaputt wäre. Im Gegenteil. Ich habe eher den Eindruck, dass mein Motor funktioniert, ich bin innerlich angespannt und unruhig, vibriere quasi mit dem Fuß auf dem Gaspedal vor mich hin, nur dringt nichts davon nach außen. Es ist, als würde ich mit angezogener Handbremse dastehen oder besser: als hätte ich vergessen, wie man die Kupplung tritt und könne keinen Gang einlegen. Dabei würde ich nur zu gerne die Leistung, die mein innerer Motor im Leerlauf vergeudet, sinnbringend in z.B. Bewegung umsetzen. Aber ich komme im übertragenen Sinn und buchstäblich nicht in die Gänge, ich bewege mich nicht vorwärts. Nur seitwärts, denn des Nächtens, wenn ich wieder stundenlang wachliege, werfe ich mich ruhelos hin und her. Immerhin, Bewegung soll ja bekanntlich bei Depressionen helfen.

Wenn ich es schaffe, die Antriebslosigkeit zu überwinden, und einen Gang einzulegen, dann scheitert es nach ein paar Metern an der Kraftübertragung. Es knirscht nicht nur, was ich Alterserscheinungen zuschreiben könnte, nein, es hakt im Getriebe und frisst sich fest bis hin zum Getriebeschaden. Jetzt könnte man auf den Gedanken kommen, sich zu fragen, weshalb ich mich nicht in eine Werkstatt (=Klinik) begebe und den Schaden reparieren lasse. Tja. Dazu müsste ich erstmal eine passende Werkstatt finden. Und einen Termin ausmachen. Gar nicht so einfach während einer Depression. Da dauert das noch länger als in undepressivem Zustand.

Außerdem frage ich mich, ob sich das Reparieren überhaupt lohnt. Ich hatte in den vergangenen fünf Jahren immer wieder depressive Episoden und ich würde sagen, dass ich mich immer weniger gut von diesen Einbrüchen erholt habe. Das schreibe ich nicht, um Mitleid zu heischen oder um [hier irgendein (phantasievolles) Motiv einsetzen], es ist eine nicht zu leugnende Tatsache. Meiner Meinung nach waren meine Depressionen stets reaktive Depressionen. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die Umwelt in absehbarer Zeit wirklich autistenfreundlicher gestalten wird. Also lauert auch nach einem Werkstattbesuch mit Getriebewechsel, der nicht kostenlos sein wird, die nächste Depression nur um die Ecke. Ich ziehe selbstverständlich in Erwägung, dass dies depressive Gedanken sind, die aus meiner Antriebslosigkeit resultieren.

Nicht kostenlos meint, dass meine Versuche, etwas gegen solche depressive Episoden zu tun, stets mit Kosten im übertragenen Sinn verbunden waren. Die Einnahme von Antidepressiva hatte massive Nebenwirkungen zur Folge. Der Aufenthalt in einer Klinik war exorbitant energiefressend. Eine gründliche Kosten-Nutzen-Analyse ist meiner Ansicht nach für mich unabdingbar, bevor ich mich in die Gänge setze, um etwas gegen meine gegenwärtige Depression zu unternehmen. Wobei mein Zögerlichkeit bzw. Schwierigkeit, eine Entscheidung für oder gegen eine Behandlung zu treffen, auch wieder nur ein Symptom der Erkrankung selbst sein könnte.

Eine Lösung wäre, meine rezidivierenden Depressionen pragmatisch als eine wiederkehrende Erkrankung anzusehen, mit der ich leben muss und jede Episode auszusitzen. Irgendwann ging noch jede dieser depressiven Episoden zu Ende. Doof für mein Bedürfnis nach Planbarkeit ist nur, dass ich nie wusste, wann irgendwann war.

Mein depressives Gehirn mit einer großen Portion Skepsis aus der Metaperspektive zu betrachten und wachsam zu bleiben, ist eine meiner Methoden, mit der Erkrankung umzugehen. Was mir noch hilft, ist eine ebenso große Portion Humor und Akzeptanz. Es ist halt so, dass mir derzeit wieder einmal alles in schneckösem Depressionstempo von der Hand geht. Manche müssen eine solche Entschleunigung ihres Lebens in sündteuren Seminaren mühsam lernen, ich bekomme das gratis hin.

Bildquelle: Peggy_Marco (03.11.2015) URL https://pixabay.com/de/illustrations/regen-traurig-trauer-1013940/ in Kombination mit rauschenberger (10.03.2018) URL https://pixabay.com/de/illustrations/kontur-tier-schnecke-shell-langsam-3212894/


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Tagklinik – endlich mehr Energie

In den mittlerweile zwei Wochen mit einem auf meine Bedürfnisse adaptierten Stundenplan in der Tagklinik habe ich dank der Sonderregelungen jetzt mehr Regenerationszeit. Weil die für mich chaotischen Situationen aus dem Stundenplan gestrichen wurden, hat sich mein Angst- und damit mein Stressbelastungslevel verringert. Und siehe da: Ich habe mehr Energie.

Und zwar endlich auch ausreichend Energie für mehr soziale Interaktionen mit Mitpatienten. Ich unterhielt mich zum erstenmal intensiver mit zwei Mitgruppenmitgliedern und hatte in der Ergotherapie sogar das für mich seltene Erlebnis, mich einmal als echter Teil einer Gruppe fühlen können zu dürfen. Die beiden Mitpatienten suchen seither von sich aus den Kontakt zu mir und wir führten sogar interessante Gespräche zu dritt. In dieser Kleingruppe werde ich tatsächlich so akzeptiert, wie ich bin und fühle mich wohl. Durch das bessere Eingebundensein und den engeren Kontakt zu diesen zwei Mitpatienten sehe ich aber auch, wie einsam ich eigentlich bin. Diese Einsamkeit ist im Unterschied zum regelmäßigen Alleinsein, das ich brauche und aktiv herbeiführe, um mich zu regenerieren, nicht selbst gewählt.

Ich hatte in Studien davon gelesen, dass fehlende Sozialkontakte depressionsfördernd sind. Dank der Morgenrunde, bei der jeder Patient erzählt, was er am Vortag nach der Tagklinik noch alles gemacht hat, wird mir jeden Tag aufs Neue vor Augen geführt, wie wenig Kontakte ich eigentlich habe. Wenn die Mitgruppenmitglieder berichten, dass sie sich nach der Tagklinik noch mit Freunden treffen, auf Feiern gehen, mit anderen Sport treiben, Veranstaltungen besuchen, bin ich erstaunt, wie viel Energie sie offenbar noch haben und wie viele Sozialkontakte. Im Unterschied dazu ist mein soziales Umfeld bis auf meine Familienmitglieder nahezu leer. Seitdem die Kinder erwachsen sind, haben sich die Familientreffen stark reduziert. Und seit ich nicht mehr in die Arbeit gehe, fallen auch die Kontakte zu den Arbeitskollegen weg. Ich habe leider oft nicht die Energie, ins Fitnessstudio zu fahren oder gar auf Veranstaltungen zu gehen. Seit ich im Studium pausiere, habe ich auch keine regelmäßigen Online-Kontakte zu Kommilitonen. Für mich ist es außerdem sehr schwierig, überhaupt neue Kontakte zu knüpfen, ganz zu schweigen davon, dass ich sie nach erfolgreichem Knüpfen pflegen könnte. Allerdings hat mein nahezu leeres soziales Umfeld neben einer depressionsfördernden Wirkung auch etwas Positives: In Ermangelung an Sozialkontakten stolpere ich normalerweise nicht so häufig über meine sozialen Defizite.

Durch meinen Tagklinikaufenthalt habe ich derzeit nun so viele Sozialkontakte, wie schon seit langem nicht mehr. Dadurch werde ich zwar nahezu täglich mit meinen sozialen Schwieirigkeiten konfrontiert, aber ich versuche, das als hochfrequentes Sozialkompetenztraining zu betrachten. Dass ich im Tagkliniksetting häufiger in Konfliktsituationen komme oder es öfter Missverständnissen gibt, ist logisch. Wenn nicht verstanden wird, dass ich Sonderregelungen benötige, um mich vor Reizüberlastung zu schützen und ich viel lieber auf diese Sonderregelungen verzichten können würde, spare ich es mir, um Verständnis zu kämpfen und ich spare es mir auch, mich über Unverständnis zu ärgern. Ich nehme es zur Kenntnis und akzeptiere, dass manche Leute scheinbar den Unterschied zwischen ihren und meinen Bedürfnissen nicht verstehen oder auch nicht tolerieren können, dass ich überhaupt Sonderregelungen brauche. Ich bemühe mich, bei Konflikten und Missverständnissen nicht frustriert aufzugeben oder mich wegen der wiederholten Erfahrung des Scheiterns im Kontakt mit anderen zurückzuziehen, um diese Erfahrungen zu vermeiden. Ich nehme das wiederholte Scheitern hin, versuche herauszufinden, woran genau es in jedem einzelnen Fall lag, dass es zu Schwierigkeiten kam und versuche, nicht darunter zu leiden, dass es diese Schwierigkeiten gab und auch in Zukunft geben wird. Das ist nicht immer einfach und gelingt mir auch nicht durchgängig, aber je mehr Energie ich habe, desto besser komme ich klar.

Im positiv gefärbten Psychojargon heißt diese Haltung „Radikale Akzeptanz“. Ich kann es nicht ändern, dass ich Autistin bin und mir deshalb in sozialen Interaktionen schwertue. Ich kann es nicht ändern, dass mich zu viele Reize überlasten. Ich kann es nicht ändern, dass ich wenig Energie habe, die ich sorgfältig einteilen muss, um über den Tag oder gar die Woche zu kommen. Das ist nicht toll für meine Umwelt, es ist bedauerlich für mich, aber es ist einfach so. Es wird auch so bleiben. Was ich ändern kann, ist: Die Menge der Reize, denen ich ausgesetzt bin zu verringern, indem ich beispielsweise auch in Innenräumen eine Sonnenbrille trage oder meine Kopfhörer aufsetze. Ich kann Energie sparen, indem ich die zu vielen Belastungen nicht versuche auszuhalten und auf diese Weise im Grunde gegen mich selbst kämpfe. Lieber verwende ich meine Energie darauf, dafür zu kämpfen, die Belastungen zu reduzieren und dafür, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass sie zu meinen Bedürfnissen passen. Radikale Akzeptanz heißt nämlich keineswegs, dass man aufgibt und die Dinge kampflos akzeptiert. Es sollten nur die richtigen Dinge sein, gegen die man ankämpft.

Denn der Tagklinikaufenthalt kann mir nämlich tatsächlich bei meinem Kampf gegen die Depression helfen – wenn ich meine Grenzen, die mir mein Autismus vorgibt, akzeptiere. Und dafür Sorge trage, dass mir genügend Energie übrig bleibt, um zu lernen, was ich alles gegen die Depression unternehmen kann.


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Hat man es verdient zu leben?

In Zusammenhang mit Depressionen ist mir öfter die Frage begegnet, ob man es verdient hat zu leben. Ich finde ja, dass es eine unlogische Fragestellung ist, Leben muss man sich nicht verdienen, man wird völlig verdienstfrei einfach so geboren, ohne darum gebeten zu haben und ohne etwas dafür getan zu haben. Wenn überhaupt hat die eine Samenzelle des biologischen Vaters, die das Rennen gewonnen hat, es verdient, ihre halbe Ladung an Genen weiterzuvererben. Das ist aber schon der einzige Verdienst, den ich mit Leben in Zusammenhang bringen kann.

Manche Menschen meinen, man bekomme das Leben geschenkt. Andere wiederum behaupten, man werde sozusagen als Strafe (wieder)geboren, weil man im vergangenen Leben zu viele Fehler gemacht hat und die Chance erhält, es das nächstemal besser zu machen. Die Fraktion, die das Leben als Geschenk sieht, geht in der Regel davon aus, dass man sein Leben – weil von [hier beliebige Gottheit einsetzen] gegeben – weder vergeuden noch wegwerfen (im Sinne von Suizid) darf, also nicht frei über dieses Geschenk zu verfügen hat, sondern etwas daraus machen soll. Wobei die Definition „etwas aus seinem Leben gemacht zu haben“ in unserem Kulturkreis bedeutet, möglichst beruflich erfolgreich zu sein, viel Geld anzuhäufen und anerkannte kulturelle Werte zu leben, also Besitz zu erwerben, im besten Fall irgend ein Projekt caritativ mittels Spenden oder einer Stiftung zu unterstützen, ein skandalfreies Familienleben zu haben. Obwohl ein wenig Skandal erwünscht ist, ansonsten erscheint man nicht in den Medien, was wichtig ist, denn Erfolg ohne Publikum ist nicht sichtbar und damit in unserer Gesellschaft weniger wert.

Hängt man der Fraktion an, die von der Wiedergeburt ausgeht, hat man in Sachen freie Verfügbarkeit über das Leben sowieso Pech gehabt. Wenn die Chance, nach einem Suizid endgültig Ruhe vom Leben zu haben, nahe Null geht, dann kann man das derzeitige Leben auch getrost weiterführen. Denn schlimmer geht immer. Also lieber im bekannten und schon deshalb gemütlichen Elend verbleiben, als sich dem Risiko auszusetzen, eventuell in einer vollkommen fremden Lebenswirklichkeit, beispielsweise als Insekt versuchen zu müssen, es besser hinzubekommen.

Meiner Ansicht nach geht es um all diese Dinge gar nicht. Wenn man sich die Sachlage aus dem Blickwinkel der Tierwelt ansieht, dann geht es nur darum, möglichst so lange zu überleben, dass die eigenen oder zumindest überhaupt die Gene der eigenen Art an die nächste Generation weitergegeben werden. Insofern könnte man also, wenn man Nachwuchs geboren oder gezeugt und dafür Sorge getragen hat, dass dieser soweit überlebt hat, um sich selbst fortzupflanzen, seinem Leben ein Ende setzen.

Heutzutage jedoch begeht jeder, der sich selbst tötet, in den Augen der meisten Mitmenschen ein Unrecht, wenn er sich entscheidet zu sterben. Ob das dann vorzeitig ist, bleibt eine offene Frage. Für einen selbst wohl eher nicht, für die Verbliebenen sehr wahrscheinlich schon. Laut Todesanzeigen stirbt jeder, sogar Menschen im Rentenalter scheinbar plötzlich und unerwartet, viel zu früh oder nach schwerer Krankheit. Wenn man sein Leben also nicht durch Zufall / Schicksal in Form einer Erkrankung verliert oder einem Verbrechen oder Unfall zum Opfer fällt, dann muss man hierzulande nicht sonderlich viel tun, um sehr lange zu überleben. Mit eigenem Verdienst hat das wieder eher nichts zu tun, eine gesunde Lebensführung ist offenbar auch kein Garant für ein langes, gesundes Leben. Immer wieder sterben beispielsweise Menschen, die nie geraucht haben jung an Lungenkrebs.

Der Gedanke, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen wird zunehmend aktueller, je weniger freie Ressourcen es gibt und je mehr Individuen sie sich teilen müssen. Heutzutage gibt es neben Artgenossen keine „natürlichen“ Feinde mehr, die dafür sorgen, dass die Art Mensch nicht Überhand nimmt, dafür hat unsere Art selbst gesorgt. Der Nachteil ist, dass immer mehr Menschen diesen Planeten bewohnen und diese dank der medizinischen Versorgung auch zunehmend älter werden, was gesamtgesellschaftlich zu nicht unerheblichen Problemen führt. Betriebswirtschaftlich und aus ökologischen Gründen wäre es besser, eine Obergrenze festzusetzen, wie lange man am Leben bleiben darf und unter welchen Umständen man besser sterben sollte. Nur bei einem solchen Szenario würde sich die Frage überhaupt stellen, ob man es verdient hat zu leben.

Leben und Verdienst stehen zumindest Stand heute meiner Meinung nach also in keinem Zusammenhang, selbst Überleben nicht. Leben ist verdienstfrei einfach da, so lange es währt. Und wann es vorbei ist, hat man nur insofern in der Hand, als man je nach Glauben entscheiden kann, es selbst zu beenden oder abzuwarten, bis das jemand oder etwas anderes, beispielsweise der Zufall oder das Schicksal oder einfach die Zeit erledigt.


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Tagklinik – vielleicht doch (k)ein Weg aus der Depression bei Autismus?

Die Tagklinik hilft mir im Moment zwar in einigen Belangen, das Dilemma ist aber, dass mir der Aufenthalt auch schadet. Nach nunmehr fünf Wochen geht es mir zunehmend schlecht, jeweils gegen Ende der Woche häufen sich Vorfälle, die gelinde gesagt unschön sind und bei denen sich meiner Ansicht nach zeigt, dass ich massiv überlastet bin. Vor der Autismus-Diagnose hatte ich hier einmal darüber nachsinniert, ob Büroarbeit mich tatsächlich krankmacht und war zu dem Schluss gekommen, dass es wohl so sein müsse. Ich denke heute, dass ich mich geirrt habe. Das Problem tritt nicht nur in Büros oder in der Arbeit auf. Den Grund dafür sehe ich in der Menge der Sozialkontakte innerhalb einer bestimmten Zeit. Vielleicht liege ich falsch, aber im Moment ist es die für mich stimmigste Erklärung für das, was immer wieder passiert.

Genau wie 2015 erlebe ich jetzt, dass es mir innerhalb von nur fünf Wochen so schlecht geht, dass ich einfach nicht mehr kann. Und es zeigt sich ein Muster, das ich bisher nur den Rahmenbedingungen in meiner jeweiligen Arbeitsstelle zugeschrieben hatte. Therapie ist Arbeit an sich selbst, findet allerdings in einem geschützten Raum statt, in dem Fachleute tätig sind und Fehler nicht so gravierende Folgen haben, wie in der normalen Arbeitswelt. Nur ging ich davon aus, dass in einer Tagklinik nicht dasselbe passieren kann, wie draußen ohne professionelle „Aufsicht“, was sich wohl als Fehlschluss meinerseits erwiesen hat. Denn ich funktioniere zunehmend nicht mehr.

Von Woche zu Woche verspürte ich einen immer stärker werdenden Widerwillen, morgens in die Tagklinik zu fahren. Das war zwar auch tagesabhängig, weil ich manche Programmpunkte schlichtweg weniger mag als andere, es zeigte sich aber, dass sich dieser Widerwille im Lauf der Woche steigerte. Dagegen steht meine Eigenart, egal wie es mir geht, alle ausgemachten Termine wahrzunehmen, weshalb ich jeden Tag trotz des Widerwillens in die Klinik fahre, weil ich mehrmals wöchentlich neben dem Tagesprogramm auch Einzelgesprächs-, Krankengymnastik- und Massagetermine habe. Obwohl Donnerstag und Freitag meine Lieblingstage in der Klinik sind, war es so, dass sich ausgerechnet an diesen Tagen die unschönen Zwischenfälle häuften. Und zwar von Woche zu Woche ebenfalls in steigender Anzahl. Das reichte von kommunikativen Missverständnissen über meine zunehmende Gereiztheit inklusive Konflikten und zunehmender Erschöpfung bis hin zum Verschlafen von Terminen. Bearbeitet wurden Zwischenfälle in der Regel durch Gespräche mit dem Personal, in denen ich allerdings wohl nicht verständlich machen konnte, was ablief. Denn Anfang letzter Woche erhielt ich zufällig von einer Klinikmitarbeiterin die Rückmeldung, dass das Team der Ansicht sei, mir ginge es besser, weil ich mich mehr integrieren würde, offener sei und Kontakt zu Mitpatienten aufgenommen hätte, mehr in der Klinik angekommen sei.

Ich war im ersten Moment konsterniert und erheblich irritiert, weil mein eigenes Empfinden ein so ganz anderes war. Nach einigem Nachdenken hatte ich dann einen Aha-Moment. So nenne ich die Momente, in denen mir plötzlich Zusammenhänge klarwerden und ich etwas begreife, das ich mir vorher nicht hatte erklären können. Mir wurde klar, warum meine Selbstwahrnehmung sich so diametral von der Fremdwahrnehmung unterschied. Ich tat auch in der Tagklinik genau das, was ich bereits mein Leben lang tue und darin Perfektion entwickelt hatte: Ich erfüllte die Erwartungen, ich passte mich an. Und zwar wie gewohnt bereits wieder weit über meine Grenzen hinaus. Ich funktionierte – und da wo ich es nicht tat, flog ich unter dem Radar.

Nach Außen war ich die engagierte, motivierte Patientin, die anscheinend mit hoher Geschwindigkeit lernte, ihr Verhalten änderte, passgenau zur Zielsetzung einer kognitiven Umstrukturierung. Ab und an hatte diese Patientin zwar Einbrüche, die aber vor dem Hintergrund einer Depressionserkrankung durch die dabei typische emotionale Instabilität erklärbar zu sein schienen. Und ein Muster in den Einbrüchen erkennen offenbar Nichtautisten nicht, obwohl alles digital dokumentiert wird. Somit für jeden, der die Aufzeichnungen ansieht, also das Muster erkennbar sein müsste?

Ich hatte meinen Bezugspersonen mehrfach erklärt, weshalb ich motiviert mitarbeite und mich engagiere – wenn ich schonmal da bin, kann ich auch mitmachen, alles andere macht für mich keinen Sinn. Wenn ich etwas mache, dann möglichst perfekt und vollständig oder eben überhaupt nicht. Ich lerne tatsächlich schnell, ich passte mein Verhalten selbstverständlich den jeweils erhaltenen Informationen an – anfangs gab es deshalb wegen der Salamitaktik des Klinikpersonals in Sachen Patienteninformation noch mehr Schwierigkeiten, aber als ich alle Informationen hatte, alle Regeln kannte und wusste, was in welchen Stunden von mir erwartet wurde, konnte ich auch genau das Verhalten zeigen, das erwartet wurde und nahezu alle Regeln einhalten. Die Einschränkung betrifft stets Regeln, die mir nicht sinnvoll oder kontraproduktiv erscheinen und mir deshalb nicht einsichtig sind.

Allerdings nahm ich zunehmend nicht mehr an Klinikprogrammpunkten teil, bei denen ich die Erfahrung gemacht hatte, dass sie mir schadeten. Ich hatte die Lücken im System erkannt und nutzte sie, ich sagte zu Krankengymnastik- Massage- und Einzelgesprächsterminen, die mir in diesen schädlichen Zeiten angeboten wurden sofort ja. Ansonsten legte ich sie in die therapiefreien Zeiten. Nachdem ich mich bemüht hatte, mich ab der zweiten Woche in einzelnen Pausen dazuzusetzen und sogar mit Mitpatienten zu sprechen, stellte ich diese Bemühungen die letzten zwei Wochen nahezu komplett ein und verschwand in jeder noch so kurzen Pause aus dem Gebäude oder in den Ruheraum. Ich kam wie immer gar nicht auf den Gedanken, jemandem Bescheid zu sagen oder um Hilfe zu bitten, sondern zog mich zunehmend zurück. Ich bekam Angst, wenn mich jemand ansprach und dann, dass mich jemand ansprechen könnte. Es hätte auffallen können, dass ich bei meinen Kontakten zu Mitpatienten meistens nur noch zunehmend schreckhaft reagierte. Nur noch sehr selten aktiv auf Gruppenmitglieder zuging. Die Mitpatienten mit denen ich von mir aus Kontakt aufnahm hatten Gemeinsamkeiten: Es waren bis auf einen Patienten solche, die entlassen wurden, ich sprach mit ihnen nur jeweils einmal. Ich entwickelte eine Alternativstrategie nach einmaligem Küchendienst in der zweiten Woche, nachdem ich in der ersten Woche aus Informationsmangel beim Küchendienst fehlte, indem ich morgens alleine aufdeckte und mittags aus Erschöpfung verschlief. In der dritten Woche hatte ich morgens einen Termin und schaffte es seitdem keinmal mehr mitzuhelfen. Weder beim Küchendienst, noch beim gemeinsamen Kochen. In der Klinik wird einmal wöchentlich in der Gruppe gekocht, wobei die Entscheidung, welche Gerichte mit welchen Zutaten gekocht werden, demokratisch fällt. Da ich neben einer Laktoseintoleranz noch diverse Lebensmittelallergien habe, ist die Auswahl an Lebensmitteln, die ich esse, begrenzt. Dazu kommen meine Routinen – ich esse eine ganze Zeitlang immer dieselben speziellen Lebensmittel. Voraussehbar bin ich bei demokratischen Entscheidungen immer in der Minderheit. Also kann ich gar nicht mitessen. Dazu kommt, dass ich die letzten zwei Wochen keinen Hunger mehr hatte, was ich auf Nachfrage auch mitteilte. Beim Mittagessen war ich ebenfalls seit mehr als einer Woche nicht mehr. Weil ich von der Küche Sonderkost erhalte, blieb also mein Extrateller seither unberührt in der Küche stehen. Die Medikamenteneinnahme wird dokumentiert und ich teile stets mit, wann ich was einnehme. In den letzten zwei Wochen stieg mein Schmerztablettenverbrauch kontinuierlich an. Alles in Allem sind das sowohl erkennbare Muster als auch deutliche Anzeichen, dass es mir schlecht geht.

Dem Personal war wohl genau das passiert, was mir immer wieder begegnet: Ich hatte anfangs gesagt, dass ich Autistin bin, anfänglich höfliches Interesse geerntet und dann ging man wohl größtenteils zur Tagesordnung über. Meine Bezugspflegerin klärte ich über meine autistischen Verhaltensweisen kontinuierlich auf und ging davon aus, da sich das Team spätestens jede Woche austauscht und alles dokumentiert wird, dass alle Teammitglieder demnach auf demselben Informationsstand sein müssten. Dass dem nicht so war, erkannte ich erst spät, nämlich nach der Rückmeldung, die mir die Fehlschlüsse des Teams bewusstmachte. Ich vermute, es liegt daran, dass das Klinikpersonal es gewohnt ist, nichtautistische Patienten zu haben, deren Reaktionen und Verhalten die Erfahrungsbasis darstellen, auf der alle Vorkommnisse interpretiert werden. Was in meinem Fall aber leider zu einigen Fehlinterpretationen führte, weil ich eine autistische Patientin bin, anders reagiere und mein Verhalten andere Gründe hat.

Nachdem mir das klargeworden war, begann ich sofort damit, dem für mich zuständigen Klinikpersonal zu sagen, dass es mir sehr schlecht ginge. Ich versuchte, so weit es mir möglich war, mit größtmöglicher Offenheit verständlich zu machen, was los ist. Ich hoffe, es ist mir gelungen. Meine Bezugspflegerin und die Ärztin sprachen an, dass eine Adaption des Wochenplanes möglich sei. Gestern bekam ich den Nachmittag klinikfrei. Auf Drängen meinerseits, weil ein Gespräch mit meiner Therapeutin wegen einer möglichen Adaption des Klinikstundenplanes für mich auf übernächste Woche verschoben werden hätte sollen, findet dieses Gespräch zum Glück jetzt doch schon Anfang nächster Woche statt.

Ich kann mich nämlich nicht einfach mal eben noch eine weitere Woche zusammenreißen. Ich bin massiv überlastet. Ich verbringe meine klinikfreie Zeit nur noch damit, mich soweit zu erholen, dass ich wieder am Klinikprogramm teilnehmen kann. Und das heißt, dass ich die Hausarbeit nicht mehr schaffe, nicht mehr für das Wochenende einkaufen fahre, nicht mehr am Rehasport teilnehme, meine Spezialinteressen nicht verfolge, an immer mehr Tagen nach der Klinik nur noch dösend oder schlafend auf der Couch oder im Bett liege.

Es hat seinen Grund, weshalb ich nach einer Teilzeitarbeitsstelle mit maximal 20 Wochenstunden und einer Viertagewoche suche. In der Tagklinik arbeite ich seit fünf Wochen und zwei Tagen weit mehr als diese 20 Wochenstunden an mir, fünf Tage die Woche nahezu ununterbrochen in sozialen Interaktionen, mehrheitlich sogar in Gruppensituationen, die Reizbelastung ist in manchen Situationen exorbitant hoch. Bisher zeigten sich meine Ausfallerscheinungen überwiegend in den unstrukturierten Interaktionen, wie Gruppensituationen, in denen alle durcheinandersmalltalken. Die meisten Interaktionen in der Tagklinik laufen zum Glück stark strukturiert ab, in diesen funktioniere ich (größtenteils) noch. Ich befürchte nur, dass das nicht mehr lange gut geht. Ich gehe jeden einzelnen Tagkliniktag nämlich wirklich weit über meine Grenzen.

Letzte Woche gipfelte das weit über meine Grenzen gehen dann am Donnerstag in einem veritablen Kontrollverlust. Damit man sich darunter etwas vorstellen kann: Ich erinnere mich nicht ganz genau, aber ich habe mich wohl neben dem obligatorischen Weinen auch verbal lautstärker geäußert, wobei das nicht nur Worte waren und meinen Kopf mehrfach gegen die Wand bzw. den Tisch geschlagen. Was war der Auslöser?

Ich weiß noch, dass ich völlig verängstigt in der Ergotherapie saß, weil mir seit der Krankengymnastik am Morgen aus keinem mir bekannten Grund ständig Tränen aus den Augen flossen. Ich versuchte das natürlich zu verbergen. Warum natürlich? Ganz einfach: Ich habe sehr gut gelernt, bei Nichtfunktionalität nicht aufzufallen, um den in der Regel unangenehmen Konsequenzen zu entgehen. Das Verbergen scheint mir soweit auch gelungen zu sein, nur kam dann auch noch Zittern dazu. Als ich versuchte, meine Lesebrille in das Etui zurückzustecken, klapperte es so heftig, dass ich Angst hatte, es könnte jemand hören. Ich versuchte mich zu beruhigen, konnte aber nicht verhindern, dass sich das Zittern auf den gesamten Körper ausbreitete. Außerdem war ich zu dem Zeitpunkt leider nicht mehr fähig, den Raum zu verlassen, geschweige denn das unauffällig zu tun. Ich konnte nicht einmal mehr aufstehen, saß wie eingefroren auf dem Stuhl und hatte fürchterliche Angst. Ironischerweise davor, dass mich jemand vom Klinikpersonal bemerkte, denn mir ist ständig präsent, dass sich die geschlossene Station des BKH räumlich sehr nah bei der Tagklinik befindet und der Gedanke, mich in einem solchen funktionsunfähigen Zustand einzuweisen, in meinen Augen schon deshalb auf der Hand liegen muss.

Allerdings war das nicht der Fall, es bemerkte wie von mir beabsichtigt niemand. Als es ans Aufräumen ging, saß ich immer noch da und konnte mich einfach nicht bewegen. Alle verließen den Raum – dachte ich – evtl. wäre das meine Rettung gewesen, weil ich mich dann soweit wieder in den Griff hätte bekommen können, dass ich eine Chance auf einen geordneten Rückzug gehabt hätte. Aber dann sprach mich plötzlich ein sehr netter Mitpatient an und fragte, ob er mir helfen könne. Ich mag ihn, ich presste mit aller Kraft ein „Ich weiß es nicht“ heraus. Er redete auf mich ein, irgendetwas mit Hilfe annehmen, was genau, weiß ich nicht mehr. Es war sicher gut gemeint, nur in der Situation nicht gut gemacht. Rechtzeitig um Hilfe bitten fällt mir meistens nicht ein. Sinnvolle Kommunikation war mir schon längst nicht mehr möglich. Das auf mich Einreden war nur ein Reiz mehr, der mich in meiner Konzentration darauf, die Kontrolle zu behalten behinderte. Plötzlich wurde es unerträglich laut und da war es dann endgültig vorbei mit jeglicher Kontrolle. Ich wollte nur noch, dass der Lärm und das unsägliche Chaos im Kopf aufhören.

Meine Bezugspflegerin sagte mir später, dass wegen der Vorbereitung der Verabschiedung eines Gruppenmitglieds ein Wagen holpernd mit klirrendem und klapperndem Geschirr in den Raum geschoben worden war. Wegen meines Kontrollverlustes sei sie geholt worden und habe dann dafür gesorgt, dass ich alleine im Raum war. Sie habe das Licht ausgeschaltet, ca. fünf Minuten vor dem Raum abgewartet und aufgepasst, dass keiner hineinging.

Es endete damit, dass ich es nach den fünf Minuten schaffte, mich soweit zu beruhigen, dass ich dem Vorschlag meiner Bezugspflegerin, mich in den Ruheraum zu begeben, folgen konnte. Dort verkroch ich mich mit dem Kopf auf den Knien in eine Ecke, während sie ein Bett frisch bezog. Das war wirklich fürsorglich und es tut mir leid, dass ich es nicht nutzen konnte. Aber als sie gegangen war, zog ich nur den herabhängenden Vorhang über mich und schottete mich nach einiger Zeit noch mit Musik von der Umwelt ab, zu mehr war ich nicht fähig.

Ich fühlte mich zutiefst erschöpft, andere Gefühle kamen erst nach und nach wieder. Das Positive an dem Kontrollverlust war, dass ich nicht mehr weinte und das Zittern auch aufgehört hatte. Es herrschte betäubte, aber angenehme Ruhe im Kopf. Negativ waren die Sorgen, die ich mir nach ca. eineinhalb Stunden machte, als ich endlich wieder fähig war, aus meiner Ecke zu krabbeln und mit der Außenwelt zu kommunizieren. Meine Bezugspflegerin sprach mit mir über das, was passiert war. Ich hatte Angst, dass mir gesagt werden würde, ein solcher Kontrollverlust sei in der Tagklinik nicht tragbar. Erstaunlicherweise passierte das aber nicht, die zuständige Ärztin sagte mir später, dass „schlechte“ Tage in der Tagklinik erlaubt seien.

Das ist einesteils beruhigend, andernteils nicht, denn ich vermute, dass mehr „schlechte“ Tage folgen werden, wenn sich nichts an meiner Überlastung ändert. Ich vermute, dass der Auslöser dieses „schlechten“ Tages der eine Lärmreiz zuviel nach einer Reihe anderer mich kumulativ überlastender Reize und Vorkommnisse war. Die Grenze meiner Belastbarkeit überschreite ich täglich. Allerdings wachse ich nicht daran. Es ist kontraproduktiv und trägt nicht dazu bei, gesundheitlich stabiler zu werden, ganz im Gegenteil. Eine mehrtägige Klinikpause ist vermutlich keine Lösung, weil ich danach zwar wieder ein paar Tage lang durchhalte, die Abstände zwischen den „schlechten“ Tagen aber erfahrungsgemäß immer kürzer werden. Aus Gründen des Selbstschutzes müsste ich den Klinikaufenthalt abbrechen, wenn es keine andere Lösung gibt.

Eine mögliche Lösung könnte tatsächlich sein, das Klinikprogramm auf meine Bedürfnisse anzupassen, indem ich nicht am gesamten Wochenprogramm teilnehme. Ich soll mir Gedanken machen, welche Programmpunkte mir zu viel Energie rauben. Das habe ich getan. Leider sieht das Ergebnis ziemlich unsozial aus – alle mehr oder weniger unstrukturierten Gruppenaktivitäten mit zu vielen Leuten, die durcheinanderreden und sich unübersichtlich um mich herum bewegen fallen unter die Energieräuber. Also insbesondere das gemeinsame Kochen und Essen, der Küchendienst, das Zusammensitzen in den Pausen und die Verabschiedungen. Das Mittagessen im Speisesaal und der Küchendienst sind schon allein wegen der Lärmbelastung extrem energieraubend.

Die Programmpunkte, die mir meiner Ansicht nach am meisten helfen und mir auch Energie geben, sind die (Einzel)gespräche mit dem Klinikpersonal, die Psychoedukation und das soziale Kompetenztraining. Daneben blieben noch die Ergotherapie, die meistens eine ausgeglichene Energiebilanz hat, weil die Gruppe sich auf zwei Räume verteilt und die meisten aus lauter Konzentration auf ihre Tätigkeit erfreulich wenig plauschen. Außerdem das Entspannungstraining, sofern es statische Entspannungsübungen im Sitzen sind, oder welche im Gehen draußen, bei denen man sich von der Gruppe entfernen kann und bestimmte Außenaktivitäten. Allerdings nur, wenn sie in relativer Ruhe und in der Natur stattfinden, ein Besuch im Einkaufszentrum gehört definitiv nicht dazu. Der obligatorische Abschluss der Außenaktivität in irgendeinem Café ebenfalls nicht. Krankengymnastik und Massage helfen zwar gegen die körperlichen Erkrankungen, kosten jedoch Energie, schon weil sie mit Berührungen verbunden sind. Und das Sportangebot kann ebenfalls helfen und Energie bringen, sofern es sportliche Aktivitäten sind, die ich maximal in Zweiergruppen ausüben kann. Wobei beispielsweise Badmintonspielen wegen meiner Schulterprobleme kontraproduktiv, weil schmerzhaft ist. Da bleibt vom Wochenprogramm reichlich wenig übrig. Das was Nichtautisten hilft, weniger depressiv zu sein – unter Leute gehen und sozial miteinander zu interagieren, bedeutet für mich höchsten Stress, ist teilweise extrem energieraubend, nicht hilfreich und macht mich im Ergebnis depressiver.

Hier zeigt sich wieder einmal, dass die Welt nicht für Autisten gemacht ist. Teilhabe am Gesundheitssystem in Form eines für mich hilfreichen Tagklinikaufenthaltes ist nicht ohne Anpassung auf meine autistischen Bedürfnisse möglich. Und das geht nur, wenn Verständnis dafür und das Wissen um die Notwendigkeit vorhanden sind. Es erfordert von mir größtmögliche Offenheit, ständige Aufklärungsarbeit und das stete Bemühen, meine Bedürfnisse rechtzeitig zu erkennen und so zu kommunizieren, dass ich verstanden werde – ausgerechnet hierin liegen nicht meine Stärken, schon gar nicht, wenn ich überlastet bin. Von Klinikseite erfordert es ebenfalls Offenheit, ständige Aufmerksamkeit, eigene Überprüfung auf mögliche Fehlinterpretationen, indem auf mich zugegangen wird, viel Toleranz für meine Ausfallerscheinungen, Flexibilität und die Bereitschaft, individuelle Lösungen zu finden. Meine bisherige Erfahrung mit dem engagierten und bemühten Klinikpersonal, dem ich hiermit von Herzen danke, lässt mich hoffen, dass der Tagklinikaufenthalt doch noch so gestaltet werden kann, dass er mir mehr hilft als schadet.


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Tagklinik – ein Weg aus der Depression?

Ich gehe derzeit in eine Tagklinik, um etwas gegen meine Depression zu unternehmen und wieder aus der Rentenfalle zu kommen. Bisher ist es unglaublich anstrengend gewesen. Das lag zu einem großen Teil daran, dass es eine unbekannte neue Umgebung für mich ist und an der Informationspolitik der Therapeuten. Meine Bezugspsychologin erklärte mir leider erst am Ende der Woche, weshalb man mir nicht alle notwendigen Informationen gleich zu Beginn meines Aufenthaltes gab. Sie verfolgen dort eine Art Salami-Taktik, geben Informationen also nur in kleinen Portionen heraus, um die normalerweise nichtautistischen Patienten nicht zu überfordert. So ein Vorgehen löst bei mir als Autistin aber Stress aus und ist ganz und garnicht hilfreich, weil ich auf diese Weise nur durch Zufall auf notwendige Informationen stoße, um Allem gerecht werden zu können. Auch der Hinweis, ich könne fragen, wenn mir etwas unklar ist, fruchtet hier nicht, weil ich nur fragen kann, wenn ich überhaupt Kenntnis davon habe, dass mir Informationen fehlen.

Die Therapeuten gehen wohl davon aus, dass sich die Patienten notwendige Erklärungen zum Ablauf von den Mitpatienten und Gruppenmitgliedern holen. Dadurch dass ich in dieser ersten Woche mangels Energie aber außerhalb von Therapiezeiten keinen Kontakt zu meiner Gruppe pflegte, gingen viele Dinge an mir vorüber. So bekam ich beispielsweise nicht mit, was beim sogenannten Küchendienst wann zu erledigen ist, so dass ich nicht da war, um mitzuhelfen. In dieser Klinik gibt es einen ständigen fließenden Wechsel der Gruppenmitglieder, auch das ist eine Herausforderung für mich. Ich konnte beobachten, dass Patienten, die nach mir kamen, schneller Anschluss an die Gruppe als ich fanden, weil es ihnen möglich ist, sich in den Pausen zu den anderen zu setzen und mit ihnen zu plaudern. Und so erlebe ich auch hier wieder meine Schwierigkeiten mit der Teilhabe am sozialen Miteinander.

Die Nachteile meines Rückzuges in den Pausen zwischen den Therapien sind mir sehr wohl bewusst, leider kann ich im Moment aber nichts dagegen tun. Um funktionsfähig zu bleiben, muss ich die Pausen dazu nutzen, mich soweit zu regenerieren, dass ich nicht in einen Überlastungszustand komme.  Im Moment ist es während der Woche so, dass ich zu Hause nach der Tagklinik, außer mich aufs Sofa zu legen und zu erholen, so dass ich am darauffolgenden Tag wieder hinfahren konnte, nichts sonst zustandebrachte. Nicht einmal für die Beschäftigung mit meinem Interessensgebiet hatte ich genügend Energie übrig. Obwohl ich weiß, dass das eine Einzahlung auf mein Energiekonto wäre. Leider bin ich bei fast jedem Versuch, noch etwas zu lesen, sofort eingeschlafen.

Während des Tages hatte ich mich in der Tagklinik so oft als möglich – also in allen Pausen – komplett zurückgezogen. Ich bin gut im Finden von stillen Ecken wo nie jemand hinkommt, so dass ich mir schon am ersten Tag einen Rückzugsraum schaffen konnte. Mittlerweile steht dort ein Gartenstuhl, den ich mit Hilfe eines Steines, eines Astes und der Hebelwirkung wieder soweit reparieren konnte, dass er beim darauf Niederlassen nicht zusammenklappt. Außerdem grub ich die Bocciabahn dort um und rechte sie glatt, denn das Spielen darauf in einer Therapiestunde am Montag ähnelte wegen des Bewuchses und der Löcher eher einem Glücksspiel. So macht Bocciaspielen mir allerdings keinen Spaß. Insofern war diese Arbeit und das von zu Hause mitbringen des dafür notwendigen Gartenrechens sowohl altruistisch als auch egoistisch. Was ich nächste Woche noch erledigen möchte, ist den Abfall in dieser Ecke aufzusammeln, damit ich mich dort wohler fühlen kann. Was auch ein Beitrag zum Umweltschutz ist.

Trotz meines Bemühens um ein funktionierendes Energiemanagement ist es mir aber am Donnerstag dann passiert, dass ich akut überlastet war. Dies zeigte sich in einem Heulanfall und depressiven Gedanken während eines Einzelgespräches. Letzter Auslöser war eine kurzfristige Terminänderung, denn die mir zu Beginn zugeordnete Therapeutin sagte mir am Anfang des Gespräches, dass sie mich gerne an eine andere Therapeutin abgeben würde und das geplante Gespräch mit ihr also ausfallen müsse. Sie bot mir einen Gesprächstermin am folgenden Tag bei dieser neuen Bezugstherapeutin an. Prompt brach ich in Tränen aus. Die Therapeutin meinte, ich solle mich beruhigen und wenn das so schlimm für mich sei, dann würde sie halt einen anderen Patienten abgeben. Ich versuchte ihr zu erklären, dass es gar nicht darum ging. Ich hatte aber nicht den Eindruck, dass sie verstand, was ich schluchzend an Kommunikation noch zustandebrachte.

Mir ging es nicht um die Person meines Bezugstherapeuten an sich – da ich sowieso noch keine Beziehung aufgebaut hatte. Was mir so zu schaffen machte, dass ich wie ein vierjähriges Kind reagierte, war die kurzfristige Terminänderung. Denn ich hatte mich auf Donnerstag, genau um diese Uhrzeit auf Einzelgesprächstermine eingestellt und mich wie immer auf solche Gespräche vorbereitet. Also überlegt und aufgeschrieben, was ich mitteilen wollte. Und das sollte jetzt plötzlich nicht stattfinden. Letzten Endes war ich zu erschöpft, um aus der Überlastungssituation zu fliehen, was darin resultierte, dass ich ganze zwei Stunden bei der Therapeutin saß und im Endeffekt dann doch das Gespräch inhaltlich soweit stattfand, so dass ich mich beruhigen konnte. Ich weiß allerdings nicht, ob die Therapeutin die Zusammenhänge verstanden hat. Ich gehe begründet davon aus, dass es auch bei diesem Klinikaufenthalt zu vielen Missverständnissen zwischen mir und meinen Mitmenschen kommt.

Ein Missverständnis wurde in diesem Gespräch nämlich zum Glück aufgeklärt. Beim Anamnesegespräch vor der Anmeldung in der Tagklinik meinte die aufnehmende Ärztin, dass sie gerne eine zweiwöchige Probezeit mit mir vereinbaren würde, damit von beiden Seiten geschaut wird, ob ein Klinikaufenthalt für mich als depressiver Autistin unter lauter nichtautistischen Depressiven umsetzbar wäre. Ich hatte also Angst davor, während dieser „Probezeit“ naturgemäß zu viele Fehler – vor allem im sozialen Miteinander – zu machen, so dass ich sie nicht bestehen würde. Und sogar in einer Klinik die Erfahrung machen zu müssen, wegen fehlender „Teampassung“ sozusagen gekündigt zu werden. Die erste Woche war auch aus diesem Grund unglaublich stressig, weil ich nicht wusste, wie viele „Fehler“ ich mir erlauben konnte. Also versuchte ich mit aller Kraft unbedingt alles richtig zu machen, was dazu führte, dass sich das sogar im Blutdruck niederschlug. Als ich danach fragte, wie viele Fehler ich maximal machen dürfe, bevor sie mir nahelegen würden, die Tagklinik zu verlassen, klärte sich dieses Missverständnis auf – gemeint war anscheinend nur, dass ich selbst zwei Wochen lang am Programm der Tagklinik teilnehmen dürfe, um zu sehen, ob ein längerer Aufenthalt sinnvoll für mich sei.

In der Tagklinik gibt es einen Ruheraum mit drei Betten, in den ich mich während der letzten Woche in der Mittagspause zurückgezogen hatte, um mich auszuruhen bzw. zu schlafen. Bisher war außer mir noch nie jemand in diesem Raum, was wohl damit zusammenhängt, dass ihn die Betreuer erst aufsperren müssen. In der Gruppe fühle ich mich natürlich oft unverstanden, ich bin ja auch die einzige Autistin dort. Aber meine neue Bezugspsychologin hat offenbar Ahnung von der Thematik und ich finde sie sympathisch. Sie gab mir in dem Gespräch, das dann am Freitag stattfand, sehr hilfreiches Feedback und erklärte mir eine schwierige Situation, zu der es letzte Woche in der Guppe kam, weil ich dort wohl sozial unpassend meine Bedürfnisse äußerte. Ich bat darum, dass während der Ergotherapie das Radio ausgeschaltet wird. Was die Betreuerin auch tat, mich dann aber zwei Tage später beiseite nahm, um mir zu sagen, dass viele Mitpatienten das Bedürfnis hätten, Radio zu hören und ich mich deshalb anpassen oder eine Lösung finden müsste. Mein Versuch, ihr zu erklären, dass es für meine Mitpatienten ein „nice to have“ sei, nebenbei Radio zu hören, für mich es aber aus Gründen des Energiemanagementes ein „must have“ sei, die Lärmquellen zu minimieren, und weil ich mich sonst neben den Stimmen der Mitpatienten auch noch auf die des Radiosprechers konzentrieren müsste, scheiterte.

Als ich ihr diese Situation schilderte, schlüsselte sie meine Bezugstherapeutin sozial für mich auf, machte Lösungsvorschläge und zeigte mir einen sozialkompatiblen Weg auf, wie ich bei einem erneuten Versuch, meine Bedürfnisse nach „Radio aus“ umzusetzen vorgehen könnte. Ich finde es nach wie vor irritierend, dass meinen Mitpatienten laut der Therapeutin die Befriedigung emotionaler Befindlichkeiten beim jemanden neu kennenlernen so wichtig ist und sie einer logischen Argumentation nicht zugänglich sind. Ich soll nämlich deren Du erhöhen und mein Ich mit Hilfe passender Formulierungen klein machen, dann würde ich gemocht werden und sie würden eher das tun, worum ich sie bäte. Es ist schon absurd, dass Inklusion auch in einem teilstationären Setting mit Sozialpädagogen, Erziehern, Psychologen und Psychiatern schwer umzusetzen ist. Ich muss mich anpassen, um nicht exkludiert zu werde bzw. mich selbst zu exkludieren, indem ich beispielsweise als Lösung während der Therapiestunde meine Kopfhörer aufsetze, weil viele Menschen nicht logisch handeln können oder wollen, sondern emotional und intuitiv.

Nachdem ich es aber nun geschafft habe, eine komplette Woche durchzuhalten und sich das Programm wöchentlich wiederholt, hoffe ich, dass die kommende Woche stressfreier wird. In dieser Klinik arbeiten sie nach einer für mich neueren störungsspezifischen Therapieform, der von James P. McCullough in den USA zur Behandlung chronisch depressiver Patienten entwickelten Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP), die schulenübergreifend Denkansätze aus der kognitiven, behavioralen, interpersonellen und der psychodynamischen Therapie und der Entwicklungspsychologie Jean Piagets integriert. Was ich bisher zu der Therapie und den Strategien bzw. Methoden gelesen habe, klingt logisch. Mal sehen, ob es hilft.

Ich glaube, dass ich insbesondere von den Einzelgesprächen, dem einmal wöchentlich stattfindenden Soziale Kompetenztraining nach CBASP und dem Sportangebot profitieren werde. Die Gruppensituationen kann ich als Übungsfeld für soziale Interaktion und Kommunikation nutzen. Und während der Ergotherapie habe ich die Möglichkeit, interessante neue Sachen auszuprobieren, wie beispielsweise Perlenhäkeln. Begonnen habe ich mit einer Mosaikarbeit, das ist etwas, was ich in der Beschäftigungstherapie während der Wartezeit auf den Tagklinikplatz bereits gemacht hatte. Macht Spaß, beruhigt durch die Sortiertätigkeit und das meditative Kleben der Mosaiksteinchen und bringt nebenbei auch hübsche Schalen oder Behältnisse hervor, die ich als Geschenk nutzen kann.

Bei meinem wichtigsten Ziel, einen Abschlussbericht zu erhalten, in dem eine Empfehlung für die Maßnahme Unterstützte Beschäftigung steht, mit der der ifd betraut werden soll, wird mich die Klinik unterstützen. Das ist für mich der Weg aus der Rentenfalle in der ich festsitze, weil die Rentenversicherung ohne einen neuen Arztbericht, in dem mir Rehafähigkeit besscheinigt wird, vermutlich meine EM Rente verlängern würde, statt mich dabei zu unterstützen, mich beruflich wieder einzugliedern. Es ist mir sehr wichtig, wieder eine Arbeit zu finden. Ich denke, dass ich es nur so schaffen kann, nicht ganztags zu Hause herumzuhängen und allein deshalb täglich depressiver zu werden. Ich hoffe, dass ein Weg aus der Depression sein könnte, durch den Tagklinikaufenthalt die Chance auf eine für mich passende Arbeitsstelle zu erhalten. Und damit nach der Kindererziehung wieder einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen, die gleichzeitig eine von außen vorgegebene Tagesstruktur mit sich bringt.

Also auf in die zweite volle Woche Tagklinik.


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Suizidprävention bei depressivem Autismus

Eine depressive Autistin unter Alkoholeinfluss ruft am Tag X bei der TelefonSeelsorge Anonym, Kompetent, Rund um die Uhr an, nur um die Bandansage „Unsere Mitarbeiter sind zurzeit leider alle im Gespräch, so dass Ihr Anruf nicht entgegengenommen werden kann. Bitte nutzen Sie unsere Mail- und Chatberatung oder versuchen Sie es später noch einmal“ zu hören. Später hört sie genau dieselbe Bandansage, also versucht sie, die Chatberatung zu nutzen. Chattermine sind die nächsten zwei Wochen alle ausgebucht. So schreibt sie eine Mail und klickt auf Senden, um dem Leben eine faire Chance zu geben. Sie verzweifelt, als sie liest, dass es bis zu drei Tage dauern kann, bis jemand antwortet. Sie fragt sich, ob die TelefonSeelsorge nicht lieber ihren Namen ändern sollte. Aber sie reißt sich noch einmal zusammen und hält ihren Zustand immerhin noch drei weitere Tage aus.

Dann bricht sie wieder zusammen, diesmal schlimmer. Sie hat sehr große Angst, erinnert sich aber an die Worte ihres Therapeuten, kramt aus ihrem Rucksack den Flyer des Caritas Krisendienstes Horizont heraus. Sie trinkt etwas, um ihre Hemmungen vor Telefonaten zu verlieren. Zu ihrem Glück ereignet sich dieser Zusammenbruch während der Sprechzeiten. Es geht sogar jemand ans Telefon. Sie spricht eine halbe Stunde völlig aufgelöst mit einer Stimme, die ihr mitteilt, dass sie nicht anonym anruft, sondern ihre Telefonnummer im Display angezeigt wird. Und dass der Krisendienst wegen ihres Zustandes leider Hilfe vorbeischicken muss – außer sie verspricht, in einer Stunde nochmals anzurufen. Denn die Mitarbeiterin habe jetzt einen Termin. Die autistische Depressive sagt selbstreflexiv, dass sie das wahrscheinlich nicht schaffen wird und nennt auch die Gründe. Die Mitarbeiterin bietet an, fünf Minuten nach der vereinbarten Zeit von sich aus zurückzurufen. Das Telefonat wird beendet. Die Verzweiflung ist immer noch da. Sie trinkt noch mehr. Wie befürchtet, schafft sie es nicht, nochmals anzurufen. Sie fürchtet sich extrem davor, untergebracht zu werden, aber mittlerweile ist ihr alles egal, außerdem ist sie betrunken. Allerdings klingelt das Telefon auch in der darauffolgenden Stunde nicht. Und niemand kommt zur Hilfe.

Währenddessen ist sie nach einem Wein- und Schreianfall wegen totaler Überlastung eingeschlafen. Um ein paar Stunden später wieder aufzuwachen und zu registrieren, dass es ihr immer noch sehr schlecht geht. Sie schämt sich ob ihres Totalzusammenbruchs, ist verärgert, weil eine Vereinbarung nicht eingehalten wurde, was sie absolut nicht tolerieren kann. Zugleich ist sie erleichtert, nicht untergebracht worden zu sein, weil es ihr nicht mehr egal ist und sie vermutet, dass ihr eine solche Maßnahme zwar kurzfristig helfen, aber binnen Kurzem außerdem sehr schaden könnte. Sie hat starke Kopfschmerzen, verbucht das aber als gerechte Strafe wegen des Alkohols. Sie reißt sich wieder zusammen, hält es weiter aus. Traut sich sogar, sich am folgenden Tag erwartungslos, aber der Vollständigkeit halber nochmals in die Mailberatung der Telefonseelsorge einzuloggen, nachdem sie den Flyer des Krisendienstes Horizont in den Papiermüll geworfen hatte. Und liest, dass tatsächlich nach genau drei Tagen jemand geantwortet hatte, geschrieben hatte „hier ist ihre Chance“ „ich bin da für Sie und gehe gerne mit Ihnen in das Gespräch über Ihre Situation“. Sie fragt sich, was bei der TelefonSeelsorge unter Gespräch verstanden wird. Sie ergreift ihre Chance, indem sie sogleich zurückschreibt.

Denn es ist noch nicht vorbei. Es geht ihr auch heute sehr schlecht, aber sie schildert schriftlich ausführlich ihre Situation und hofft, hofft so dringend, dass ihr Gegenüber sie versteht, ihr hilft, ihr vielleicht sogar schreibt, wie es weitergehen kann. Einen Hinweis gibt, was sie noch tun kann. Sie loggt sich mehrmals täglich ein und wieder aus. Drei Tage später hat sie einen Gesprächstermin mit ihrer Psychiaterin. Der sie eine dreiviertel Stunde lang weinend von ihrer aktuellen Krisensituation berichtet. Die Psychiaterin kennt sie und beantwortet ihre dringenden Fragen, verfällt jedoch bei einem der Themen in Allgemeinplätze. Die depressive Autistin schaltet innerlich ab, nachdem sie gesagt hat, dass sie all das wisse.

Sie ruht sich nach dem Termin ein wenig aus, bevor sie einen weiteren Termin bei einer Psychiaterin zwecks Aufnahme in eine Tagklinik für Depressionen wahrnimmt. Natürlich wird sie im Verlauf des Gesprächs auch nach Suizidgedanken gefragt. Sie erzählt von ihren Erfahrungen der letzten Tage mit Suizidprävention und wie es ihr derzeit geht. Die Psychiaterin bedankt sich für die Ehrlichkeit und erwidert, das könne eigentlich gar nicht sein, aber: „Was Sie mir da erzählen, glaube ich Ihnen natürlich. Wir haben eine Warteliste. Rufen Sie doch einfach mal an und fragen, auf welchem Platz sie stehen“. Sie warnt die autistische Depressive mehrfach, dass ein Aufenthalt in der Tagklinik schwierig werden könne, weil dort Gruppentherapie stattfände und sie die einzige Autistin wäre. Die autistische Depressive erwidert, dass ihr das bewusst sei, sie aber etwas gegen die Depression unternehmen wollen würde und fragt, was sie denn jetzt noch machen könne. Die Psychiaterin antwortet: „Auf einen freien Platz in der Tagklinik warten. Ich wünsche Ihnen derweilen viel Glück“. Die zutiefst deprimierte Autistin geht. Erzählt all ihre Erlebnisse ihrem Psychotherapeuten, erzählt, sie sei erschöpft, wolle nur noch schlafen, am Liebsten nicht mehr aufwachen. Der sagt ihr, dass es in den nächsten Tagen nur darum ginge, zu überleben. Irgendwann werde es ihr wieder besser gehen. Aushalten sei die Parole. In drei Tagen sehe man sich wieder.

Fünf Tage nach dem Verfassen ist die zweite Mail an die TelefonSeelsorge noch nicht einmal gelesen. Die depressive Autistin ist mittlerweile eher verblüfft als verzweifelt. Und wundert sich, weshalb bei ihr Suizidprävention nicht hilft. Sie registriert, dass das System bei ihr nicht greift. Registriert das allerdings nicht zum ersten Mal, denkt über die Absurdität der Welt, die Menschen und deren Handeln nach. Versucht, sich von depressiven Gedanken mit der Verfolgung der aktuellen Nachrichten zum Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz und der bayrischen Autismus-Strategie abzulenken, letzteres erweist sich als wenig hilfreich. Verzieht grimmig die Mundwinkel resigniert minimal nach oben. Und wertet das als Erfolg des Tages.


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Bay-PsychKHG und Autismus-Strategie-Bayern: E-Mail an die Politik

Sehr geehrte Frau Huml (mdl@melanie-huml.de),

Sehr geehrte Frau Schreyer (mdl@kerstin-schreyer.de),

Sehr geehrter Herr Söder (edda.probst@soeder.de; markus.soeder@soeder.de),

als Autistin mit rezidivierenden depressiven Episoden habe ich die Petition von Uwe Hauck und Kristina Wilms gegen das Bay-PsychKHG unterschrieben. Ich bitte Sie, dass wenigstens einer von Ihnen als Verantwortlicher sich am Dienstag, den 24.04.2018 gegen Mittag die Zeit nimmt, um die Ergebnisse dieser Petition persönlich von den Initiatoren in Empfang zu nehmen.

Vor dem Hintergrund des derzeitig geplanten Inhaltes dieses neuen Gesetzes habe ich für mich beschlossen, aus Gründen des Selbstschutzes zukünftig mit keinem Therapeuten oder Arzt mehr über meine Depression zu sprechen. Ich muss hier abwägen, weil eine stationäre Unterbringung in einer Klinik m. E. gesundheitsschädlich für mich als Autistin wäre und mich zusätzlich stigmatisiert.

Zudem fordere ich Sie auf, mir zu erklären, weshalb für die geplante Autismus-Strategie-Bayern nur so wenig Mittel zur Verfügung gestellt werden und weitere 4 Jahre geredet, statt endlich gehandelt werden wird. Bitte vernetzen Sie sich umgehend mit Fachärzten wie Hr. Dr. Schilbach am MPI für Psychiatrie in München und den bayrischen Autismuszentren. Fördern Sie partizipative Autismusforschung und nutzen Sie bitte die bereits vorhandenen Informationsmöglichkeiten, statt weitere 4 Jahre Ressourcen zu verschwenden. Und binden Sie bitte in die Arbeitskreise unbedingt einen repräsentativen Querschnitt an Autisten als Fachkräfte in eigener Sache mit ein!

Es ist betriebswirtschaftlich und auch im Hinblick auf den Inklusionsgedanken und den Fachkräftemangel nicht zu verantworten, die Talente und Fähigkeiten von 85 % der hochfunktionalen Autisten, zu denen auch ich gehöre, zu verschwenden, indem sie nicht ausreichend dabei unterstützt werden, am ersten Arbeitsmarkt eine Arbeitsstelle zu finden und zu behalten.

Ich stellte bei der Deutschen Rentenversicherung 2016 einen Antrag auf berufliche Teilhabe am Arbeitsplatz, um Unterstützung bei der beruflichen Wiedereingliederung zu erhalten. Dieser Antrag wurde 2017 nach meinem Aufenthalt in der Tagklinik für Störungen der sozialen Interaktion wegen meiner Depression seitens der DRV in einen Rentenantrag umgedeutet. Statt Unterstützung bei der Suche nach einer neuen Stelle zu erhalten, wurde ich zwangsverrentet, obwohl ich arbeiten wollte. Das ist angesichts meines abgeschlossenen Studiums zur Erziehungswissenschaftlerin vollkommen unverständlich für mich. Ich würde gern selbst Steuern zahlen, statt von Steuergeldern leben zu müssen und das, bevor ich zu alt dafür bin. Ich habe nicht die Zeit, noch jahrelang auf eine Autismus-Strategie-Bayern zu warten. Ich fordere Sie als politisch Verantwortliche auf, Stellung zu beziehen.

In der Erwartung einer Antwort grüßt Sie

Silke Wanninger-Bachem


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Depression die Zweite

Oder die xte, so genau weiß ich das nicht. Ich habe viel darüber gelesen, Studien, Fachartikel, Fachbücher, Autobiografien. Ich habe aspergertypisch viel Wissen angesammelt. Nur: Zu wissen, dass es vorübergeht, dass dieser Zustand nicht ewig andauern wird, ist trotzdem schwer zu glauben, wenn man mittendrin steckt. Was dieser Zustand nicht ist: Etwas, das ich mir ausgesucht habe. Etwas an dem ich selbst schuld bin – wobei, wenn es so etwas wie eine genetische Disposition gibt, dann liegt ein Grund in mir selbst. Etwas, das ich mir nur einbilde, eine Modekrankheit. Etwas, das durch Bemerkungen wie „Reiß dich doch einfach mal ein bisschen zusammen, dir geht es doch wirklich gut, andere haben es viel, viel schwerer, die haben echt ganz andere Probleme, das was du machst, ist Jammern auf hohem Niveau“ definitiv nicht besser wird.

Du darfst dich nicht so hängenlassen, geh einfach mal raus, treib Sport, dann geht es dir gleich besser“ (Klar, auf die Idee wäre ich alleine nie gekommen, danke dir, sehr hilfreich. Seit Wochen nehme ich mir genau das jeden einzelnen Tag vor – und scheitere). „Du hast zu viel Zeit, suche dir eine Arbeit, dann denkst du nicht mehr so viel nach“ (Ach ja, ich spare es mir, dir das mit der Zwangsverrentung zu erklären. Und warum ich mir nicht mal eben so einfach irgendeine Arbeit suchen kann. Wie das mit den Chancen am Arbeitsmarkt und der Angst vor Bewerbungsgesprächen ist. Ich kann das übrigens auch prima im Büro machen, nachdenken. Aber wenn du mir den Ausschalter im Gehirn zeigst, dann denke ich auch nicht mehr so viel nach. Ich wäre dir dankbar dafür, ich suche ihn nämlich selbst schon seit Jahrzehnten). „So schlimm ist es doch eigentlich gar nicht, dir geht es doch gut“ (Doch. Es. Ist. So. Schlimm. Zumindest fühlt es sich für mich schlimm an, warum auch immer, ich verstehe es ja selbst nicht, wie sollte ich es dir dann erklären? Es ist nicht logisch, aber es ist). „Du musst einfach nur öfter unter Leute gehen“ (Äh, … [sehr lange Pause, während der ich mich frage, ob die Person irgendeine Ahnung hat] … nicht). „Denk doch einfach an etwas Schönes, guck, das Wetter ist so schön, die Sonne scheint, die Vöglein zwitschern“ (Kann ich nicht. Ich geh nicht raus, die Sonne blendet mich und die sch… Vögel sind mir zu laut). „Blödsinn, das bildest du dir alles nur ein, Depressionen gibt es gar nicht, du hast nur ein bisschen schlechte Laune!“ (Nein, leider nicht, aber ich habe keine Kraft, mich zu rechtfertigen für meine Wahrnehmung). „Du brauchst einfach nur Struktur, mach dir doch mal einen Plan“ (Weiß ich, habe ich gemacht, ich schaffe es nur leider nicht, ihn einzuhalten). „Du musst nur zum Arzt gehen, da gibt es gut wirksame Tabletten dagegen, dann geht das schnell vorbei“ (Tja, habe ich versucht, mehrfach, nutzte nur nichts. Schadete aber und war heftig, du willst ganz sicher nicht am eigenen Leib erfahren, was diese Tabletten alles bewirken können. Und ich will nie mehr im Leben nicht mehr zu Hause in meinem eigenen Gehirn sein müssen – lieber halte ich irgendwie diesen Zustand aus. Falls Ärzte das hier lesen: NEIN, das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass ich mir nicht helfen lassen will, dass ich überempfindlich bin. Ihr steckt nicht in mir drin, ihr müsst die Nebenwirkungen nicht aushalten, nehmt die Tabletten bitte mal selbst und seht, was passiert). „Du solltest dir Hilfe suchen, ein stationärer Aufenthalt wäre wirklich sinnvoll“ (Öhm, glaube ich nicht. Warst du schon einmal in so einer Klinik? Ich könnte dir erzählen, wie es für mich dort war. Bis heute lässt mich die Frage nicht los, wieso zum Teufel es der Zimmerbettnachbarin sinnvoll erschien, innerhalb einer geschlossenen Station eine in Tabak gewickelte Rasierklinge zu schlucken. Verstehe ich einfach nicht – weder wie so etwas überhaupt funktioniert, noch, inwiefern die Aussage wahr ist, dass man auf so einer Station vor sich selbst geschützt wird. Mich hatte übrigens auch niemand vor dem Patienten – oder war es ein Pfleger, die konnte ich dort nicht auseinanderhalten – geschützt, der mir in die Dusche nachschlich. Und ich kann nicht nachvollziehen, weshalb mir ein 5minütiges Gespräch mit einem mir unbekannten Psychiater innerhalb von fünf Tagen mehr helfen soll, als die derzeit wöchentlichen 50minütigen Gespräche mit meinem mir bekannten Therapeuten. Aber vielleicht macht das alles ja tatsächlich irgendeinen Sinn und nur ich verstehe ihn wieder nicht – wie so vieles).

Gebt mir keine Ratschläge, was ich machen soll, damit es mir besser geht. Die frustrieren mich nur und die Ideen hatte ich alle selbst schon. Weil es nicht so einfach ist, ich versuche täglich, mich aufzuraffen und etwas zu tun, aber es scheitert zurzeit meistens schon im Ansatz. Und dann fühle ich mich noch mehr als Versager, weil ich es nicht hinbekomme, euren Ratschlägen zu folgen und Dinge zu unternehmen, damit es mir besser geht. Gedanken, dass ich mich im Grunde selbst sabotiere, selbst schuld daran bin, dass es mir schlecht geht. Nur eine Last für andere bin, nichts wert bin, ein totaler Versager bin, liegen dann nicht fern. An besseren Tagen kann ich sie wegschieben, mir sagen, dass es nicht wahr ist, diese Gedanken ein Symptom der Krankheit sind. An nicht so guten Tagen gelingt mir das nicht und dann wird es schwierig. Schwieriger als es sowieso schon ist, also lasst es, gebt mir bitte keine Ratschläge.

Und sagt mir vor allem nicht, dass es nicht stimmt, was ich euch erzähle. Nehmt mich ernst, glaubt mir, hört mir zu, mehr will ich doch gar nicht von euch.


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Tage der Überforderung – muss das denn wirklich sein?

Es ist frustrierend, immer und immer wieder dabei Probleme zu haben, wenn ich mich um (gesetzlich garantierte) Unterstützungsleistungen bemühe, indem ich Krankengeld beantrage und einen Antrag auf berufliche Rehabilitation stelle. Ich empfinde es als ungerecht, wie mit mir umgegangen wird. Und ich verstehe es nicht. Denn es ist unlogisch. Nach meinem Verständnis sollte meiner Krankenkasse daran gelegen sein, dass ich schnellstmöglich gesund werde. Und das Ziel der beruflichen Rehabilitation sollte darin liegen, dass ich schnellstmöglich wieder eine Stelle finde. Trotz meiner Schwierigkeiten, die ich mir nicht ausgesucht habe und die ich auch nicht vorsätzlich herbeigeführt habe. Ich kann nichts dafür, Autistin zu sein und ich kann auch nichts dafür, dass ich eine Depression habe.

Heute ist wieder so ein Tag, an dem ich mich frage, warum es mir bitte so schwer gemacht werden muss. In der Post war ein Brief meiner Krankenkasse, in dem ich aufgefordert werde, bis 12.10. einen Befundbericht meiner behandelnden Ärztin einzureichen, andernfalls wird mir das Krankengeld verwehrt. Selbst wenn meine Ärztin es schafft, diesen Befundbericht heute noch zu schreiben, wovon nicht auszugehen ist, ist die Frist zu kurz. Erfahrungsgemäß dauert es mehrere Werktage, bis Post von der medbo bei mir ankommt und dann muss ich diesen Bericht noch zur Krankenkasse weiterschicken. Das hätte sich die Sachbearbeiterin bei der Krankenkasse auch selbst ausrechnen können. Ich frage mich, was so eine Fristsetzung für einen Sinn hat. Ich meine, das führt auch beim nichtautistischen Versicherten zu einem massivem Stresserleben und Existenzängsten. Selbst völlig ohne Kenntnis meiner Diagnosen hätte klar sein müssen, dass dieses Schreiben garantiert nicht gesundheitsförderlich ist.

Ich habe eine mir zugeteilte Reha-Sachbearbeiterin bei der Deutschen Rentenversicherung, die meine Diagnosen kennt. Meiner Ansicht nach hat sie die Pflicht, sich darüber zu informieren, wenn sie bisher keine Kenntnis der damit einhergehenden Behinderungen hat, um mich bestmöglich unterstützen zu können. Ich frage mich, warum sie sich dann so denkbar kontraproduktiv verhält?

Den Termin zum ersten Beratungsgespräch an einem Donnerstag im August hatte sie äußerst kurzfristig per Mail einen Tag vorher wegen „unvorhersehbarer Gründe“ abgesagt und auf Freitag verlegt. Obwohl mein Mann extra Urlaub für diesen Termin genommen hatte und ich mich auf den Termin eingestellt hatte.

Im Beratungsgespräch hatte sie mir nur eine Maßnahme vorgeschlagen, deren Rahmenbedingungen mir nicht autistenfreundlich erschienen. Auf meine Rückfragen zu diesen Rahmenbedingungen erhielt ich von ihr für mich undurchführbare Lösungsvorschläge. Ich könne unter der Woche im Wohnheim wohnen. Die Betreuung erfolge durch wechselnde Sozialpädagogen. Es werde besonderen Wert auf viele betriebliche Praktika in möglichst vielen unterschiedlichen Betrieben und Werkstätten gelegt, um meine Belastungsfähigkeit wiederherzustellen. Bei diesem Szenario war es fast schon egal, dass mich zusätzlich die beiden Worte Betreuung und Werkstätten massiv verunsicherten. Meine Nachfrage, inwiefern mir diese Maßnahme als autistischer Akademikerin helfen solle, wieder im Berufsleben integriert zu werden, ließ meine Sachbearbeiterin offen. Stattdessen meinte sie, sie könne im Moment eh nichts für mich tun.

Zu solchen Terminen muss mein Mann mich immer begleiten, weil ich oft Schwierigkeiten habe, adäquat zu reagieren, wenn ich Unvorhergesehenes gefragt werde oder ich nicht verständlich meine Anliegen übermitteln kann. Wir hatten wie immer ausgemacht, dass er das Gespräch übernehmen würde, wenn ich ihm ein vorher vereinbartes Zeichen geben würde oder er mir ein Zeichen geben würde, wenn er den Eindruck bekäme, dass Missverständnisse entstünden. Den größten Teil der Zeit redete sie aber sowieso nur mit meinem Mann. Meine Sachbearbeiterin behauptete, ich müsse zuerst einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente stellen, vorher wäre sie sowieso nicht für mich zuständig. Diesen Antrag könne ich allerdings nicht bei ihr, sondern müsse ihn bei meiner Heimatgemeinde stellen. Warum erklärte sie nicht. Mein Mann signalisierte mir zu diesem Zeitpunkt, dass ich nicht mehr nachfragen solle und beendete das Gespräch. Draußen erklärte er mir dann, dass er nicht den Eindruck gehabt hätte, dass diese Sachbearbeiterin mich unterstützen wolle. Er meinte, ich sollte dann einfach möglichst schnell diesen Antrag stellen.

Bei dem Versuch, am Montag nach dem Beratungsgespräch ohne die Unterstützung meines Mannes – der musste schließlich arbeiten – diesen Antrag abzugeben, fragte der Sachbearbeiter in der Gemeinde telefonisch bei der Sachbearbeiterin in der DRV nach, weshalb ich eigentlich einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente stellen müsse. Ihre Antwort, die ich mithören konnte war: „Das stimmt so nicht, die Dame will einen Antrag stellen“. Diese Aussage war definitiv unrichtig. Ich hatte bei dem Beratungsgespräch nicht gesagt, ich will einen Antrag stellen, das Gespräch war erst drei Tage her, ich erinnerte mich sehr genau an alles, was besprochen wurde. Der Sachbearbeiter in der Gemeinde riet mir, keinen Antrag auf Erwerbsminderungsrente zu stellen, sondern erst eine Kontenklärung vornehmen zu lassen. Er erklärte mir insbesondere die Nachteile einer solchen Antragstellung in meiner Situation. Ich war aber mit der Absicht gekommen, den übers Wochenende ausgefüllten Antrag abzugeben und nicht so flexibel, dass ich sofort froh über seinen Rat war. Ich stand überfordert im Raum mit meinem Antrag in der Hand und begann zu heulen. Für eine erwachsene Frau von 52 Jahren ganz sicher kein adäquates Sozialverhalten. Leider passiert mir so etwas immer wieder, weshalb ich es nach Möglichkeit vermeide, mich ohne Unterstützung in solche Situationen zu begeben.

Ich hatte mich noch während meiner Zeit in der TKSI bei auticon beworben. Sie hatten zwar bisher kein Projekt, bei dem sie mich einsetzen hätten können, schlugen mir aber vor, an einer Vorbereitungswoche teilzunehmen. Ich solle vorher bitte in Erfahrung bringen, ob meine Teilnahme als Maßnahme zur beruflichen Eingliederung beim Arbeitgeber gelten würde.

Ich fragte beim Arbeitsamt nach, wurde jedoch an die DRV verwiesen, weil beim Arbeitsamt wegen meines Reha-Antrages ein Förderverbot bestünde. Am 02. September schrieb ich eine E-Mail an meine Sachbearbeiterin, in der ich sie davon in Kenntnis setzte, dass ich in den kommenden Wochen mit meinem Mann im Urlaub wäre und im Ausland nur eingeschränkt erreichbar sei. Am 04. September erhielt ich von ihr einen Einzeiler ohne Anrede oder Grußformel, in der ich nach meiner Versicherungsnummer gefragt wurde. Ich wunderte mich, wieso ausgerechnet meine DRV-Beraterin meine Sozialversicherungsnummer nicht hat, obwohl diese links oben auf dem Einladungschreiben zum Beratungsgespräch gestanden hatte? Vielleicht meinte sie ja auch meine Krankenversicherungsnummer? Aber die hätte sie von der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die ich ihr in meiner Anfragemail im Anhang mitgesendet hatte ablesen können. Ich fragte meinen Mann, weshalb ich zwar gelernt hatte, dass E-Mails immer mit Anrede und Grußformel am Ende zu schreiben sind, es in einer Versicherung aber scheinbar unüblich zu sein schien, sich an diese Gepflogenheiten zu halten? Ich schrieb also am 07. September eine Antwortmail, in der ich ihr sowohl meine Sozialversicherungsnummer, als auch meine Krankenversicherungsnummer mitteilte.

Zurück aus dem Urlaub hatte ich immer noch keine Antwort, die Vorbereitungswoche bei auticon soll aber schon am 11. Oktober beginnen. Ich besprach bei meinem nächsten Arzttermin mit meiner Ärztin, wie es weitergehen sollte. Sie hat die Teilnahme an der Maßnahme bei auticon trotz weiterer Krankschreibung befürwortet. Ich bin wegen Autismus und Depressionen krank geschrieben. Mit meiner Teilnahme an dieser Maßnahme tue ich laut ihr aktiv etwas gegen die Depression.

Ich schickte der Sachbearbeiterin bei der DRV heute eine zweite Anfrage mit der Bitte, mir bis spätestens 10. Oktober zu antworten. Ihre Antwort bekam ich umgehend: Die Anfrage werde im Team bearbeitet, sie hält eine Teilnahme an der Vorbereitungswoche aber wegen meiner Krankschreibung nicht für empfehlenswert. Eine Woche vor Beginn noch keine Antwort der DRV auf meine Anfrage zu haben, ist für mich sehr belastend, weil das viel zu kurzfristig ist. Ich habe so keine Planungssicherheit. Und warum empfiehlt mir meine eigene Sachbearbeiterin, dass ich nicht an der Vorbereitungswoche teilnehmen soll? Ich bemühe mich selbständig um eine Lösung meiner beruflichen Situation und kümmere mich aktiv darum, eine neue Stelle zu finden. Ich erhalte bei einer Firma eine Chance, die nachweislich geeignete Arbeitsplätze für Autisten anbietet. Und dann soll ich diese Chance nicht nutzen? Obwohl die Sachbearbeiterin der DRV mir dabei helfen soll, wieder im Arbeitsleben integriert zu werden? Stattdessen behindert sie mich nach meinem Erleben.

Die Folgen der Nachrichten des heutigen Tages waren: Nichts von dem geschafft, was ich mir eigentlich vorgenommen hatte, ein Heulanfall, eine Schimpftirade, weil ich völlig außer Fassung geriet, heftige Kopfschmerzen und jetzt das Gefühl der tiefen Erschöpfung. Meiner Ansicht nach sollte das nicht sein, wenn es tatsächlich darum ginge, mich bestmöglich zu unterstützen. Aber wahrscheinlich ist es nur meiner schizoiden und paranoiden Persönlichkeitsakzentuierung zuzuschreiben, wenn ich ein System hinter solchen Vorkommnissen vermute und zunehmend keine Kraft mehr habe, mich mit Sachbearbeitern und Unterstützungsanträgen auseinanderzusetzen.

Aufgeben ist natürlich keine echte Option. An Tagen wie heute wünschte ich mir nur, es wäre nicht alles so ein unglaublicher K(r)ampf.


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Offen mit Autismus und Depressionen umgehen – darf man das?

Inzwischen gibt es hin und wieder ein paar gute Tage. Tage an denen mir etwas gelingt, an denen ich es schaffe Staub zu saugen und zu putzen. Sogar Tage, an denen ich begonnen hatte, an meinem Teich weiter zu graben. Es kann gar nicht genug Teich geben, das ist schon mal klar. Je mehr Teich, desto mehr Möglichkeiten, am Ufer sitzend auf Fische zu starren. Darüber nachzudenken, welche Formationen sie schwimmen. Die Reflexionen des Sonnenlichts auf den Schuppen zu sehen, wenn sie fressen. Zu beobachten, welche Muster sich ergeben, welche Schwärme welches Revierverhalten zeigen und wer mit wem schwimmt – stundenlang auf Fische starren tut mir gut. Und es ist gut, sich bei einer Depression sportlich zu betätigen und aus dem Haus zu gehen. Dazu ist ein Gartenprojekt, bei dem man an der frischen Luft ganz viel Erde per Schubkarre und Handarbeit mit Spaten von A nach B verbringen muss, für mich als Autistin perfekt geeignet.

Leider kann ich das nicht andauernd machen, im Moment wäre es sogar denkbar ungünstig im Regen zu sitzen und zu frieren oder draußen zu schwitzen bei der Fische-starr-Flächenvergrößerung. Ich dachte, es ginge jetzt endlich wieder aufwärts. Aber schon seit mehr als einer Woche schleppe ich mich vom Bett zum Tisch, von dort zum Sofa und zurück ins Bett. Gut, derzeit bin ich richtig unangenehm körperlich krank. Das könnte eine Erklärung sein. Die andere Erklärung wäre, dass ich schlicht und ergreifend immer noch ziemlich depressiv bin.

Laut der Sachbearbeiterin in der Deutschen Rentenversicherung, bei der ich letzten Monat einen Termin wegen meines Antrages auf Teilhabe am Arbeitsleben und wegen meiner beruflichen Zukunft hatte, bin ich vollschichtig erwerbsfähig. Mal ganz abgesehen davon, dass ich es Zeit meines Lebens noch nie geschafft habe, Vollzeit zu arbeiten: Warum nur fühle ich mich so überhaupt nicht erwerbsfähig? Ich bin immer noch krank geschrieben. Seit nunmehr einem halben Jahr bin ich ununterbrochen arbeitsunfähig krank geschrieben. Obwohl ich mich nach der langen Zeit doch eigentlich hätte erholt haben müssen.

Eigentlich müsste ich inzwischen wieder die Kraft haben, den Kampf weiter zu kämpfen, eine neue Arbeitsstelle zu suchen, wieder von vorne anzufangen. Unbelastet, keiner kennt mich, ich habe noch keine nicht wieder gut zu machenden soziale Fehler im Umgang mit den Kollegen gemacht, neue und hoffentlich interessante Aufgaben warten. Aber allein der Gedanke daran, mich um eine neue Stelle bemühen zu müssen, führt dazu, dass mir der Angstschweiß ausbricht. Ich kann mir seltsamerweise absolut nicht mehr vorstellen nochmals in irgendeinem Büro zu arbeiten. Schon gar nicht kann ich mir vorstellen das nicht alleine, sondern mit Kollegen zu tun. Ich wüßte nicht einmal, wie ich mit ihnen reden sollte. Ich wundere mich, dass mir das mal gelungen ist, verstehe nicht, wie ich es geschafft habe. Beim Gedanken daran kommen mir die Tränen und mir tut der Magen weh. Alles psychosomatisch, ich weiß – aber auch wenn es keine körperliche Ursache hat, die Magenschmerzen tun trotzdem weh. Kann natürlich auch sein, dass meine Weinerlichkeit und die Magenschmerzen daher rühren, weil ich mir nutzlos vorkomme und weil ich Versagensgefühle habe. Und solche Gedanken und Gefühle wiederum sind laut Literatur typisch bei einer Depression.

Jetzt könnte man meinen, dass ich doch gar keinen Grund habe, mich zu beklagen. Immerhin bin ich daheim, seit einem halben Jahr habe ich frei. Aber ich schaffe es nicht einmal trotz all der „Freizeit“, die ich dank der Krankschreibung habe, mich mit meinen Hobbys zu beschäftigen. Mich darum zu kümmern, wie es im Studium weitergeht. Jetzt hätte ich seit einem halben Jahr die Zeit gehabt, die Reader des letzten Moduls vollständig zu lesen, ein Hausarbeitsthema zu finden, Literatur zu recherchieren und loszuschreiben. Und was habe ich davon erledigt? Genau – nichts. Was ist aus meinen Plänen geworden, mich mit Ubuntu zu beschäftigen, C++ zu lernen, die Literatur-Datensammlung zu ordnen, alle Folgen von GoT anzusehen? Tag um Tag verbringe ich damit, mir vorzunehmen etwas davon ganz bestimmt am nächsten Tag anzufangen.

Und Tag um Tag vergeht, eine lange Reihe an Tagen mittlerweile. Zu einer Depression gehört augenscheinlich Geduld – es bleibt also schwierig, denn Geduld gehört definitiv nicht zu meinen Stärken. Hinderlich ist auch das Gefühl, dass es seit längerem eigentlich nur noch Abwärts geht. Mein Leben besteht mittlerweile gefühlt seit ewiger Zeit, tatsächlich seit drei Jahren überwiegend daraus, wahlweise körperlich erkrankt, erschöpft oder antriebslos auf dem Sofa herum zu Gammeln und nichts mehr zustande zu bringen. Nach wie vor überkommt mich täglich die Sinnfrage. Es ist schwierig in dem Zustand den Spaß am Leben zu sehen. Lebensqualität ist nicht wirklich gegeben.

Jemand hat mich darauf hingewiesen, dass es problematisch werden könnte jemals wieder eine neue Arbeitsstelle zu finden, wenn ich öffentlich von meinem Autismus schreibe und insbesondere von einer Depression. Meiner Ansicht nach gehört der komplette Bereich der psychischen Erkrankungen aber aus der Verheimlichungsecke heraus. Wenn eine Depression tatsächlich eine Erkrankung ist, dann sollte man genauso darüber sprechen dürfen wie über eine Blasenentzündung oder einen grippalen Infekt. Wo ist der Unterschied? Alles sind heilbare Erkrankungen, die einen arbeitsunfähig werden lassen können. Angeblich – bei der Depression habe ich mittlerweile so meine Zweifel bezüglich der Heilbarkeit, immerhin scheine ich seit meiner Jugend immer mal wieder depressiv zu sein.

Eine Autismus-Spektrum-Störung (soweit ich auf dem Laufenden bin, soll man das Wort Störung nicht mehr benutzen – in Ermangelung einer zufriedenstellenden anderen Bezeichnung bleibe ich aber dabei) ist zwar weder eine Erkrankung noch ist sie heilbar. Trotzdem denke ich, dass es, zumindest für mich, unabdingbar ist, offen damit umzugehen. Ich glaube, dass ich nicht mehr versuchen sollte mich an eine Arbeitsstelle anzupassen. Das hat Zeit meines Lebens bisher nicht geklappt. Es ist wichtig, dass ein zukünftiger Arbeitgeber weiß wo meine Schwierigkeiten liegen, wenn ich denn irgendwann in der Zukunft (hoffentlich bald) fähig sein werde wieder einer Teilzeit-Erwerbsarbeit! nachzugehen. Mir ist inzwischen klar, dass ich wahrscheinlich niemals genügend Energie haben werde, um ganztags arbeiten gehen zu können. Ich arbeite daran, das nicht mehr als persönliches Lebensversagen zu sehen, sondern als nachvollziehbare Folge meines Autismus. Und dass ich unbedingt eine Stelle finden muss, bei der sich die Rahmenbedingungen an meine Bedürfnisse anpassen lassen. Damit ich gesund bleiben kann – soweit ich das wieder werde.

Ich hoffe, die Zusammenhänge kann ich der Sachbearbeiterin von der Rentenversicherung verständlich erklären, wenn ich das nächste Mal zu einem Beratungsgespräch über meine berufliche Zukunft eingeladen werde. Das letzte Mal verlief nämlich denkbar irritierend. Ich bekam als für mich passende berufliche Rehabilitationsmaßnahme vorgeschlagen, in dieses berufliche Trainingszentrum zu gehen. Der „Erwerb von Schlüsselqualifikationen, die Steigerung der Belastbarkeit und das (Wieder-) Erlernen des Rollenverhaltens“ (Quelle) als seelisch erkrankter Arbeitnehmer stehen im Vordergrund des mir anempfohlenen Trainings. Dort solle ich dann mittels Kursen aus den Themenbereichen

  • Büroorganisation
  • Schriftverkehr
  • PC-Kenntnisse
  • Computertechnik
  • Grundkenntnisse der Verwaltungsorganisation
  • Grundkenntnisse der Buchhaltung
  • Grundkenntnisse des Personalwesens
  • Mediengestaltung (Quelle)

eine Lösung für meine berufliche Situation finden. Zudem gäbe es laut Sachbearbeiterin ein Anpassungstraining in der Gruppe, bei der ich soziale Kompetenz erlernen könne. Auf meine Frage, ob sich die Fachkräfte dort auch mit Autismus auskennen würden erhielt ich die Antwort: Betreut werde man von Sozialpädagogen. Ein sehr wichtiger Baustein der Maßnahme seien möglichst viele betriebliche Praktika. Ganztags, in wechselnden Betrieben und in der Werkstatt. Wegen des weiten Anfahrtsweges könne ich während der Woche im dortigen Gästehaus logieren. Vor Beginn dieser Maßnahme müsse ich jedoch erst noch einen Erwerbsminderungsrentenantrag stellen, davor könne sie gar nichts für mich tun. Aber das ginge nicht bei ihr, sie sei für diesen Antrag nicht zuständig.

Ich frage mich, inwiefern mir diese Maßnahme in meiner gesundheitlichen Situation und hinsichtlich meiner bereits vorhandenen beruflichen (Über)qualifikation als Steuerfachangestellte und Bildungswissenschaftlerin etwas Positives bringen soll. Ich hoffe wirklich, diese Beratungsgesprächsergebnisse sind nur dem fehlenden Wissen der Sachbearbeiterin über Autismus mit der Komorbidität Depression zuzuschreiben. Ich hoffe, Mitarbeiter in Ämtern und Behörden sind nicht lernresistent und durch zunehmende Verbreitung von Wissen über Autismus und Depressionen kann nicht nur ich zukünftig hoffentlich zielführender beraten werden. Auch deshalb scheint es mir imho sehr wichtig, offen mit meinen Diagnosen umzugehen.

Übrigens: Den Erwerbsminderungsrentenantrag habe ich bisher nicht gestellt. Und jetzt verschwinde ich wieder eine Zeitlang auf dem Sofa.

 

 


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TKSI – unbedingt empfehlenswert, zumindest für mich

Ende nächster Woche ist mein Aufenthalt in der TKSI zu Ende. Inzwischen funktioniere ich im Rahmen der Tagklinikstrukturen wieder ganz gut. Ob das ein stabiler Zustand sein wird, kann nur der Alltag und die Zukunft zeigen. Da ich die Diagnose rezidivierende Depression mitnehme, ist davon auszugehen, dass mich irgendwann im Leben wieder eine schwerere Depression einholen kann. Muss ich halt schneller sein – wenn es denn so einfach wäre. Aber ich habe in der Klinik das Wissen erlernt, um mitzubekommen, wenn Gefahr im Verzug ist und ich auf mich aufpassen sollte. Dazu habe ich jetzt ein Instrumentarium, das mir hilft, meine Grenzen zu akzeptieren; mit meiner Energie achtsam umzugehen; mir genügend Zeit und Raum zur Erholung zu lassen; die Haltung: „Zuerst die Arbeit und dann (vielleicht, wenn Zeit ist) das Vergnügen“ aufzugeben; meinen Perfektionismus mit Abstand zu betrachten und zu versuchen, auch manchmal Unperfektes zuzulassen; mich für Leistungen zu belohnen – geübt habe ich das alles bereits. Jetzt muss ich das Ganze noch in meinen zukünftigen Alltag integrieren.

Dem für mich wichtigsten Ziel, der Entwicklung einer längerfristigen beruflichen Perspektive, bin ich sehr viel nähergekommen. Dank der tatkräftigen Unterstützung des Sozialdienstes der TKSI habe ich die Aussicht darauf, in absehbarer Zukunft wieder eine Arbeitsstelle auf dem ersten Arbeitsmarkt zu haben. Genauer gesagt sieht es sogar so aus, als könne ich zwischen mindestens zwei Möglichkeiten wählen. Ich bin noch am Abwägen, welcher Möglichkeit ich den Vorzug geben sollte und ob nicht sogar beide Möglichkeiten miteinander zu vereinbaren wären. Die eine Möglichkeit ist eine Anstellung bei auticon als IT-Consultant im Software-Testing Bereich. Die andere eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der LMU. Eine dritte Möglichkeit kann sich eventuell noch in Regensburg ergeben, wobei ich meine Kenntnisse aus dem Masterstudium einsetzen könnte. Was mich besonders bei allen drei Möglichkeiten begeistert ist, dass ich definitiv nichts mehr mit Verwaltung, Buchhaltung und allgemeinen Bürotätigkeiten zu tun hätte, von vornherein klar wäre, dass ich Autistin bin und die Rahmenbedingungen wesentlich passgenauer meine bisherigen autismusbedingten Schwierigkeiten am Arbeitsplatz abfedern könnten. Bei allen drei Möglichkeiten könnte ich Stärken einsetzen, die ich bisher nie umsetzen habe können. Ich scheine nämlich der geborene Fehlerfinder zu sein, Fehler im System oder in Programmen oder in Texten fallen mir schon seit jeher auf. Ich finde es lustig, dass man tatsächlich damit seinen Lebensunterhalt verdienen kann, auf alles zu klicken und dann rückzumelden, dass etwas nicht funktioniert oder falsch ist. Das mache ich sowieso ständig, hatte mir damit aber bisher eher keine Freunde gemacht. Die Überprüfung großer Datenmengen macht mir Spaß. Außerdem bin ich wirklich gut darin, passgenaue Literatur zu einem autodidaktisch zu erarbeitenden Thema zu finden, wissenschaftliche Texte zu redigieren bzw. zu schreiben und Vorträge zu gestalten – nur halten muss sie jemand anderes.

Was meine absoluten Stärken sind, wusste ich bereits als Jugendliche und damals wusste ich auch, welcher Beruf passend für mich wäre. Ich wollte Lektorin werden und irgendwann vielleicht einmal selbst Schriftstellerin. Jemand sein, der sehr viel lesen darf und damit am besten von zu Hause aus Geld verdient. Der im Hintergrund die Fehler findet, Geschriebenes besser macht, der mit Sprache umgeht, recherchiert, lebenslang eigenständig lernt. Leider scheiterte ich damals, weil ich nicht fähig war, ein Studium zu schaffen. Und in der Folge verlor ich mein Ziel aus den Augen wegen der Notwendigkeit, Geld zu verdienen. Also wurde ich mangels anderer Möglichkeiten Steuerfachangestellte. Verbrachte Jahre in diversen Büros, stets krank werdend.

Es ist schade, dass ich erst ein halbes Jahrhundert alt werden musste, um meine eigentlichen Begabungen einsetzen zu dürfen. Und erst durch die Autismus-Diagnose erkannt habe, was falsch lief und weshalb ich immer und immer wieder im Arbeitsleben scheiterte. Aber wenigstens habe ich jetzt endlich die Chance, doch noch erfolgreich zu sein. Und mir ist sehr bewusst, welchen maßgeblichen Anteil die Unterstützung in der TKSI daran hat. Für mich war mein Aufenthalt in der TKSI eine der besten Ideen, die ich in letzter Zeit hatte. Klar war nicht alles, was ich dort erlebt habe, durchgängig toll. Es gab anfangs ein gewisses organisatorisches Eröffnungs-Chaos, es gab immer wieder Termine, die kurzfristig ausfielen, weil beispielsweise Mitarbeiter erkrankten und keine Vertretung gefunden wurde. Aber was durchgängig zu spüren war: Ich wurde als Person mit all meinen individuellen Schwierigkeiten stets wertgeschätzt und es wurde mit allen verfügbaren Ressourcen versucht, mir sofort und möglichst umfassend zu helfen. Deshalb geht mein tiefempfundener Dank an die Menschen, die mich die vergangenen Wochen dort unterstützt haben und auch in Zukunft noch unterstützen wollen.


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TKSI zum Zweiten

Morgen ist der letzte Tag der ersten Woche meines zweiten sechswöchigen Durchlaufes in der TKSI. Mir wurde seitens der Klinik angeboten, meinen Aufenthalt nochmals um sechs Wochen zu verlängern. Dieses Angebot nahm ich gerne an. Ich hätte sowieso nicht gewusst, was ich nach den sechs Wochen machen soll. Die Struktur in der Klinik tut mir gut. Eine Wiederholung von Inhalten stört mich keineswegs. Das Einzige, was es richtig schwierig macht, sind die neuen Mitpatienten.

Hier bediene ich das Autistenklischee: Ich komme mit Veränderungen nicht wirklich gut klar. Aber auch das gilt nur eingeschränkt, denn trotz meiner Aussage in einem vorherigen Blogbeitrag habe ich meine Essensroutine angepasst. Nachdem ein Mitpatient vorvorletzte Woche fragte, ob ich mit Mittagessen gehen würde, versuchte ich es nochmals mit einem Kantinenbesuch, weil das Wetter so schön war, dass ich draußen essen konnte. Ich trabte hinter ihm her in eine Ecke, die mir vorher gar nicht aufgefallen war. Und siehe da: Es gab eine Salatbar zum Selbermischen nebst laktosefreiem Dressing.  Das Mitschleppen meines laktosefreien Joghurtmüslis erübrigte sich ab diesem Moment.  Seither gehe ich mit meiner großen Salatschüssel auf den Balkon der TKSI und genieße in Ruhe und alleine ein gesundes Mittagessen.

Aus einem weiteren Grund ist ein verlängerter Aufenthalt gut. Vollständig arbeitsfähig fühle ich mich derzeit nämlich definitiv noch nicht. Gestern war ich an meinem Arbeitsplatz, um Schlüssel zurückzugeben und meine Sachen abzuholen, da mein Arbeitsvertrag Anfang Juni endet. Ich habe es glaube ich geschafft, diese halbe Stunde normal zu wirken, aber es war anstrengend und ich hätte nicht mehr lang durchgehalten. Dadurch, dass mir mittlerweile die Bedeutung und der Nutzen von Smalltalk bewusst ist und ich in den letzten Wochen genügend Zeit zum Üben hatte, fiel mir auch das relativ leicht. Immerhin hat meine zukünftige Exchefin mir gegenüber geäußert, dass sie sich freut, dass es mir wieder so gutgeht. Die Außenwirkung war demnach in Ordnung, meine Fassade hatte wohl keine sichtbaren Risse. Hoffe ich, denn wissen kann ich es nicht. Ich bin darauf angewiesen zu glauben, was sie mir sagt. Ein Kollege, der ebenfalls anwesend war gab mir den Rat mit auf den Weg, mir für die Zukunft eine Arbeitsstelle zu suchen, bei der ich nicht so oft in Kontakt zu anderen Menschen komme. Er meinte, dass die Bereiche, in denen ich gut gewesen sei leider nur einen sehr kleinen Teil der Stelle ausgemacht hätten. Mir ist klar, dass er recht hat, trotzdem hörte sich das nicht schön an. Jetzt weiß ich nicht, ob die Traurigkeit wegen dieser Aussage der Depression geschuldet ist. Im Grunde ist es egal, die Rahmenbedingungen der Arbeitsstelle haben nicht gepasst, weswegen ich krank geworden bin, also muss die nächste Stelle eine sein, bei der die Rahmenbedingunen besser passen.

Autismus, Depression und alles, was damit einhergeht, wie Schlafstörungen, Reizempfindlichkeit und die psychosomatischen Reaktionen hängen miteinander zusammen. Wobei sie sich gegenseitig beeinflussen. Meine Überlegung ist: Wenn in mein Leben wieder Ruhe eingekehrt ist, ich eine Arbeitsstelle gefunden habe, genügend Zeit zum Eingewöhnen vergangen sein wird und die Unsicherheit der Probezeit oder eines befristeten Vertrages vorbei sein wird, dann wird es mir psychisch und in der Folge auch somatisch bessergehen. Die zusätzlich geschenkte Zeit in der TKSI kann ich dafür nutzen, die berufliche und die gesundheitliche Situation zu klären.

Mir wurde empfohlen, mit Hilfe eines Neuroleptikums meine Reizbarkeit und Reizsensitivität zu dämpfen. Danach hätte dann die Depression ebenfalls nochmals medikamentös behandelt werden können. Nach knapp zwei Wochen Medikamenteneinnahme hatte ich wie bei meinem ersten Versuch mit Antidepressiva etliche unschöne Nebenwirkungen. Ich war mir nicht sicher, auch eine dämpfende Wirkung zu verspüren. Wahrscheinlich wurde die jedoch von den Nebenwirkungen überdeckt. Ich empfand es als überaus positiv, dass meine Ärztin meine Bedenken und Überlegungen zu der Medikamenteneinnahme ernst nahm und auf meine Einwände und Befürchtungen einging. Sie betonte auch, dass die Entscheidung, Medikamente einzunehmen immer bei mir läge. Sie würde mich nach Kräften unterstützen. Wir kamen überein, dass ich außer Schmerzmitteln (wegen einer Schulterverletzung habe ich Schmerzen) nichts mehr nehmen werde. Denn meine Überlegung war: Ein Neuroleptikum kann ich maximal 3 Jahre lang einnehmen, währenddessen passt sich mein Gehirn über Rezeptorenvermehrung und Sensitivierung an, um den Ursprungszustand wiederherzustellen (so ganz stimmt das medizinisch scheinbar nicht, meine Ärztin sagte aber ganz offen, dass nicht klar ist, was genau im Gehirn abläuft und wie die Medikamente tatsächlich wirken). In dem Moment, wo ich die Medikamente dann absetzen muss, holt mich wegen des wiederum entstehenden chemischen Ungleichgewichtes im Gehirn die Depression vielleicht wieder ein und zusätzlich wäre ich eine Zeitlang noch reizoffener als anfangs. Eine ungute Kombination, die eventuell dann dazu führen könnte, dass ich meine Arbeitsstelle gefährde, die ich bis dahin gefunden zu haben hoffe. Weil der Nutzen durch die Medikamente für mich nur kurzfristig ersichtlich ist und ich nicht genau feststellen konnte, ob sie tatsächlich wirken, habe ich beschlossen, lieber keine zu nehmen.

Zum Glück habe ich bereits einen Psychotherapieplatz, so dass ich nach dem Klinikaufenthalt nahtlos eine Verhaltenstherapie machen kann, die mir dabei helfen wird, mit den alltäglichen Schwierigkeiten und den Problemen, die eine Depression mit sich bringt, umgehen zu können. Beides: Therapie und stabile Arbeitsstelle sollten meinem Leben so viel Struktur geben, dass die Depression abklingt, damit einhergehend die Reizoffenheit weniger wird und in der Folge Schlafstörungen und psychosomatische Stressreaktionen verschwinden.

Das klingt nach: Alles wird gut. Eine wichtige Voraussetzung ist allerdings, dass die körperlichen Probleme ebenfalls behandelt werden, denn die Schulterverletzung ist nicht von selbst ausgeheilt. Hier steht noch eine Abklärung bzw. eine erfolgreiche Behandlung an. Denn solange ich Dauerschmerzen habe, ist mein Stresslevel erhöht. Wobei die Schmerzen wiederum die Depression verstärken. Also ist ein wichtiger Schritt im Moment, die Schmerzen loszuwerden. Und eine neue Stelle oder eine finanzielle Lösung zu finden. Klingt nach einem guten kurz- bis mittelfristigen Plan, den ich die kommenden Wochen verfolgen werde. Und die neuen Mitpatienten werden in fünf Wochen gewohnte alte Mitpatienten für mich sein, genau wie beim ersten mal. Es besteht eine echte Chance auf: Alles wird gut.