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"Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muß man vor allem ein Schaf sein." (Albert Einstein)

Kontaktaufnahme mit Autisten á la Büro Aiwanger – Telefon vs. E-Mail

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Barrieren, immer wieder dieselben Barrieren. In unserer heutigen Welt ist es nicht möglich, ohne Telefonat durchzukommen. Ich würde wirklich gerne durchgängig Terminvereinbarungen per E-Mail abhandeln können. Aber immer wieder werde ich auf das Telefon zurückgeworfen. Selbst wenn der Erst-, Zweit- und Drittkontakt per Mail ablief, werde ich dann doch immer wieder angerufen, d.h. mein Gegenüber versucht, mich anzurufen, denn erreichbar bin ich natürlich nicht. Ich habe mein Smartphone dauerhaft stummgeschaltet. Und darf mir dann bestenfalls auf der Mailbox anhören, dass mein Gegenüber erfolglos versucht habe, mich telefonisch zu erreichen, das leider mehrfach nicht geschafft habe und es am folgenden Tag nochmals versuchen wolle.

Also weiß ich, das wird er wieder nicht schaffen, denn auch am folgenden Tag werde ich nicht ans Telefon gehen, so dass ich gezwungen bin, selbst zurückzurufen. Das ist zwar immer noch besser, als den ganzen Tag Angst vor einem Anruf zu haben, aber trotzdem bleibt es stressbehaftet. Gerade eben wieder. Gestern sprach mir ein Mitarbeiter des Büros Aiwanger auf die Mailbox, er habe es schon ein paarmal versucht bei mir, wegen einem Termin mit Herrn Aiwanger, er probiere es einfach nochmal. Gestern hatte er es nicht nochmals probiert, also war zu erwarten, dass das heute passieren und ebenfalls scheitern würde. Ich habe mich also dazu überwunden, zurückzurufen. Per Festnetz, weil da wo ich wohne, der Mobilfunkempfang oft zu schlecht ist, um störungsgeräuschfrei zu telefonieren oder um nicht unfreiwillig die Verbindung gekappt zu bekommen. Allerdings scheiterte das bereits im Ansatz, weil mich eine weibliche Stimme freundlich darüber informierte, dass „die Verbindung zum Telefonnetz […] momentan nicht möglich“ sei.

Na toll, also griff ich doch zu meinem Smartphone. Knisternd und knackend meldete sich eine ebenfalls weibliche Stimme, der ich erklärte, dass ich zurückrufen würde, um den Herrn zu sprechen, der mich gestern angerufen habe. Der war nur leider im Moment nicht im Büro, er würde mich aber zurückrufen, wenn er wieder da sei. Nur wann das passieren würde, konnte mir die freundliche Dame natürlich nicht sagen. Ich versuchte ihr zu erklären, weshalb das keine Option für mich sei. Wir vereinbarten, dass ich in einer Stunde nochmals anrufen würde.

Und jetzt sitze ich so erschöpft, als hätte ich mehrere Stunden angestrengt gearbeitet hier, habe einen Wecker gestellt, der mich an diesen Rückruf erinnern soll, den ich aber gar nicht brauche, denn ich bin jetzt diese eine Stunde lang sowieso blockiert und denke nur an dieses Telefonat, das ich erledigen muss, also schreibe ich.

Dabei wäre es so einfach. Wenn es diese Möglichkeit gibt, dann machen Sie doch bitte Termine per E-Mail mit mir aus und rufen mich nicht irgendwann zwischendurch dann doch an, weil – hier kommt in der Regel die Begründung: Es schneller geht / Es einfacher ist. Nein, es geht weder schneller, wie obiges Beispiel zeigt. Noch ist es einfacher, zumindest nicht für mich. Der Büromitarbeiter erreicht mich nicht, ich erreiche ihn nicht. Auf eine E-Mail hätte ich inzwischen geantwortet und wenn der vorgeschlagene Termin gepasst hätte, dann wäre das Ganze erledigt gewesen, wenn nicht, dann hätte es maximal noch zwei E-Mails gebraucht, um einen passenden Termin zu finden. In meinen Augen ist das unkompliziert, für mich barrierefrei und wesentlich gesünder, weil stressreduzierend. Und Stress habe ich sowieso viel zu viel. Ich frage mich, warum mein Wunsch nicht auf mehr Verständnis stößt. Jeder, wirklich jeder in einem Büro hat heute eine E-Mailadresse, also wo – verdammt nochmal – ist das Problem?

Also alles zurück auf Anfang. Die Stunde ist um, ich greife wieder zum Telefonhörer. Immer noch kein Festnetz, dann halt mobil. Uuund es ist: Besetzt. Seufz. Nochmal. Jetzt komme ich durch. Erfreulicherweise meldet sich der, den ich erreichen wollte. Sofort beginnen die Schwierigkeiten. Er sagt, er wolle einen Termin wegen unseres Offenen Briefes mit uns vereinbaren. Allerdings hat er keinen Plan wo und wann. Er meint, vielleicht am 22. Januar, aber das könne er nicht fest zusagen, da müsse er erst Rücksprache halten, ich solle ihm etwas vorschlagen. Ich sage, dass ich aber doch nur für mich sprechen könne und frage nach, ob das Treffen mit allen drei Personen, die diesen Offenen Brief verfasst haben, stattfinden soll. Das bejaht er. Ich solle bei den anderen beiden nachfragen, an welchem Ort das Treffen stattfinden soll, in München oder Regensburg oder irgendwo sonst in Bayern.

Und ihn dann kurz zurückrufen, damit wir einen Termin vereinbaren können. Mein stammelnder Einwand, dass ich für eine Rücksprache irgendeinen konkreten Terminvorschlag bräuchte, und meine verwirrte Nachfrage, ob tatsächlich wir einen Ort für ein Treffen festlegen sollen, bringt nicht mehr Klarheit in die Konversation. Wobei sich mir die Frage stellt, wie wir das denn bitte anstellen sollen, wo trifft man sich mit einem stellvertretenden Ministerpräsidenten, das überfordert mich jetzt so spontan schon massiv? Er murmelt derweilen in sich hinein, dass der und der Termin nicht ginge, frühestens Ende Januar, aber da auch nur unter Vorbehalt und dann hätten wir ja auch schon Februar… Ich frage mich, warum er keine klare Aussage wegen eines Termins machen kann, mir keinen festen Termin vorschlägt, wenn doch der Zweck des Telefonates die Terminvereinbarung gewesen war? Ich versuche ihm zu sagen, dass einfach mal eben kurz zurückrufen für mich eben nicht einfach ist. Er meint, ich könne natürlich eine E-Mail schreiben, aber normalerweise ruft man halt kurz zurück und er ebenfalls, dann wieder einander an und macht kurz am Telefon einen Termin aus. Aha. Und was mache ich hier gerade? Scheint so einfach und kurz ja nicht zu sein. Jetzt weiß ich auch, warum meine Vorstellung, eine Terminvereinbarung per E-Mail abhandeln zu können, illusorisch ist.

Ich schaffe es, zusammenfassend aufzuzählen, was wir Autisten erledigen müssen und in welcher Reihenfolge, um irgendwann einen Termin mit Herrn Aiwanger festlegen zu können, der frühestens Ende Januar, wohl eher dann im Februar stattfinden könnte. Er meint, der Terminkalender fülle sich stündlich. Herr Aiwanger habe ja zugesagt, mit uns Kontakt aufzunehmen, das täte er. Aber so könnten wir das machen, ich solle ihm dann halt schreiben. Na dann. Er verabschiedet sich, legt auf. Ich versuche mich zu sortieren, suche den roten Telefonhörer auf dem Display, den ich nicht sofort finde.

Und ich fühle mich restlos erledigt, wenn ich in mich hineinhorche, auch noch frustriert. Das Ergebnis dieses frustrierenden, kräftezehrenden, für Autisten nicht barrierearmen Telefonates: Nichts Konkretes, kein Termin, aber der Mitarbeiter hat Herr Aiwangers Zusage, mit uns Kontakt aufzunehmen, um mehr über die Autismus-Strategie zu erfahren, umgesetzt. Jetzt liegt der Ball wieder in unserer, der autistischen Hälfte (RW). So kann man es natürlich auch machen.

Ich denke mir so: Herr Aiwanger und Büro, es ist augenscheinlich wirklich dringend erforderlich, dass Sie mehr über Autismus erfahren. Es ist nur sehr schade, dass das Interesse daran und die Verantwortung für die Umsetzung dieses Interesses offenbar bei uns Autisten liegt.


UPDATE am 18. Januar 2019: Inzwischen hatte ich dreimal eine E-Mail an das Büro Aiwanger geschrieben und um Terminvorschläge für ein Treffen mit Herrn Aiwanger gebeten, einmal hat mir der Mitarbeiter sogar geantwortet (am 01. Januar, was mich sehr erstaunt hat und zeigt, dass im Büro von Herrn Aiwanger auch an Feiertagen gearbeitet wird) und mich gebeten, ihm zur Abklärung noch den Rest der Woche Zeit zu lassen. Das ist nur leider inzwischen mehr als zwei Wochen her. Autistisch wie ich nunmal bin, hatte ich seine Antwort wörtlich genommen und mich darauf verlassen, dass er sich auch tatsächlich zurückmeldet, was aber leider nicht passiert ist. Also habe ich heute ein drittes Mal nachgefragt. Werner Kelnhofer, Thomas Schneider und ich würden uns wirklich freuen, wenn Herr Aiwanger seine Zusage, Näheres über die Autismus-Strategie erfahren zu wollen auch in die Tat umsetzt und das Treffen stattfinden kann, bevor die Empfehlungen der Projektgruppen für die Politik erarbeitet worden sind, was laut Projektplanung im Juli der Fall sein wird.

UPDATE am 24. Januar 2019: Aller guten Dinge sind drei, wir haben nun im Februar einen Termin für das Treffen mit Herrn Aiwanger. Wir werden unser Möglichstes tun, um ihn aufzuklären.

UPDATE leider wegen Energiemangel erst am 14. Februar 2019: Das Treffen fand tatsächlich am 01. Februar statt und hatte m.M.n. ein positives Ergebnis, wobei das Einschätzen anderer nicht eine meiner Stärken ist. Herr Aiwanger hat sich zusammen mit uns dreien und seinem Mitarbeiter in der Regierung von Niederbayern getroffen und sich eineinhalb Stunden lang intensiv mit uns unterhalten. Herr Aiwanger wirkte ehrlich interessiert und darum bemüht, zu verstehen, was Autismus eigentlich ist. Dies zeigte sich in seinen häufigen Rück- und Verständnisfragen. Wir haben uns redlich bemüht, ihm ein realistisches Bild von Autismus zu übermitteln. Jeder von uns hatte einen kurzen Text verfasst, den wir Herrn Aiwanger am Ende übergaben. Ich hoffe jetzt, dass zumindest von einem hochrangigen Regierungsmitglied mehr Verständnis für die Belange von Autisten dank mehr Wissen über das Autismus-Spektrum aufgebracht werden kann.

Herr Aiwanger will Kontakt mit der Sozialministerin Frau Schreyer wegen der Entwicklung der Autismus-Strategie-Bayern aufnehmen. Er meinte, er würde Frau Schreyer darauf ansprechen, die Strategieentwicklung möglichst ernst zu nehmen und auch umzusetzen. Fachkräfte wären zu mobilisieren und es sei nicht hinzunehmen, dass hochintelligente Leute zu Hause sitzen und nicht arbeiten dürfen, sondern ausgeblendet werden.

Wir haben angeregt, dass das Wirtschaftsministerium in die Strategieentwicklung mit eingebunden werden soll, wofür er sich aufgeschlossen zeigte. Wir haben alle drei unser Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit auf Augenhöhe bekundet und ihm angeboten, für weitere Aufklärungsarbeit zur Verfügung zu stehen. Der letzte Satz bevor alle den Raum verließen lautete: „Sie hören von uns“. Mal sehen, was daraus noch wird. Ich werde gegebenenfalls berichten.

Thomas Schneider hat zu dem Treffen einen eigenen Blogbeitrag geschrieben, den ich empfehle, zur Informationsvervollständigung ebenfalls zu lesen: Autisten im Gespräch mit Hubert Aiwanger

Autor: SWB

Bildungs- und Medienwissenschaftlerin M.A., Erziehungswissenschaftlerin B. A, Steuerfachangestellte mit Montessoridiplom, ich arbeite am Institut für Digitale Teilhabe (IDT) der Hochschule Bremen als wissenschaftliche Mitarbeiterin und forsche zum Thema "Digitale Barrierefreiheit im Arbeitsleben durch partizipative Evaluation". Ich bin eine viellesende Autistin und engagiere mich aktiv in der Selbstvertretung. Ich äußere mich zwar am liebsten schriftlich, halte aber trotzdem und gerne Vorträge über das Thema Autismus.

5 Kommentare zu “Kontaktaufnahme mit Autisten á la Büro Aiwanger – Telefon vs. E-Mail

  1. Gleiches Problem. Ich bin am Telefon nie erreichbar, und höre auch immer wieder, dass Telefon doch einfacher /schneller sei. Ich rufe Mails oft am Handy ab und kann dann auch antworten, wenn um mich herum viel Unruhe und Lärm ist. Nur versteht das keiner.

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  2. Mir geht es meistens genau so. Und alle wundern sich, dass sie mich so gut wie nie direkt per Telefon erreichen. Oder eine E-Mail hätte einen höheren Informationswert als das Telefonat. Wenn ich von mir aus anrufe, dann nur Bekannte, die ich in der Regel auf Anhieb erreiche oder bei einem direkt folgenden Versuch, weil der Anrufbeantworter schneller ist als sie.

    Wie wäre es, wenn man Herrn Aiwanger mit einem Doodle konfrontiert. Fertig! Funktioniert für unsere Fürbittengruppe wunderbar. Wenn er sich nicht einträgt, ist das sein Problem. Solche Leute hasse ich.

    SMS geht auch als Möglichkeit kurzer Nachfrage. Hatte ich heute.

    Gefällt 1 Person

    • Bei mir wundert sich eigentlich niemand, sie sind höchstens genervt, dass ich telefonisch nicht zu erreichen bin. Die Menschen, die es akzeptieren, haben je ihren Weg gefunden, wie sie mit mir direkt in Kontakt treten können. Die anderen beschweren sich bei mir, wenn sie mich dann doch irgendwo einmal persönlich treffen.

      Deine Idee eines Doodles für den Termin mit Herrn Aiwanger gefällt mir. Ich guck mal, ob die anderen damit einverstanden sind.
      SMS geht natürlich auch, das verliert man heute nur aus den Augen. Danke für deine Tipps.

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